Werner Buchholz (Hg.): Kindheit und Jugend in der Neuzeit 1500 - 1900. Interdisziplinäre Annäherungen an die Instanzen sozialer und mentaler Prägung in der Argrargesellschaft und während der Industrialisierung. Das Herzogtum Pommern (seit 1815 preußische Provinz) als Beispiel, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2000, 330 S., ISBN 978-3-515-07259-5, EUR 49,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in PERFORM.
Helga Schnabel-Schüle (Hg.): Reformation. Historisch-kulturwissenschaftliches Handbuch, Stuttgart: J.B. Metzler 2017
Sylvia Schraut / Gabriele Pieri: Katholische Schulbildung in der Frühen Neuzeit. Vom "guten Christenmenschen" zu "tüchtigen Jungen" und "braven Mädchen". Darstellung und Quellen, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2004
Thomas Schilp (Hg.): Reform - Reformation - Säkularisation. Frauenstifte in Krisenzeiten, Essen: Klartext 2004
Matthias Asche / Werner Buchholz / Anton Schindling (Hgg.): Die baltischen Lande im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Livland, Estland, Ösel, Ingermanland, Kurland und Lettgallen. Stadt, Land und Konfession 1500-1721. Teil 1, Münster: Aschendorff 2009
Werner Buchholz (Hg.): Das Ende der Frühen Neuzeit im "Dritten Deutschland". Bayern, Hannover, Mecklenburg, Pommern, das Rheinland und Sachsen im Vergleich, München: Oldenbourg 2003
Die landesgeschichtliche Forschung in Pommern konnte nach der Wiedervereinigung unter neuen Voraussetzungen - grenzüberschreitend und frei von politischen Ressentiments und Vorgaben - wieder belebt werden. Der noch junge Greifswalder Lehrstuhl für Pommersche Landesgeschichte und Landeskunde trug hierzu bereits 1998 mit einem wegweisenden Tagungsband bei, der eine umfassende Bestandsaufnahme landesgeschichtlicher Forschung in Deutschland darstellte [1]. Mit dem nun vorliegenden Band werden die Ergebnisse einer landeskundlichen Tagung zur Kindheits- und Jugendgeschichte dokumentiert: Anhand von pommerschem Quellenmaterial untersuchen Wissenschaftler so unterschiedlicher Disziplinen wie Historische Geografie, Niederdeutsche Philologie, Deutsche Literaturgeschichte, Medizingeschichte, Mittelalterliche Geschichte, Volkskunde, Pädagogik, Sportwissenschaft, Pharmaziegeschichte und Landesgeschichte die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Voraussetzungen und Bedingungen von Kindheit und Jugend in der Neuzeit, wobei der zeitliche Rahmen bewusst weit, vom 16. bis ins frühe 20. Jahrhundert, gespannt wurde.
Das ehemalige Herzogtum beziehungsweise die preußische Provinz Pommern liegt quer zu heutigen nationalstaatlichen Grenzen. Neben der auf älteren Traditionen fußenden deutschen hat sich dementsprechend nach dem zweiten Weltkrieg auch eine polnische Forschung entwickelt, die in Zeiten des Kalten Krieges vor allem in Bezug auf die Geschichte Hinterpommerns mehr leisten konnte, als von westdeutscher Seite möglich und von DDR-Seite opportun war [2]. Diesem Umstand trägt der Band dadurch Rechnung, dass zumindest vier der zwanzig Beiträge von polnischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verfasst wurden. Auffällig ist allerdings die unterschiedliche Behandlung der Forschung des jeweiligen Nachbarlandes: Während von polnischer Seite neuere deutschsprachige Publikationen wie auch die ältere Literatur der Vorkriegszeit ausführlich konsultiert werden, fehlt in den deutschen Beiträgen eine entsprechende Rezeption oder auch nur der Verweis auf die polnische Forschung. Ob die Gründe hierfür in der tatsächlichen Literaturlage, den ungenügenden Polnischkenntnissen der beteiligten deutschen Autorinnen und Autoren oder einer unbewussten Übernahme der Gewohnheiten einer älteren, von nationalen Gegensätzen geprägten Historikergeneration zu suchen sind, sei dahingestellt (die einleitenden Bemerkungen von Werner Buchholz, 7-16, hier 12, schließen letzteres freilich eher aus). Zu warnen ist in jedem Fall vor einem nur einsprachigen und damit einseitigen deutsch-polnischen Wissenschaftsdialog.
Der Konzeption des Bandes wurden wesentliche Prämissen landeskundlicher Forschung, wie die Beschränkung des Untersuchungsraumes bei gleichzeitiger Ausweitung der zeitlichen Perspektive und Interdisziplinarität, zu Grunde gelegt. Dass es allerdings eine spezifisch pommersche Kindheit und Jugend gegeben habe, bezweifelt der Herausgeber bereits in der Einleitung. Festzustellen sei vielmehr, dass "vom heutigen Kenntnisstand aus eine Abgrenzung unter prinzipiellen Kriterien von der Kindheit in anderen deutschen Kulturlandschaften nicht möglich ist." (10 folgende) Zwar wird diese Einschätzung im folgenden Abschnitt wieder dahingehend relativiert, dass die Kindheit in Pommern im Zusammenhang mit "einer breiter angelegten norddeutsch, lutherisch und im weiteren Sinne agrarisch geprägten Kindheit" (11) gesehen werden könne. Es fragt sich meines Erachtens aber dennoch, ob diesbezüglich in vergleichender landesgeschichtlicher Perspektive nicht noch genauere Differenzierungen möglich sind. Diese Frage stellt sich um so deutlicher, wenn im vorliegenden Band gerade die Instanzen mentaler und sozialer Prägung untersucht und damit neben historisch-anthropologischen Aspekten der Kindheitsgeschichte wie den Eltern-Kind-Beziehungen auch die rechtlichen Rahmenbedingungen und Institutionen wie Schulen, Waisenhäuser oder Vereine in den Blick genommen werden. Gerade hier ergeben sich ja zum Teil erhebliche landesspezifische Unterschiede - auch unter den norddeutschen Territorien. Ob sich daraus spezifische, räumlich abzugrenzende 'Kindheitsmuster' entwickelten oder ob es tatsächlich "keine deutlich erkennbaren, von Region zu Region unterschiedlichen Prägungen in der Kindheit gegeben" (9) hat, kann meines Erachtens erst diskutiert werden, wenn auch für andere Regionen ähnlich vielschichtige Analysen vorliegen wie nun für Pommern.
Eine grundlegende Annäherung an die frühneuzeitlichen Instanzen sozialer und mentaler Prägung in Pommern liefert Herbert Langer (69-96) mit seinem Beitrag über das Kindsein im Spiegel hansestädtischer, insbesondere Stralsunder Rechtsquellen und Justizakten des 16. und 17. Jahrhunderts. In diesen Quellen begegnet das gesamte Spektrum des institutionalisierten und rechtlich geregelten Umgangs mit Kindern, etwa hinsichtlich Taufe, Schulbesuch, Strafmündigkeit, Arbeit und Erbrecht. Aus der Gegenüberstellung von normativen Vorgaben und juristischer Praxis ergibt sich ein rechtlicher und institutioneller Rahmen, in dem sich Kinder in der Frühen Neuzeit bewegten, der aber auch den Umgang der Eltern und Erwachsenen mit ihnen bestimmte. Dieser legte einerseits die Abhängigkeit und Gehorsamspflicht der Kinder von ihren Vormündern fest. Andererseits sicherte er ihnen einen fest verankerten und juristisch verbrieften Anspruch auf Schutz sowie die Bewahrung ihrer Rechte und ihres Eigentums zu.
Dass neben diesem Blick von oben und außen auch eine Innensicht des Kindseins möglich ist, verdanken wir der in den letzten Jahren stärker in das Blickfeld der Forschung gerückten Quellengruppe der Selbstzeugnisse: Für die in dieser Hinsicht quellenreichere Zeit seit dem späten 18. Jahrhundert analysiert Regina Hartmann (191-200) exemplarisch die autobiografischen Schriften Ernst Moritz Arndts, um die regionalspezifische Traditionsbindung von dessen kindlicher Lebenswelt zu untersuchen.
Selbstzeugnisse entstanden in Pommern aber auch bereits in früherer Zeit. Während Klaus Arnold (17-32) anhand von vier pommerschen Selbstzeugnissen des 16. Jahrhunderts verschiedene Fassetten von Kindheit und Jugend illustriert und damit vor allem das Elternhaus als prägende und den Lebensweg bis ins heiratsfähige Alter begleitende Instanz herausarbeitet, dringt Jan Peters (131-146) tatsächlich zu einer Innenschau der Eltern-Kind-Beziehungen im 17. Jahrhundert vor. Im Familienarchiv der schwedisch-pommerschen Beamtenfamilie Schröer im Riksarkivet Stockholm haben sich die außergewöhnlichen Briefwechsel der Eltern Schröer mit ihren fünf Söhnen erhalten, in denen die Zehn- bis Fünfzehnjährigen erstaunlich eloquent ihre (Selbst)Wahrnehmung und Erfahrungen reflektieren. Neben verschiedenen Aspekten kindlichen Lebens ist insbesondere Peters Analyse des emotionalen Verhältnisses von Kindern und Eltern interessant. Im Gegensatz zu den freilich schon länger überholten Thesen von Philippe Ariès erkennt Peters in den Schröerschen Söhnen "Objekte elterlicher Fürsorge, Sorge, Liebe - und Züchtigung." (145) Auch ein Verständnis für die besondere Psyche des Kindes lassen die Briefe erkennen: "Die Eltern-Kind-Beziehungen am Beispiel der Beamtenfamilie Schröer weisen weniger fehlendes Verständnis für die kindliche Psyche als fehlende Zeit und Gelegenheit aus, sich dieser Psyche zu widmen. Das hohe Ziel, in wenigen Jahren Bildung und Benehmen der Kinder so konsequent zu entwickeln, dass sie für ihren standesgemäßen Weg gerüstet waren, ließ sich nur verwirklichen, wenn das 'totale' Kind sich als solches nicht entfalten konnte [...]. So blieben sowohl das elterliche Verständnis als auch das kindliche Selbstverständnis reduktionistisch gezügelt." (145)
Auch Monika Schneikart (113-130) untersucht die Eltern-Kind-, genauer die Mutter-Kind-Beziehungen in der Frühen Neuzeit. Grundlage ihrer Ausführungen sind allerdings keine Selbstzeugnisse, sondern die Personalanhänge von Leichenpredigten aus den sog. 'Vitae Pomeranorum', einer umfangreichen Sammlung frühneuzeitlichen Gebrauchsschrifttums aus Pommern im Besitz der Greifswalder Universitätsbibliothek. Im Gegensatz zu den Schröerschen Briefwechseln lassen die Personalia keine individuell ausgeprägten Affekte, sondern vor allem die kulturelle Überformung der Mutter-Kind-Beziehung erkennen. Die dabei der Frau zugewiesene Rolle weist vom 16. bis zum 18. Jahrhundert drei Konstanten auf: Im Zentrum des Mütterlichkeitsverständnisses stand nicht die affektive Mutterrolle, sondern die leibliche Mutterschaft. Der in späterer Zeit so wichtige Aspekt der 'Fürsorglichkeit' spielt zwar eine entscheidende Rolle, konzentriert sich aber nicht in erster Linie auf die mütterliche Fürsorge gegenüber dem Kind, sondern bezieht sich insbesondere auf sozialkaritative Dienste und die Pflege der gesamten Familie. Zu nennen ist schließlich die Frömmigkeit als dritte Konstante weiblichen Lebens, die die anderen Rollen lange Zeit überformte. Seit dem frühen 18. Jahrhundert deutet sich laut Schneikart ein Paradigmenwechsel von der gottesfürchtigen und auf Gott ausgerichteten weiblichen Existenz zur liebenden, zärtlichen Ehefrau an.
Der eindeutige Schwerpunkt des Bandes liegt auf der schulischen Erziehung und Ausbildung von Kindern und Jugendlichen sowie diesbezüglichen staatlichen Lenkungsbemühungen: Eginhard Wegner (33-38) liefert eine durch farbliche und grafische Differenzierungen übersichtlich gestaltete Kartierung der Schulen in Pommern im 16. Jahrhundert. Die in der Karte vorgenommene Unterscheidung verschiedener Schultypen (Particular-, Latein-, Stadt-/Ratsschule sowie deutsche Schule) erscheint allerdings wenig konsequent, geht sie doch zum einen von Lerninhalten (Particular-, Latein- und deutsche Schule), zum anderen aber von der finanziellen und administrativen Verantwortlichkeit aus (Rats-/Stadtschule). Letztere wurden entweder als lateinische oder als deutsche Schulen geführt, ihr Pendant, die Privatschulen, fehlen auf Wegners Karte ganz, es sei denn, der Autor bezeichnet sie generell als deutsche Schulen. Leider wird die Verwirrung auch nicht durch einen Blick in die knappen Erläuterungen der Karte geklärt, da diese nicht mit der kartografischen Darstellung übereinstimmen.
Weitere Beiträge zur frühneuzeitlichen Schulgeschichte behandeln das Pädagogium in Stettin im 16. Jahrhundert (Werner Bucholz, 39-54), das durch die Heranbildung der Landgeistlichen und des Beamtennachwuchses zu einem zentralen Instrument frühneuzeitlicher Staatsbildung in Pommern avancierte; des weiteren die Schulgeschichte der Stadt Gollnow im 17. Jahrhundert (Edward Wlodarczyk, 147-158) sowie die geschlechtsspezifisch unterschiedlich verlaufenden Schul- und Ausbildungswege Stralsunder Kinder und Jugendlicher im frühen 18. Jahrhundert (Stefan Kroll, 177-189).
Vorwiegend auf das 19. Jahrhundert bezogen sind die Beiträge von Christoph Friedrich (201-210) zur Apothekerausbildung in Pommern um 1800, Wlodzimierz Stepinski (247-260) zur Haltung der Gymnasialprofessoren des Stettiner Marienstifts zur staatlichen Bildungspolitik der Restaurationszeit und Irene Blechle (261-279) zur Greifswalder Schulgeschichte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Bis ins 20. Jahrhundert greift schließlich der Beitrag von Reimund Meffert (223-245) über die Reformpädagogik in Pommern aus. Die gesamte Zeitspanne vom 16. bis zum 20. Jahrhundert umreißt Renate Herrmann-Winter (55-68) in ihrer Untersuchung des Niederdeutschen als Sprache des Unterrichts und der Unterrichtsmittel in pommerschen Schulen. Im Mittelpunkt stehen dabei Schul- und Kirchenordnungen, Schulbücher und die intellektuellen Debatten um das Niederdeutsche in der Schule seit dem 18. Jahrhundert.
Die schulische Realität wird dagegen nur ansatzweise durch Berichte von Lehrern aus späteren Jahrhunderten greifbar. Im Hinblick auf eine Analyse der gesellschaftlichen Bedeutung von Schulen wäre darüber hinaus zu fragen, welche Konsequenzen sich aus dem Vorherrschen des Niederdeutschen bis ins 16. Jahrhundert als Unterrichtssprache beziehungsweise dessen Weiterverwendung in manchen pommerschen Schulen bis ins 17. und 18. Jahrhundert ergeben. Regionale Vergleiche wären hier vor allem in Verbindung mit den Ergebnissen der Alphabetisierungsforschung interessant, um zum Beispiel die Frage zu beantworten, inwieweit der Gebrauch von Mundart in der Schule und insgesamt mangelnde Hochdeutschkenntnisse alphabetisierungshemmend wirkten. Immerhin konnten an pommerschen Landschulen noch 1927 46% der Knaben und 39% der Mädchen nicht hochdeutsch sprechen (68, Anmerkung 86 des Sammelbandes)!
In gewisser Weise sind auch die volkskundlich orientierten Beiträge des Bandes in Verbindung mit dem Schwerpunkt 'Schule und Ausbildung' zu sehen. Kurt Dröge (97-111) nimmt eine Bestandsaufnahme volkskundlicher Forschungen zur ländlichen und kleinstädtischen Kinderkultur in Pommern vor und formuliert ein mögliches Forschungsprogramm. Neben dem allgemeinen Hinweis auf die Möglichkeiten der Oral History zur Erforschung von Kindheit und Jugend im 20. Jahrhundert nennt Dröge zwei Themenkomplexe als interessante volkskundliche Forschungsfelder: Zum einen die Schule, "hier weniger verstanden als Bildungsinstitution, sondern mehr als Ort kindlichen Alltagslebens und wesentlicher Inhalt kindlicher Lebenswelt" (104), sowie zum anderen die Konfirmation und andere ´rites-de-passage´-Themen, deren kulturelle Struktur in Pommern noch kaum untersucht worden sei. Für beide Themen sei ausreichendes Quellenmaterial vorhanden, "um auch weitergehende Fragestellungen der religiösen Mentalitätengeschichte, einer generationellen Disziplinierung oder einfach der Brauchgeschichte angehen zu können" (111). Weitere volkskundlich orientierte Beiträge des Bandes beschäftigen sich mit den Körperübungen von Kindern und Jugendlichen (Gerhard Grasmann, 281-294) sowie Kinder- und Jugendspielen (Siegfried Melchert, 323-330) im 19. und 20. Jahrhundert.
Eine wichtige Instanz, die die Lebenswirklichkeit vor allem ärmerer Kinder prägte, thematisieren Hans-Uwe Lammelt und Heinz-Peter Schmiedebach (159-175) mit ihrem Beitrag zum Stralsunder Waisenhaus vom 17.-19. Jahrhundert sowie Mieczyslaw Stelmach (211-222) mit seiner Untersuchung von Stiftungen und Pflegeanstalten für Kinder im Stettin des 19. Jahrhunderts. Hierbei spielt naturgemäß der Aspekt der Sozialdisziplinierung eine entscheidende Rolle. Lammelt/Schmiedebach fügen allerdings im Zusammenhang mit der Betrachtung des kranken Kindes in Fürsorgeeinrichtungen dem bekannten, im Sinne der Sozialdisziplinierung vermittelten Verhaltenskodex von Gehorsam, Fleiß, Bescheidenheit, Sittsamkeit und Gottesfurcht noch ein entscheidendes Erziehungs- beziehungsweise Disziplinierungsziel hinzu: das Achten auf Gesundheit. Dass diesbezüglich in der Stralsunder Waisenhausordnung von 1772 gerade auf die Selbstbeobachtung und die Anzeige eventueller Krankheiten gedrungen wurde, werten die Autoren als Indiz für eine zunehmend über Gesetze und Regelungen eingeforderte Internalisierung funktionalen Verhaltens.
Etwas isoliert steht schließlich ein kunsthistorischer Beitrag von Ewa Gwiazdowska-Banaszek (281-322) zur Darstellung von Kindern auf den Zeichnungen pommerscher Maler vom 18.-20. Jahrhundert, der weitgehend auf Material des Stettiner Muzeum Narodowe basiert.
Insgesamt gibt der Band einen interessanten Einblick in gegenwärtige Tendenzen der 'Kindheitsgeschichte', die vor allem von einer sozial- und geschlechtergeschichtlich orientierten Bildungs- und Erziehungsgeschichte sowie der historisch-anthropologischen Selbstzeugnisforschung profitiert. Für eine umfassende Geschichte der Kindheit und Jugend im Alten Reich und seinen Nachfolgestaaten liefert das 'Beispiel Pommern' einen ersten, durch den Vergleich mit anderen Territorien und Regionen jedoch noch genauer zu verortenden Baustein.
Anmerkungen:
[1] Werner Buchholz (Hg.), Landesgeschichte in Deutschland. Bestandsaufnahme - Analyse - Perspektiven, Paderborn/München/Wien/Zürich 1998.
[2] Werner Buchholz, Die pommersche Landesgeschichte in den letzten fünf Jahrzehnten 1945-1995, in: Werner Buchholz / Günter Mangelsdorf (Hgg.), Land am Meer. Pommern im Spiegel seiner Geschichte. Roderich Schmidt zum 70. Geburtstag, S. 1-16; Wlodzimierz Stepinski, Die polnische Forschung zur Geschichte Pommerns im 19. und 20. Jahrhundert in der Nachkriegsperiode (bis 1995). Entstehung, Handlungsbedingungen, Forschungsstand, Forschungsdesiderate, in: Buchholz (Hrsg.), Landesgeschichte in Deutschland (wie Anm. 1), S. 93-113.
Andreas Rutz