Rezension über:

Ricarda Höffler: Das Bild des Altars in deutschen illustrierten Flugblättern. Eine Untersuchung zu Bilderstreit und Bildtheologie im 16. und 17. Jahrhundert (= Geistliche Intermedialität in der Frühen Neuzeit; Bd. 1), Regensburg: Schnell & Steiner 2022, 448 S., 164 Abb., ISBN 978-3-7954-3724-4, EUR 79,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Stefan Michel
Technische Universität, Dresden
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Stefan Michel: Rezension von: Ricarda Höffler: Das Bild des Altars in deutschen illustrierten Flugblättern. Eine Untersuchung zu Bilderstreit und Bildtheologie im 16. und 17. Jahrhundert, Regensburg: Schnell & Steiner 2022, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 5 [15.05.2025], URL: https://www.sehepunkte.de
/2025/05/36956.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Ricarda Höffler: Das Bild des Altars in deutschen illustrierten Flugblättern

Textgröße: A A A

Die Hamburger Kunsthistorikerin Ricarda Höffler brachte mit ihrem Buch ihre geringfügig überarbeitete Dissertationsschrift zum Druck, die sie im Wintersemester 2020/21 an der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Hamburg eingereicht hatte. Die anregende Studie erschien als Auftaktband der neuen Reihe "Geistliche Intermedialität in der Frühen Neuzeit". Sie kann an bedeutende germanistische, kultur- und kirchenhistorische Studien zum Flugblatt von Wolfgang Harms, Jörg Jochen Bern, Wolfgang Brückner oder Harry Oelke anschließen, geht aber deutlich darüber hinaus. Denn Höffler untersucht methodisch versiert das komplexe Verhältnis der lutherischen Reformation zum religiösen Bild, indem sie erstmals den kunsthistorischen Blick auf das reformatorische Flugblatt mit der Analyse des Altarbildes im Kirchenraum verbindet. Sie geht zu Recht davon aus, dass die Darstellungsweise eines Altars an "transkonfessionell geläufige Konventionen anknüpfen" konnte (27). Lutherische Bildtheologie führte demnach spätmittelalterliche Entwicklungen selbständig weiter. Im Zentrum der Betrachtung Höfflers stehen drei ausgewählte illustrierte Flugblätter, die das Altarretabel als Sakralbild thematisieren und damit einen zentralen Aspekt der konfessionellen Auseinandersetzung beleuchten. Die Studie deckt den Zeitraum von etwa 1520 bis 1617 ab.

Nach der Einleitung (10-37) setzt der erste Teil der Studie mit einem "Perspektivwechsel" ein (38-215). Ausgehend vom innerreformatorischen Bilderstreit zwischen Andreas Karlstadt und Martin Luther analysiert Höffler das um 1530 in Nürnberg entstandene Flugblatt von Erhard Schön und vielleicht auch Hans Sachs mit dem Titel "Klagrede der armen verfolgten Götzen vnd Tempelpilder". Sie untersucht dabei, wie die Zentralperspektive als Mittel eingesetzt wird, um den Blick des Betrachters durch das Bild zu lenken und zu transformieren. Durch diesen von Luther eingeleiteten "Perspektivwechsel", der beim Betrachter ansetzt, ist der lutherische Umgang mit Bildern im Kirchenraum erklärbar. Die Autorin entwickelt das Konzept des "re-formierten Bildes" als Fenster und Spiegel (210-215). Danach widmet sie sich sehr ausführlich dem Augsburger Künstler Daniel Hopfer (ca. 1471-1536) und der Fuggerkapelle in St. Anna (98-173).

Im zweiten Teil "Ringen um die Tradition" steht das Flugblatt "Der Spiegel des Antichrists" von 1608 im Mittelpunkt (216-305). Diese antikatholische Polemik präsentiert im Motiv eines Altarretabels die Frage nach der Macht und Ohnmacht des Bildes. Demnach wird das katholische Bildverständnis als falsch zurückgewiesen. Durch die detaillierte Interpretation verschiedener Bildelemente, wie beispielsweise der Drei-Stände-Lehre, zeigt Höffler, wie sich um 1600 im Ringen mit den mittelalterlichen Bildtraditionen ein spezifisch lutherisches Bildverständnis entwickelte, das zur Zustimmung einlud.

Der dritte Teil "Triumph über die Tradition" widmet sich dem Flugblatt Hans Troschels "Christo soteri veritatis vindici" (306-393), das anlässlich des Reformationsjubiläums 1617 erschien. Anhand des Motivs des Gnadenstuhls führt die Autorin den lutherischen Triumph über die bisherige Bildtradition vor Augen. Sie behandelt dabei fränkische Bekenntnisbilder der Confessio Augustana, zu deren Interpretation sie auf theologische Texte von Martin Chemnitz (1522-1586), Johann Gerhard (1582-1637), aber auch des Nürnberger Pfarrers Johannes Saubert (1592-1646) zurückgreift. Höffler argumentiert, dass die Lutheraner mit diesem Flugblatt die Deutungshoheit über das mittelalterliche Bildmotiv erlangten und damit die Reformation des Bildes zu einem vorläufigen Abschluss brachten. Letztlich wird dadurch der Künstler, der ein solches Bild erschafft, zum Prediger.

Die prägnante Schlussbetrachtung (394-400) unterstreicht nochmals, dass die lutherische Reformation zu einer "Transformation des Betrachterblicks" auf ein Bild führte (398). Ein umfangreicher Anhang mit Bildtafeln (401-415), Quellen- und Literaturverzeichnissen (416-441) sowie einem Personen-, Bibelstellen- und Bildmotivregister (442-448) vervollständigen die Studie.

Höfflers Untersuchung besticht durch ihre methodische Sorgfalt und die tiefgreifende ikonographische Analyse. Sie arbeitet mit einer spezifischen Terminologie, die ihre kunsthistorische Perspektive widerspiegelt. So entwickelt sie Konzepte wie "Bilder, die sich selbst in Frage stellen" (174) oder diskutiert die "Macht des Bildes" (176) im Kontext der Reformation.

Die Autorin erörtert in theologischer Versiertheit die aus ihrer Sicht lesbaren Raumstrukturen und bezieht sich dabei auf die Hallenser Habilitationsschrift von Susanne Wegmann aus dem Jahr 2016. [1] Sie differenziert zwischen dem "materiellen" und dem "gepredigten" bzw. "vor Augen gemalten" Bild sowie der "imago viva" (363, 364, 389, 400 u.ö.), dem "lebendigen Bild" (389) von Personendarstellungen in den Bekenntnisbildern, die sie als Verweis auf die Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott im Schöpfungsbericht in Genesis 1,27 interpretiert. Die Vielfalt des zusammengetragenen Bildmaterials ist beeindruckend, ihre konzentrierte und gut lesbare Argumentation ist einerseits von kunsthistorischen Interessen geprägt und anderseits anschlussfähig im transdisziplinären Dialog.

Ricarda Höfflers Untersuchung zum Bild des Altars in deutschen illustrierten Flugblättern leistet einen bedeutenden Beitrag zur kunsthistorischen Erforschung der Reformationszeit und bietet wertvolle Einblicke in die visuelle Kultur des Protestantismus und die Entwicklung eines spezifisch lutherischen Umgangs mit dem religiösen Bild. Das Werk überzeugt durch Gelehrsamkeit und ermöglicht dadurch vertiefte Einsichten in die komplexen Beziehungen zwischen Bild, Glaube und konfessioneller Identität in der Frühen Neuzeit.


Anmerkung:

[1] Susanne Wegmann: Der sichtbare Glaube. Das Bild in den lutherischen Kirchen des 16. Jahrhunderts (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation; 93), Tübingen 2016.

Stefan Michel