Susan Dackerman: Dürer's Knots. Early European Print and the Islamic East, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2024, 200 S., ISBN 978-0-691-25044-1, USD 55,00
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Susan Dackerman (ed.): Painted Prints. The Revelation of Color in Northern Renaissance Engravings, Etchings & Woodcuts. With essays by Susan Dackerman and Thomas Primeau, exhibition catalogue, Baltimore Museum of Art, Baltimore (6 October 2002 - 5 January) and St. Louis Museum of Art, St. Louis (14 February - 18 May 2003), University Park, PA: The Pennsylvania State University Press 2002
Das große Verdienst von Susan Dackermans Studie "Dürers Knots. Early European Print and the Islamic East" liegt in der Neuinterpretation der islamisierenden Figuren und Formen in ausgewählten Druckgrafiken Albrecht Dürers und ihrer konsequenten Rückbindung an den historischen Kontext. Konzise wirft die Autorin Schlaglichter auf Dürers Zeitgenossenschaft, ihre komplexe Verflechtung mit Wirtschaft und Kultur, Geopolitik und Religion der Großmächte im Mittelmeerraum. Um Dürers Perspektive auf den "Islamischen Osten" ("Islamic East") zu rekonstruieren, operiert Dackerman durchgängig mit einem Begriffspaar, das sie auf das Mamluken- bzw. Osmanenreich projiziert und unscharf von anderen muslimischen Dynastien (etwa von den Timuriden und Safawiden) im bearbeiteten Zeitrahmen abgrenzt (2).
Dackerman gliedert ihr Buch in drei reich bebilderte Kapitel, denen sie einen einleitenden Überblick über die Präsenz muslimischer Motive in der europäischen Renaissancekunst im Spiegel der militärischen Auseinandersetzungen zwischen Mamluken, Osmanen und dem Heiligen Römischen Reich voranstellt. Dürers Verständnis der islamischen Welt ist von christlichen Polemiken wie Sebastian Brandts "Narrenschiff" geprägt, die der wachsenden Angst der christlichen Bevölkerung vor dem Osmanisch Reich Ausdruck verleihen (28-29).
Das erste Kapitel ist Dürers "Meerwunder" gewidmet. Nach einer ikonographischen und literarischen Spurensuche über Poggio Bracciolini (48), Andrea Mantegna (52) und Peregrino da Cesena (45, 55) legt Dackerman dar, dass der Kupferstich entgegen der Forschungsgeschichte nicht allein mit klassisch-antiken Motiven erklärt werden kann. [1] Vielmehr ist Dürers "Denkbild" (59) im Lichte der politischen Verstrickungen zwischen Venedig, Zypern und dem Mamlukenreich zu sehen. [2] Dackerman weist überzeugend nach, dass die Entführte Caterina Cornaro, die Königin von Zypern, und ihr Entführer, der gehörnte Meermann, ihre venezianischen Vormünder darstellen. Das unter dem Protektorat der Mamluken stehende Königreich Zypern war zwar tributpflichtig, unterhielt aber gute Beziehungen zu Sultan Kait-Bay (55-61). Als sich Venedig 1472 durch die Heirat Caterinas mit Jakob II. den Einfluss auf Zypern sicherte, der König aber wenige Monate später starb, setzte die Serenissima Caterina unter Druck, bis sie schließlich 1489 ihrer venezianischen Familie zurückgeführt wurde (55-57). Dürer stellt die unfreiwillige Überführung als melancholische Abschiedsszene dar, denn so wenig gefestigt ihre Herrschaft war, so sehr erfreute sich Caterina auf der kulturell vielfältigen Insel großer Beliebtheit. Dies erklärt nicht nur die erschrockenen, badenden Frauen am Ufer, sondern auch den ebenso aufgebrachten Mamluken, der mit erhobenen Armen den Verlust stabiler diplomatischer Beziehungen beklagt. Dackerman zeigt, dass der Stich nur unter Berücksichtigung des politischen Zeitgeschehens verständlich wird. Insgesamt bedient sich Dürer zwar klassischer Ikonographie, lädt diese aber mit einem politischen Drama auf, das vor allem seinen venezianischen Zeitgenoss:innen bekannt war und vielfach künstlerisch verarbeitet wurde (58-59).
Das zweite Kapitel bildet das Herzstück des Buches und besticht allein durch die visuelle Gegenüberstellung dreier bereits zu ihrer Zeit sehr erfolgreicher Künstler: Dürers Holzschnitte von sieben verschiedenen Knoten werden mit denen der Academia Vinciana (87) und den Bronzetellern Mahmud al-Kurdis (96, 100-101) verglichen, ikonographisch und technisch beschrieben (92). In ihrer historischen Marktanalyse des Mittelmeerraumes entflicht Dackerman, wie sich Dürer auf seiner Venedigreise mit islamischer Metallkunst vertraut machte. Dackerman beschreibt die Rolle Nordeuropas als Rohstofflieferant für Silber, Kupfer und Bronze; Metalle, die über den Knotenpunkt Venedig in den Seehandel gelangten. Doch Dürer unterhielt nicht nur enge Beziehungen zum deutschen Handelskontor, dem Fondaco dei Tedeschi. Als Sohn eines ungarischen Goldschmieds war dem Künstler das Wissen um die Metallverarbeitung bereits in die Wiege gelegt. Zudem besaß Dürers Geburtsstadt, das "proto-industrielle Nürnberg", über ein Jahrhundert lang eine Monopolstellung in der Kunst des Drahtziehens (107, 118). Der Draht, der zu einem international begehrten Produkt wurde, dient Dackerman als Metapher, um die besondere Stellung der Knoten in Dürers Werk und ihre vielschichtigen Implikationen zu erklären.
Das dritte Kapitel beleuchtet Dürers Sympathie für reformatorisches Gedankengut. Dackerman kontextualisiert Luthers 95 Thesen, zeigt sich versiert im Umgang mit deutschen Wortspielen und entschlüsselt Dürers enigmatisches "Denkbild" (59) der "Landschaft mit Kanone". In ihrer Neuinterpretation identifiziert Dackerman die Waffe als byzantinisches Auslaufmodell. Demütig übergeben die habsburgischen Soldaten den Osmanen das unbrauchbare Geschütz als Eingeständnis der eigenen Schwäche und als Zugeständnis an die feindliche, militärische Überlegenheit. Weit über Dürers Zeit hinaus galten die osmanischen "Büchsenmeister" als überlegenste Artillerie (140, 177), die erst vor den Toren Wiens auf erfolgreichen Widerstand stoßen sollte. Bis dahin war Luther in seiner Kritik am Ablasshandel zur Finanzierung eines neuen Kreuzzugs der fatalistischen Überzeugung, dass der osmanische Feldzug die gerechte Strafe für die verkommene katholische Kirche sei (143-145). In Nürnberg - einer Reichsstadt, die sich offiziell zur Reformation bekannte - brachte Dürer Luthers Kritik zu Papier, indem er den päpstlichen Kanon als überholte, kaputte Kanone im Moment der Übergabe an die Osmanen darstellte. Lange als Drohgebärde Maximilians I. gedeutet, entpuppt sich die Szene als reformatorische Reaktion auf den Ablasshandel (129, 149). Einmal mehr zeigt Dackerman die Bedeutung des politischen Zeitgeschehens für die Entschlüsselung von Dürers Bilderfindungen.
Insgesamt bietet Dackerman in "Dürers Knots" drei starke Neuinterpretationen einschlägiger Druckgraphiken des deutschen Renaissancekünstlers. Dackerman gelingt es, die Präsenz islamischer Motive nicht nur aus den materiellen, sondern auch aus den textlichen Quellen zu erschließen. Ihre Forschung lässt sich hervorragend mit dem zeitgenössischen Diskurs um den Arabesken-Begriff ergänzen. [3] Wünschenswert wären eine konkretere Terminologie, ein Literaturverzeichnis und eine Darstellung des Forschungsstandes aus einschlägigen neueren Publikationen gewesen. Dank des schlanken Formats, des knappen Fußnotenapparats und des Index kann das Buch eine breite Leserschaft ansprechen, während sich Kunsthistoriker:innen zugleich an der gelungenen Rekonstruktion von Dürers Perspektive auf die islamische Ikonographie und der Integration islamisierender Motive in seinem Werk erfreuen können.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Jana Graul: Neid. Kunst, Moral und Kreativität in der Frühen Neuzeit, München 2022, 25.
[2] Thomas Schauerte: Dürer. Das ferne Genie. Eine Biographie, Stuttgart 2012, 186-97.
[3] Vgl. Robert Brennan: 'Arabesques': The Making and Breaking of a Concept in Renaissance Italy, in: The Art Bulletin 105/1 (2023), 9-36. Kathryn Moore: Kufesque between Pilgrimage and Polemic: representations of Arabic in Italian Altarpieces, 13th-15th centuries, in: Peregrinations: Journal of Medieval Art and Architecture 7/4 (2021), 152-215; The religious architecture of Islam, ed. by Kathryn Moore / Hasan-Uddin Khan, Turnhout 2021.
Gregor Meinecke