Martina Fuchs: Karl V. Eine populäre Figur? Zur Rezeption des Kaisers in deutschsprachiger Belletristik (= Geschichte in der Epoche Karls V.; Bd. 1), Münster: Aschendorff 2002, 416 S., ISBN 978-3-402-06570-9, EUR 51,00
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Martina Fuchs hat sich in ihrer in Wien entstandenen und von Alfred Kohler betreuten Dissertation einer "Quellengattung" angenommen, die bislang von der an "Erinnerungskulturen" interessierten Forschung weitgehend vernachlässigt wurde - der "historisch-belletristischen Dichtungen" (12), im konkreten Fall: zu Person und Wirken Kaiser Karls V. Wiewohl sich, wie Fuchs anschaulich schildert, die Erhebung des Quellenkorpus sehr schwierig gestaltete, ist es ihr gelungen (falls die Rezensentin richtig gezählt hat), etwas mehr als 100 deutschsprachige Texte des 17. bis 20. Jahrhunderts zu ermitteln, die sich in der Absicht, das Publikum zu unterhalten, mit dem Leben Karls V. - beziehungsweise mit Detailaspekten desselben - befassen. Da nur fünf der etwas mehr als achtzig ausführlich präsentierten literarischen Werke dem 17. respektive 18. Jahrhundert entstammen, fällt nicht ganz so sehr ins Gewicht, dass die über die "Qualität der Texte oder auch [...] ihre Funktion" (33) bestimmte Kategorie der "Unterhaltungsliteratur" keiner weiterreichenden, diachron differenzierten Definition unterzogen wird. Denn dass sich der Unterhaltungsbegriff über die vier untersuchten Jahrhunderte hinweg inhaltlich wie funktional grundlegend veränderte, dürfte keinem Zweifel unterliegen.
Für das 19. und 20. Jahrhundert kann Fuchs eine große Konstanz an Themen ausmachen, die aus dem Leben und Wirken Karls V. erinnert wurden, was es ihr erlaubt, ihre Untersuchung in vier große Kapitel zu gliedern: "A. Die Vita des Kaisers und Feldherrn"; "B. Die Familie", untergliedert in Werke, die sich mit den Frauen im Leben Karls V. befassen und solchen, welche die Söhne zum Thema haben (den ehelich geborenen späteren spanischen König Philipp II. und den Karls Liaison mit der Regensburger Bürgertochter Barbara Blomberg entsprossenen, später Don Juan de Austria genannten illegitimen Sohn); "C. Die Fürsten" - Kurfürst / Herzog Johann Friedrich der Ältere von Sachsen und Herzog / Kurfürst Moritz von Sachsen; während D schließlich von solchen Texten handelt, die auf Karls Leben nach seiner 1556 erfolgten Abdankung als Kaiser Bezug nehmen ("Karl V. in Yuste: der 'Mönch'?"). Der Aufbau der einzelnen Kapitel ist identisch: Einer knappen historiographischen Einführung folgen die zusammenfassende Charakterisierung des jeweiligen Aspekts der Karls-"memoria" und ausführliche "Werkpräsentationen". Die detaillierten Werkpräsentationen, die nach einem einheitlichen Schema aufgebaut - Autorenbiografie (soweit bekannt), Inhaltsangabe und Interpretation des Werkes - und chronologisch angeordnet sind, erlauben es, die Deutung Fuchs' nachzuvollziehen und machen die Untersuchung auch zu einem kleinen "Nachschlagewerk" für die künftige Forschung.
Versucht man das dergestalt entstehende Bild nachzuzeichnen, so wird man sich der Bewertung Fuchs' anschließen, dass der Gesamteindruck disparat ist, das heißt, dass keine klaren Entwicklungslinien in der Bewertung der historischen Herrscherpersönlichkeit Karls V. erkennbar sind, gleich ob Karl in der Rolle des "Privatmannes" oder des "Herrschers" geschildert wird. Auch in der Unterhaltungsliteratur, die sich mit Karl V. beschäftigt, ist freilich zu greifen, was die an der identitätsstiftenden Funktion der "mémoire" interessierte Forschung konstatiert hat - die allmähliche Ausformung nationaler Gedächtniskulturen. Auf Karl V. bezogen bedeutet dies, dass für die österreichischen Autoren ein positiveres Karlsbild zu konstatieren ist als für die deutschen. Insbesondere in dem belletristisch zur Zeit der kleindeutschen Reichsgründung (1870/71) und der NS-Zeit besonders breit aufgearbeiteten Verhältnis Moritz' von Sachsen zu Kaiser Karl V., dem sich ausschließlich in Deutschland lebende Autoren zuwandten, überwiegen, wenn auch nicht ohne Brechungen, die negativen Charakterisierungen des Habsburgers. In den Dramen, die vorrangige literarische Form, in die diese Geschichte von Freundschaft und Verrat gekleidet wurde, erscheint Karl als der Exponent einer fremden (katholischen), die (protestantischen) Deutschen knechtenden Dynastie. Dass in die belletristische Stoffgestaltung Deutungsangebote einflossen, wie sie bereits von den Zeitgenossen des Kaisers verbreitet wurden, so etwa die Vorstellung von Moritz als 'Retter der deutschen Freiheit' vor der in Karl V. verkörperten 'viehischen, spanischen Servitut' (44, Anm. 103), belegen die - auch über die Geschichtswissenschaft des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts tradierte - lange Dauer und die fortdauernde Wirkmächtigkeit schon früh geformter Wahnehmungsstereotypen.
Und so wird man einen Grund, dass "Karl V. in den meisten Fällen [scilicet literarischen Werken] eine Randfigur bleibt" (21), auch darin zu suchen haben, dass schon der Schwerpunkt der zeitgenössische Karlsmemoria des 16. Jahrhunderts nicht in den mitteleuropäischen Herrschaftsgebieten des Kaisers, sondern in Spanien gelegen hatte.[1] Spannend wäre es daher, das von Fuchs anhand der deutschsprachigen Unterhaltungsliteratur dargelegte Karlsbild um eine Untersuchung zur spanischsprachigen Literatur zu ergänzen. Alles in allem freilich wird man, trotz der Vielzahl der von Fuchs eruierten Werke, festhalten können, dass die im Titel aufgeworfene Frage nach der Popularität Karls V. in den auf ein breiteres Publikum zielenden Werken eher zu verneinen denn zu bejahen ist. Dies aufgezeigt und auch auf eine bislang vernachlässigte Quellengattung aufmerksam gemacht zu haben, die man nicht übersehen sollte, wenn man sein Augenmerk auf die Formen und Wandlungen des kollektiven Gedächtnisses richtet, ist das Verdienst der Arbeit von Fuchs.
Anmerkung:
[1] Ein eindrückliches Beispiel bei Rainer Wohlfeil: Kriegsheld oder Friedensfürst? Eine Studie zum Bildprogramm des Palastes Karls V. in der Alhambra zu Granada, in: Christine Roll u.a. (Hg.): Recht und Reich im Zeitalter der Reformation. Festschrift für Horst Rabe, 2. Aufl. Frankfurt/M. u.a. 1997, S.57-96.
Gabriele Haug-Moritz