Maria Elisabeth Brunert / Klaus Rosen (Bearb.): Acta Pacis Westphalicae; Ser. III A: Protokolle Bd. 3/3: Die Beratungen des Fürstenrates in Osnabrück, Teil 3: 1646, Münster: Aschendorff 2001, CXXXII + 450 S., ISBN 978-3-402-04995-2, EUR 86,40
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Im Gegensatz zu den Akten, in denen die französischen, schwedischen und kaiserlichen Diplomaten einen weit gespannten Horizont erkennen lassen, verweisen die Beratungen des Fürstenrates auf die Verhältnisse im Reich zurück. Sie erinnern daran, dass auf dem Westfälischen Friedenskongress eben nicht nur viele Mächte und Potentaten einen europaweiten Konflikt beenden wollten, sondern dass auch die Reichsstände selbst die inneren Angelegenheiten des Reiches zu regeln bestrebt waren. Mit dem hier vorzustellenden dritten Band der Osnabrücker Fürstenratsprotokolle befinden wir uns im Jahr 1646, genauer in der Zeit vom 3. Februar bis zum 27. April 1646. In diese Phase fielen insgesamt 24 Fürstenratssitzungen (Nummer 95-118) sowie zum Ende dieses Berichtszeitraums zwei Plenarsitzungen der Osnabrücker Reichsstände (Nummer 119-120). Das unmittelbare Ergebnis dieser Verhandlungsphase war das Fürstenratsbedenken, auf das sich der Osnabrücker (Teil-)Fürstenrat und der Münsteraner (Teil-)Fürstenrat verständigt hatten. Eine Reichsdeputation übergab dieses Bedenken zusammen mit den Bedenken des Kurfürstenrats und des Reichsstädterats am 27. April 1646 den kaiserlichen Gesandten (Nummer 121).
Den hier edierten Dokumenten liegt eine vielfältige Überlieferung zu Grunde. Maria-Elisabeth Brunert, die auch schon die beiden 1998 erschienenen Vorgängerbände bearbeitet hatte, musste - hier in Fortführung der Arbeit ihres Vorgängers Klaus Rosen - zahlreiche Protokollserien der in Osnabrück vertretenen reichsfürstlichen Stände kollationieren. Eine gewisse Erleichterung bot der Umstand, dass zumindest die protestantischen Stände eine gemeinsame Protokollführung vereinbart hatten und deren Protokolle somit eine gemeinsame stemmatologische Grundlage haben. Neben diesem protestantischen Überlieferungsstrang, der als der ausführlichste auch meist die Textgrundlage für die Edition bietet, hat noch das österreichische Protokoll als das des fast immer das Direktorium innehabenden Standes eine besondere Relevanz. Einen unmittelbaren Vergleich des protestantischen Protokolls mit dem österreichischer Provenienz liefert die Edition exemplarisch für die Sitzung vom 13. Februar (Nummer 101 und Nummer 101a). Signifikante Textvarianten und vor allem singulär überlieferte Zusatzinformationen sind außerdem in einem eigenen kritischen Apparat vermerkt. Wie groß der Arbeitsaufwand für diesen Band gewesen sein muss, erhellt nicht nur das Verzeichnis der benutzten Archive, sondern vor allem auch eine ausführliche Beschreibung der Protokollserien (Einleitung CIX-CXXV).
Worum geht es bei diesen Verhandlungen? Letztlich stimmt die Materie der reichsfürstlichen Beratungen in weiten Teilen mit den Themen überein, denen sich auch die großen Mächte zuwandten. Selbst die Reichssachen waren keine ausschließlich von den Reichsständen traktierten Verhandlungsgegenstände, wenn man an das Problem der Amnestie oder die besonders von Frankreich beförderte Frage der kurfürstlichen "libera electio" denkt. Spezifisch für diese Verhandlungen ist somit weniger der Inhalt als die Perspektive. Es dominiert unübersehbar der politische Puls des Alten Reiches. Das zeigen die Konflikte, die das Reich unabhängig von der Kriegssituation gerade auch in dieser Zeit verstärkt beschäftigten, so etwa die reichsfürstlichen Forderungen nach "Parification" und das kurfürstliche Beharren auf ihrer Präeminenz. Hier hatten sich die Fronten derart verhärtet, dass sich im Fürstenrat ein Gesandter mit der Ermahnung konfrontiert sah, gerade an diesem Ort nicht weiter "der churfürsten iura zu defendiren" (vergleiche die Szene Seite 146).
Vor allem aber verfahrenstechnisch wird man auf Schritt und Tritt an Reichstagshandlungen oder an ständische Versammlungen generell erinnert: Das Umfrageverfahren gibt den Protokollen ihre Struktur. Auffallend sind auch vielerlei Hinweise auf verfahrenstechnische Möglichkeiten und Grenzen (interessant ist die Tendenz auf protestantischer Seite, "das Propositionsrecht des Fürstenratsdirektoriums [zu] untergraben", so Brunert anschaulich in der Einleitung LXIII), und überhaupt lassen sich viele Erkenntnisse über das Votierverhalten der einzelnen im Fürstenrat vertretenen Reichsstände gewinnen, das von dem einfachen Anschluss an vorher geäußerte Voten (vergleiche etwa sehr anschaulich 47) bis zur Suspension des eigenen Votums (268, Zeile 34 f.) oder dem bekannten und auch hier zu beobachtenden Instrument der Protestation reichen konnte. Hinzu kommen, wie sie in ständisch verfassten Korporationen oftmals anzutreffen sind, Sessionsstreitigkeiten. Bereits in der ersten hier dokumentierten Session am 3. Februar brachen Sessionskonflikte auf, die zwar einer vorläufigen Lösung zugeführt werden sollten, aber dann doch zur steten Begleitmusik der folgenden Beratungen wurden - und das bis weit in den April hinein (381, Zeile 20 ff.). Mitunter gab es um diese Streitpunkte Dispute, die eher grundsätzlicher Natur waren und hier wirksame Ordnungsprinzipien erkennen lassen (zum Beispiel die Voten Seite 30). Doch häufiger waren augenscheinlich die bloßen Protestationen und Reprotestationen, die die einzelnen Deputierten einander geradezu reflexhaft und in monotoner Weise vorhielten (besonders anschaulich 381-384 der Sessionsstreit zwischen Salzburg und Österreich sowie der zwischen den sächsischen, pfälzischen und bayerischen Gesandten).
Die Schwerfälligkeit im Verhandlungsgang mag sicher dem umständlichen und zeitraubenden Umfrage- sowie dem Re- und Korrelationsverfahren geschuldet sein. Immerhin äußerte einmal auch ein Gesandter die Ansicht, dass, zumindest zeitweise, "die unnötigen ceremonien und formaliteten uf die seiten zu setzen unndt nur die scopus principalis harum consultationum in Acht zu nehmen" seien (202, Zeile 16-18). Doch insgesamt waren sich die Gesandten stets sicher, dass daran kein Weg vorbei führen konnte, wollte man Akzeptanz und Verbindlichkeit der Vereinbarungen gewährleisten: "Man müsse einen iedern darüber [das heißt über die zu verhandelnden Punkte; Michael Kaiser] hören, sonst möchte der Oßnabrügkische frieden ia so weinig gelten alß der Pragerische." (187, Zeile 3-4, wie es im Anschluss an die 107. Sessio "per interlocuta vel discursum" hieß) - ein deutlicher Verweis auf das im Nachhinein problematische Verfahren des Prager Friedens, eines zunächst zwischen Kursachsen und dem Kaiser ausgehandelten Vertragswerkes, dem die anderen Reichsstände beizutreten hatten.
Weiter verkompliziert wurden die Beratungen auch dadurch, dass seit Februar 1646 in Osnabrück nicht nur protestantische Reichsstände zusammenkamen, sondern sich ihnen auch einige katholische hinzugesellten. Dies waren Österreich, Bayern sowie die beiden Hochstifte Würzburg und Basel; erst im April kamen noch weitere katholische Reichsstände dazu. Zwar hatten die Protestanten in Osnabrück noch eindeutig die Mehrheit, doch das Stimmenverhältnis verschob sich insgesamt zu ihren Ungunsten, da durch das katholische Übergewicht im Münsteraner Fürstenrat die katholischen Stände im Gesamtkorpus des Fürstenrats überrepräsentiert waren. Eben weil die beiden Fürstenräte in Osnabrück und Münster als eine Korporation aufgefasst wurden, waren entsprechende Korrelationen nötig, aus denen am Ende einheitliche "conclusae" hervorgehen sollten. Einem solchen Ziel standen aber zentrifugale Kräfte entgegen, die zeitweilig die Gefahr einer "Aufspaltung der Reichsstände nach konfessionellen Gesichtspunkten" heraufbeschworen (so Brunert LXXIII, vergleiche auch die Voten Pommern-Stettins und Sachsen-Lauenburgs vom 23. Februar 1646, 184 f.).
Dass man schließlich doch Fortschritte machte, war nicht zuletzt das Werk einiger prominenter Diplomaten. Hier ist zunächst Richtersberger zu nennen, der als österreichischer Vertreter an den Sitzungen teilnahm und daher auch das Direktorium führte. Damit oblag ihm nicht nur die Leitung der Sessionen selbst, sondern auch die Koordination mit den Beratungen des Münsteraner Fürstenrats. Auf protestantischer Seite profilierte sich vor allem Krull, der als Vertreter Magdeburgs in der Sessionsfolge der erste protestantische Votant war. Auch Lampadius, der Braunschweig-Lüneburg-Calenberg vertrat, oder Thumbshirn, der Deputierte Sachsen-Altenburgs, fallen durch ausführliche und prononcierte Voten auf.
Die Lektüre der Fürstenratsprotokolle ist nicht leicht (vergleiche die Hinweise CVI). Diesem Umstand hat die Edition Rechnung getragen, insofern die Anmerkungen viele sprachlich dunkle Passagen und Begrifflichkeiten zu klären versuchen. Insbesondere die bei solchen Verhandlungen übliche reichsrechtliche Terminologie wird sorgfältig erläutert. Des Weiteren hat man sich bemüht, auch inhaltliche, oftmals gelehrte Anspielungen zu identifizieren und vielerlei Hintergrundinformation zu Personen und Ereignissen zu liefern. In der Einsicht, dass es bis zum endgültigen Abschluss auch nur dieser Reihe der APW doch noch dauern kann, ist dem Band dankenswerterweise ein vorläufiges Personenregister beigefügt, das für die ersten drei Teilbände der Osnabrücker Fürstenratsprotokolle gilt und auf diese Weise die prosopographische Erschließung dieser Edition erleichtert. Wie man sich die Szenerie der Fürstenratssitzungen vorzustellen hat, veranschaulicht eine zeitgenössische Skizze, die exemplarisch das Sessionsschema der Sitzung vom 26. und 27. April 1646 vorführt: Die Zeichnung stellt die Anordnung der Sitzreihen vor; dazu kommt eine ausführliche Legende, zu der es auch eine Transkription gibt (CXXX f.). Einen systematischen Überblick gleich für alle drei Teilbände (d. h. für die Sessionen vom 27. Juli 1645 bis zum 27. April 1646) bieten die Übersichten über die Teilnehmer der Sitzungen und ihrer Voten, die eigens in einer Einstecktasche beigelegt sind und in jedem Fall eine vorzügliche Handreichung darstellen. Schließlich muss die ausführliche Einleitung hervorgehoben werden, die sehr viel für das Verständnis der edierten Akten leistet, indem besonders die Einbindung und das Verhältnis des Osnabrücker Fürstenrats in das diplomatische Gesamtgeschehen des Friedenskongresses dargelegt werden.
An diesem Punkt verschweigt die Bearbeiterin aber auch nicht, dass mit Blick auf das Fortkommen der Friedensverhandlungen der Stellenwert der hier so heftig umkämpften Voten und des abschließenden Bedenkens des Fürstenrats denkbar gering war (C-CII). Die kaiserlichen Gesandten bedienten sich nach Gusto der hier versammelten Meinungen und Deduktionen, um sie in ihren eigenen Verhandlungen instrumentalisieren oder auch nur weiterverwerten zu können. Ihren besonderen historiographischen Wert haben nach Ausweis der Bearbeiterin die Beratungen des Fürstenrats aber insofern, als hier die im Reichsrecht führenden Köpfe der Zeit ihre Auffassungen diskursiv entwickelten - sodass am Ende wiederum die reichsgeschichtliche Relevanz dieser Aktenedition in den Vordergrund tritt.
Michael Kaiser