Stephan Laux: Reformationsversuche in Kurköln (1542-1548). Fallstudien zu einer Strukturgeschichte landstädtischer Reformation (Neuss, Kempen, Andernach, Linz) (= Reformationsgeschichtliche Studien und Texte; Bd. 143), Münster: Aschendorff 2001, 511 S., ISBN 978-3-402-03807-9, DM 126,00
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Sowohl der 142. als auch der 143. Band der Reformationsgeschichtlichen Studien und Texte befassen sich mit den geistlichen Kurfürstentümern und Erzstiften des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation im 16. Jahrhundert, dem Jahrhundert also, das im geschichtswissenschaftlichen Diskurs der Gegenwart vornehmlich über das Paradigma Konfessionalisierung gedeutet wird. Was Untersuchungszeitraum und Methodik anbelangen, unterscheiden sich die beiden Arbeiten allerdings grundsätzlich.
Stephan Laux' Untersuchung der landstädtischen Reformationsversuche konzentriert sich auf die Jahre 1542 bis 1548, als im Anschluss an den Regensburger Reichstag von 1541 der Reformationsversuch des Kölner Kurfürsten und Erzbischofs Hermann von Wied in seine entscheidende Phase trat, um nach seiner Amtsenthebung 1546 und dem kaiserlichen Sieg über die Schmalkaldener 1547 zusammenzubrechen. Mit Neuss, Kempen, Andernach und Linz konzentriert sich Laux auf diejenigen Orte des Kölner Territoriums, die - von Bonn abgesehen - die stärksten landstädtischen Reformationsversuche verzeichneten. Gestützt wird das qualitative Auswahlkriterium durch typologische Gesichtspunkte: Neuss (5.000 Einwohner) und Andernach (2.200 Einwohner) repräsentieren nach Laux den Typus der Mittelstädte, während Kempen und Linz als Kleinstädte (2.000 bzw. 1.200 Einwohner) apostrophiert werden. Überdies unterschieden sich die Städte in ihren administrativen Funktionen und ihren Raumbezügen - Neuss und Andernach waren die beiden Direktorialstädte des Erzstiftes, letzteres gehörte überdies mit Linz kirchenrechtlich zur Trierer Diözese und wies damit über das Kölner Hochstift hinaus.
Gemeinsam war den vier untersuchten Städten vor allem eines: die Tatsache, dass die Stadtpfarreien formell oder faktisch (Andernach) geistlichen Instituten inkorporiert waren und somit im kirchlich-seelsorgerlichen Bereich vergleichbare institutionelle Rahmenbedingungen herrschten.
Die Quellenlage für das ambitionierte, vom Verfasser am Schnittpunkt zwischen Forschungen zum Themenfeld Stadt und Reformation und Territorialgeschichte (41) angesiedelte Forschungsvorhaben dürfte allerdings als nicht unproblematisch zu bezeichnen sein: Hauptquelle der Darstellung sind im Falle von Neuss die Ratsprotokolle, von Kempen der Urkundenbestand des Gladbacher Benediktinerklosters, in das die Kempener Pfarrei inkorporiert war, sowie die im Fürstlich Neuwiedschen Archiv, Neuwied, verwahrte Korrespondenz des Amtmanns Wilhelm von Rennenberg, während für Andernach und Linz vor allem umfangreiche Rechnungsserien und Urkunden bzw. Stadtrechnungen und die Überlieferung der katholischen Pfarrgemeinde zugrunde gelegt wurden. Die Quellenlage (16-19; 77-80, 170f, 267f, 349-351) ist somit als disparat zu bezeichnen.
Die diffizile Überlieferungslage dürfte die methodische Entscheidung des Verfassers, Fallstudien zu einer Strukturgeschichte landstädtischer Reformation zu schreiben, in einer doppelten Weise beeinflusst haben: zum einen in der Entscheidung, Fallstudien zu einer Strukturgeschichte landstädtischer Reformation und eben keine Strukturgeschichte landstädtischer Reformation schreiben zu wollen - in der Tat wirken die Untersuchungen zu den einzelnen Städten eher additiv-aggregiert als analytisch-synthetisiert; zum andern in der Entscheidung zugunsten des methodischen Zugriffs der Strukturgeschichte, womit Laux keine normative oder gar deterministische Auffassung, sondern eine Methode, die mehrere spezifische Einzelfälle einer perspektivisch möglichst umfassenden Betrachtung unterzieht, verbindet (29).
Die strukturgeschichtliche Konzeptualisierung schlägt sich im Aufbau der Arbeit insofern unmittelbar nieder, als Laux die vier zu untersuchenden Landstädte einem identischen Analysemuster unterzieht: der einleitenden Skizzierung der Quellen- und Literaturlage folgt die das Spätmittelalter einbeziehende Konstellationsanalyse, gleichsam die Folie der als Ereignisgeschichte konzipierten städtischen Reformationsversuche. Beschlossen werden die einzelnen Fallstudien durch Zusammenfassungen, die im Anhang durch eine Prosopographie der politischen Führungsgruppen der untersuchten Städte ergänzt werden (Ausnahme: Linz). Zu den wichtigsten Ergebnissen der sich dezidiert von der bisherigen, stark konfessionell (August Franzen) und ortsgeschichtlich geprägten Historiographie abgrenzenden Studie zählt der Nachweis, dass in den untersuchten Orten originäre lokale Reformbestrebungen mit dem obrigkeitlich initiierten Reformversuch korrelierten, die protestantische Überformung des lokalen Kirchenwesens mithin keineswegs nur von oben oktroyiert war. Über das dass gelangt die Studie aufgrund der Quellensituation allerdings nur insofern hinaus, als innerstädtische Faktoren aufgezeigt werden konnten, die dem Reformationsversuch förderlich waren: insbesondere die Verknüpfung von reformatorischer Neigung mit dem Anspruch auf Teilhabe an politischer Macht beziehungsweise dem Versuch, Konkurrenten um die Macht in der Stadt zu überflügeln, die Bedeutung der lokalen Herrschaftsträger (Amtmänner) für die landstädtischen Reformationen und, vor allem, der aus den Defiziten der tradierten kirchlichen Strukturen resultierende Zwang der Magistrate, auf eine Verbesserung der städtischen Seelsorge hinzuwirken. Dass diese ihrerseits bestrebt waren, kirchliche und städtische Strukturen einander anzupassen, war bislang nur aus Forschungen zur reichsstädtischen Reformationsgeschichte bekannt.
Laux gelingt somit der Nachweis, dass Ergebnisse aus dem Forschungsfeld Reichsstadt und Reformation auf die bislang erst in Ansätzen untersuchten Landstädte partiell übertragbar sind. Angesichts der sich somit abzeichnenden strukturellen Analogie zwischen reichsstädtischen und landstädtischen Reformationen erhofft er sich von zukünftigen Forschungen, neuen Aufschluss über die (...) genossenschaftliche Geschlossenheit stadtreformatorischer Prozesse (415) zu erhalten. Ob die von ihm aufgezeigte Forschungsperspektive allerdings nicht besser durch die Frage nach der Bedeutung des Faktors Herrschaft für die Genese beziehungsweise dem Gelingen oder Scheitern reformatorischer Entwicklungschancen in Landstädten ersetzt werden sollte, scheint weiterer Überlegungen zu bedürfen. In diesem Problemfeld, bei dem letztendlich die Staatlichkeit der frühneuzeitlichen Territorien auf dem Prüfstand steht, zeigt die Studie - quellenbedingt - Schwächen. Was der Autor immerhin neben der bereits angesprochenen Korrelation zeigen kann, ist, dass die landstädtischen Reformationen den Reformationsversuch Hermann von Wieds insofern überdauerten, als innerstädtische protestantische Strömungen zum Teil bis in die 1580er Jahre nachweisbar sind. Conditio sine qua non war allerdings, dass der Landesherr dies faktisch tolerierte. Der in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts anlaufenden katholischen Konfessionalisierung konnten sich die Landstädte hingegen nicht widersetzen. Insofern liefern die landstädtischen Reformationen Indikatoren für die relative Stärke beziehungsweise Schwäche der Landesherrschaft.
Während sich Laux in seiner Untersuchung der gescheiterten landstädtischen Reformationsversuche im Erzstift Köln im wesentlichen auf das vierte Dezennium des 16. Jahrhunderts konzentriert, nimmt die bei Günther Lottes an der Universität Gießen entstandene Dissertation Alexander Jendorffs die gesellschaftlichen Handlungsspielräume kirchlichen Wandels im Erzstift Mainz über mehr als ein Jahrhundert in den Blick, von 1514 (dem Regierungsantritt Albrechts von Brandenburg) bis 1630 (Regierungsantritt Anselm Kasimir Wambold vom Umstadts 1629). Die außerordentlich differenzierte Studie versteht sich als Beitrag zu einer vergleichend konzipierten Landesgeschichte - das Zweitgutachten der Arbeit erstellte bezeichnenderweise Peter Moraw. Ihr zentrales Anliegen ist es, die verschiedenen Wirkungsphasen und -formen der ins Spätmittelalter zurückreichenden Reformbestrebungen im Bereich der katholischen Kirche in einem geistlichen Fürstentum in den Blick zu nehmen, insbesondere die gesellschaftlichen Mechanismen, die auf die Entwicklung kirchlich-religiöser Erneuerung einwirkten, sie modifizierten, mit denen sie jedoch auch selbst zu wirken begann (26). Als konstitutiv für den Prozess der Reformatio Catholica im Mainzer Erzstift arbeitet Jendorff den Grundkonsens der Mainzer Erzbischöfe und der das Stift tragenden adeligen Führungsgruppen heraus, auf der Basis der niemals ernsthaft in Frage gestellten Katholizität des Hochstiftes auf die religiösen und politischen Herausforderungen, wie sie sich im Kontext der spätmittelalterlichen Reformdiskussion und vor allem der Reformation stellten, zu reagieren.
Was die intendierte Reichweite der Reformansätze, ihre Umsetzung und ihre Wirkung anbelangt, unterscheidet Jendorff drei Phasen in der Reformpolitik der Mainzer Erzbischöfe: Für die erste Phase - Reform an Haupt und Gliedern (1514-1555) stehen die Kurfürsten und Erzbischöfe Albrecht von Brandenburg und Sebastian von Heusenstamm. Die partielle Modernisierung der territorialstaatlichen Verwaltung (Albrecht von Brandenburg) sowie die Ablösung der in der Reformtradition des 14. Jahrhunderts stehenden, auf die Disziplinierung der Klöster und Stifter zentrierten bischöflichen Reformpolitik durch ein vom Humanismus geprägtes und in die Mainzer Reformkonstitutionen von 1542 eingebrachtes Reformkonzept kennzeichnen diese Phase Mainzer (Reform-)Politik, die innerhalb der Diözese auf zahlreiche Widerstände stieß. Der theologischen Herausforderung durch die Reformation wurde somit bereits vor dem Tridentinum innovativ begegnet (der Zwang zur Reform somit konstatiert), sie selbst vor allem als Ordnungsproblem innerhalb des Reichsverbandes und innerhalb des Territoriums perzipiert. Ihre konkreten Auswirkungen auf die kirchliche und politische Stellung der Mainzer Kurfürsten und Erzbischöfe waren gravierend: der Bauernkrieg erwies sich als existentielle Bedrohung für das Hochstift, der gleitende Übergang wichtiger benachbarter Territorien zur Reformation brachte den Verlust geistlicher Jurisdiktionsrechte und Einnahmen in nunmehr protestantischen Gebieten und destabilisierte die obrigkeitliche Position des zweiten Mannes im Reich vor allem in umstrittenen Herrschaftsbereichen. Konsequenterweise profilierten sich die Mainzer als Gegner der kaiserlichen Reunionspolitik der frühen 1540er Jahre und suchten den kaiserlichen Sieg über die Schmalkaldener zu einer Revindikationspolitik in ihrem geopolitischen Umfeld zu nutzen - ein politischer Ansatz, der im Fürstenaufstand 1552 zusammenbrach und die Abhängigkeit der Mainzer Kurfürsten nicht nur von regionalen Machtkonstellationen, sondern vom übergeordneten System Reich eindrücklich unter Beweis stellt.
Mit dem Augsburger Religionsfrieden 1555 beginnt eine neue Phase der Mainzer Reformpolitik, für die vor allem die Mainzer Kurfürsten und Erzbischöfe Daniel Brendel von Homburg und Wolfgang von Dalberg stehen. Jendorff bezeichnet sie mit dem vom katholischen Kirchenhistoriker Ludwig Veit geprägten Begriff Kompromisskatholizismus, ersetzt jedoch die pejorative Wertung Veits durch eine positive, auf die Handlungszwänge der Mainzer Erzbischöfe reflektierende Würdigung des Mainzer politischen Stils. Dessen Logik war von dem Zwang zu kirchlichen Reformen auf der Basis der tridentinischen Dekrete einerseits, der Wahrung der säkularen Interessen des Mainzer Territoriums andererseits bestimmt. Beginnende katholische Konfessionalisierung, indiziert etwa durch eine stärkere Berücksichtigung konfessioneller Gesichtspunkte in der Personalpolitik des erzbischöflichen Regierungs- und Verwaltungsapparates, moderate Versuche der Herrschaftsstabilisierung vor allem in den peripheren Stiftsterritorien, und eine bewusste Strategie der Konfliktvermeidung charakterisieren den Mainzer politischen Stil der Jahre 1555 bis circa 1600. Er erscheint funktional, insofern er reichspolitische Rahmenbedingungen, geopolische Lage des Hochstifts in einem dominant protestantischen Umfeld und innerterritoriale Interessenkonstellationen in Rechnung stellt.
Mit Beginn des 17. Jahrhunderts datiert Jendorff den Umschwung vom Kompromiss- zum Konfrontationskatholizismus, für den die Fürstbischöfe Johann Adam von Bicken (1601-1604) und Johann Schweikard von Kronberg (1604-1626) stehen. Die Bündelung der bisherigen Reformmaßnahmen in neuen Ordnungen (Kirchenordnung 1615, Additionalartikel 1617), die symbolische Darstellung des erneuerten Katholizismus (Feier des päpstlichen Jubeljahres 1602), vor allem aber die aggressiv-militärische Durchsetzung des erneuerten Katholizismus am Hof (1603) und im Territorium, sowohl in den protestantischen Enklaven des Kerngebietes als auch in den peripheren Stiftsgebieten, charakterisieren den neuen politischen Stil, der nicht zuletzt vom Verlauf des Dreißigjährigen Krieges (bis zur Intervention der Schweden 1631) zu profitieren suchte.
Nach der von den Erzbischöfen und ihrer Regierung vertretenen Reformpolitik nimmt Jendorff die anderen Systempartizipienten (26) in den Blick - Domkapitel, Funktions- und Standeseliten, Gemeinde/Bevölkerung sowie Klöster, Orden und Stifte. Die Fülle der Ergebnisse angemessen würdigen zu wollen würde den Rahmen einer Rezension bei weitem sprengen. Daher mögen einige Hinweise genügen. Das Domkapitel, in der bisherigen Forschungstradition eher als innerdiözesanes Hindernis der Durchsetzung der katholischen Reform verortet, wird einer differenzierten Betrachtung unterzogen: Das Kapitel gehörte in den 1520er Jahren zu den entschiedensten Gegnern der als politisch-destabilisierend bewerteten lutherischen Reformationsbestrebungen im Stiftsgebiet, es zeigte sich auch zukünftig ausweislich der Wahlkapitulationen als problembewusst und reformaufgeschlossen. Die Handlungslogik der Domherren basierte letztlich jedoch auf einem vor-konfessionellen Katholizismus, prägend waren die Verteidigung der eigenen Privilegien und eine Mentalität, die das Kapitel vor allem als Versorgungsinstitut für den Adel betrachtete. Die Befürwortung von Reformen und der faktische Versuch, die eigene Lebenssphäre gegen Reformen abzuschließen, erklären sich von hier aus ebenso wie die Duldung (krypto)protestantischer Domherren in den eigenen Reihen und die Widerständigkeit gegenüber den Agenten des katholischen Konfessionalismus, insbesondere den Jesuiten.
Für die Funktionseliten bedeutete der kirchlich-religiöse Wandel eine Neustrukturierung der Verwaltungsorganisation (Ausbau der Vikariatsverfassung - geistliches Kommissariat) und eine verstärkte, allerdings nach wie vor stark personal geprägte Abhängigkeit von der Zentralregierung. Vor allem der Klerus sah sich - dank seiner Vorbildfunktion für die Reformentwicklung und als Transmissionsriemen herrschaftlicher Gewalt - disziplinierend-regulierenden Zugriffen der Obrigkeit ausgesetzt, die seit den 1580er Jahren wahrnehmbar zu greifen begannen. Derselbe Zeitraum markiert auch in den Beziehungen zwischen den Amtmännern und den geistlichen Kommissaren eine eigene Phase, in der die bis dato bestehenden Reibungsflächen abgebaut werden konnten. Nach wie vor blieben aber die Bindung der Amtmänner an die lokalen Kontexte und ein weites Spektrum an Einstellungen zur kirchlichen Reform, das - vor allem bei den Unterbeamten - bis zur offenen Gehorsamsverweigerung aus konfessionellem Eigeninteresse gehen konnte. In ähnlicher Weise sahen sich die gemeindlichen Selbstverwaltungseliten genötigt, die (potentiellen) Spannungen zwischen den Verhaltenserwartungen der Obrigkeit und der Gemeinde neu auszubalancieren.
Ein glänzendes Kapitel analysiert das Verhalten des Adels im Erzstift: Die Heterogenität dieser hochkomplexen sozialen Standesgruppe mit sozialpolitisch wie regional divergierenden Interessenlagen wird herausgearbeitet, die sozial, weniger religiös begründete Korrelation zwischen der ihre Verfügungsgewalt über das Erzstift ausbauenden mittelrheinischen Ritterschaft und der Katholizität des geistlichen Fürstentums akzentuiert.
Die Laien, im Unterschied zur Geistlichkeit erst in der zweiten Reformphase mit Reformanforderungen konfrontiert, akzeptierten den kirchlich-klerikalen Hegemonieanspruch über weite Strecken und integrierten die obrigkeitlichen Glaubensvorgaben in ihre Lebenswelten, nicht ohne sie konstruktiv zur Durchsetzung eigener Interessen zu nutzen. Das Verhältnis der reformkatholischen Kirche zur Volksfrömmigkeit lässt sich daher als asymmetrische symbiotische Beziehung beschreiben. Insgesamt freilich zeigten die Laien ein hohes Maß an Akzeptanz, das sich nicht zuletzt aus ihrem Interesse an einer funktionsfähigen lokalen Kirche speiste.
Die seit dem 15. Jahrhundert mit erzbischöflichen Reformanforderungen konfrontierten alten Orden, in der Mainzer Diözese insbesondere die Benediktiner, in zweiter Linie auch die Zisterzienser und Prämonstratenser, spielten für die katholische Reform eine untergeordnete, aber keineswegs zu vernachlässigende Rolle; die kurfürstlich-erzbischöfliche Regierung wies ihnen zwar eine funktionale Rolle bei der Katholisierung der Gesellschaft zu, förderte jedoch vor allem die Reformorden (Jesuiten und Kapuziner), denen beim Prozess der kirchlichen Erneuerung eine Schlüsselfunktion zukam. Als weitgehend reformunfähig erwiesen sich hingegen die Kollegiatstifte, zumal die Regierung selbst traditionelle Praktiken perpetuierte und Stiftspfründe als Sinekuren für das fürstbischöfliche Führungspersonal vergab.
Jendorff hat ein kluges, außergewöhnlich differenziertes Buch geschrieben, das über weite Strecken überzeugt. Zu hinterfragen scheint mir allerdings sein Phasenmodell der Reformatio Catholica zu sein, vor allem der Übergang vom sogenannten Kompromiss- zum Konfrontationskatholizismus um 1600. Aus der Mainzer Binnenperspektive betrachtet, aus der Jendorff sein Buch konzipiert hat, mag seine Typisierung plausibel erscheinen. Vom übergeordneten System des Reichsverbandes her betrachtet, erscheint sie jedoch problematisch - aus zwei Gründen:
1. Johann Schweikard agierte, der traditionellen Rolle des zweiten Mannes im Reich entsprechend, als Reichs(religions)politiker bis weit in das zweite Dezennium des 17. Jahrhunderts hinein zurückhaltend, auf den Ausgleich zwischen den Konfessionen bedacht. [1] Zu konstatieren sind somit unterschiedliche Verhaltensweisen in unterschiedlichen politischen Kontexten, oder, anders formuliert, die Fähigkeit, zwischen der Rolle als Landesherr und als Reichspolitiker unterscheiden zu können.
2. Bereits in den 1580er Jahren zeichnete sich der Wandel im Verhältnis der Konfessionen ab, dem sich der Augsburger Religionsfriede nicht gewachsen zeigte. Den geistlichen Territorien, die Jendorff am Beispiel Mainz mustergültig aufgearbeitet hat, dürfte hierbei insofern eine entscheidende Bedeutung zuzumessen sein, als sich mit ihrem Übergang zur Konfessionalisierung die Spannungen innerhalb des Reichsverbandes exponentiell steigerten, (mit)bedingt durch eine Vielzahl lokaler, aus konkurrierenden Rechtstiteln sich speisender Streitigkeiten zwischen konfessionsverschiedenen Obrigkeiten. Keineswegs zufällig stieg in den 1580er Jahren die Zahl der Religionsprozesse vor dem Reichskammergericht dramatisch an, wobei die geistlichen Stifte vor allem als Kläger, die weltlichen Territorien vor allem als Beklagte firmierten. [2] Die Konfessionalisierung der Territorien zeitigte mithin Konsequenzen für das System Reich - keineswegs zufällig war es die Justizfrage, an der das Augsburger System scheiterte.
Anmerkungen:
[1] Dazu Andrea Litzenburger: Kurfürst Johann Schweikard von Kronberg als Reichserzkanzler. Mainzer Reichspolitik am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges (1604-1619) (= Geschichtliche Landeskunde; Bd. 26), Stuttgart 1985.
[2] Filippo Ranieri: Recht und Gesellschaft im Zeitalter der Rezeption. Eine rechts- und sozialgeschichtliche Analyse der Tätigkeit des Reichskammergerichts im 16. Jahrhundert (= Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich; Bd. 17, 1 und 17,2), 2 Bde., Köln / Wien 1985.
Gabriele Haug-Moritz