Kurt Andermann / Sönke Lorenz (Hgg.): Zwischen Stagnation und Innovation. Landsässiger Adel und Reichsritterschaft im 17. und 18. Jahrhundert. Drittes Symposion "Adel, Ritter, Ritterschaft vom Hochmittelalter bis zum modernen Verfassungsstaat" (20./21. Mai 2004, Schloß Weinsberg) (= Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde; Bd. 56), Ostfildern: Thorbecke 2005, 158 S., ISBN 978-3-7995-5256-1, EUR 29,90
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Mit dem vorliegenden Band dokumentieren die beiden Herausgeber, die schon vielfach mit einschlägigen Publikationen zur Adelsgeschichte in Erscheinung getreten sind, eine Tagung vom Mai 2004. Dort ging es um den Adel im Ancien Régime, wobei weniger das "Spektakuläre" als vielmehr das "Normale" in den Lebenswelten des landsässigen Adels in den Blick genommen werden sollte (Vorwort, 7). Insgesamt zehn, meist recht knapp gefasste Beiträge, greifen ganz unterschiedliche Aspekte der Adelsgeschichte auf.
Den Auftakt macht Gabriele Haug-Moritz mit einer Skizze der korporativen Geschichte der Reichsritterschaft zwischen 1648 und dem Ende des Reichs. Sie verweist zunächst auf die Stabilisierung der Reichsritterschaft unter kaiserlicher Ägide. Im 18. Jahrhundert aber pochten die Reichsfürsten auf stärkere politische Teilhabe und setzten letztlich den Kaiser unter Druck, mit der Reichsritterschaft eine auf ihn fixierte Klientel preiszugeben. Das Thema Adel und Geld steht bei William D. Godsey im Mittelpunkt, der die Vermögensverhältnisse des kurmainzischen Stiftsadels im 18. Jahrhundert untersucht. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass, ungeachtet manch spektakulärer adliger Bankrotteure, der kurmainzische Adel den Herausforderungen der Umbruchsphase an der Schwelle zum 19. Jahrhundert finanziell weitgehend gewachsen war. Bertram Fink erläutert den Aufstieg der schwäbischen Familie Rechberg. Ihr kam zugute, dass sowohl Habsburger als auch Wittelsbacher um Anhänger in der schwäbischen Ritterschaft warben. Zwar erlangten die Rechberger den Grafentitel, doch vor dem Hintergrund der dynastischen Rivalitäten zwischen Habsburg und Wittelsbach bescherte ihnen die Zugehörigkeit zur bayerischen Klientel im weiteren Verlauf einen schlechteren Stand in Wien. Für Bayern kann Christian Wieland zeigen, dass der Landesherr im 16. und 17. Jahrhundert die Definitionshoheit darüber errang, wer als adlig zu gelten habe. Mit der Edelmannsfreiheit schufen sich die Herzöge und Kurfürsten von Bayern ein Instrument, mit dessen Hilfe sie einerseits die Binnendifferenzierung des Adels im Land unterbanden, andererseits aber festzulegen vermochten, wer in den Adelsstand erhoben wurde. Nicht mehr die Kooptation der Adligen selbst, sondern ein landesherrlicher Gnadenakt bestimmte ab 1557 die Standesqualität.
In einem kursorischen Überblick zur adligen Landwirtschaft referiert Kurt Andermann über die Größe der bewirtschafteten Güter, Aspekte der Verpachtung, Fron- und Spanndienste der Untertanen sowie über die unterschiedlichen Formen von Ackerbau und Viehwirtschaft. Ausgehend von der Bedeutung der Eigenwirtschaft und ihrem Beitrag zum Gesamteinkommen warnt Andermann vor einer pauschalen Diffamierung adligen Wirtschaftens. Leider rekurriert er hier nicht auf die bahnbrechende Arbeit von William W. Hagen, der gerade auch für das 17. und 18. Jahrhundert eine große Anpassungsleistung des Adels an neue, eben auch (land)wirtschaftliche Herausforderungen nachweisen kann. [1] Das Thema der adligen Landwirtschaft greift auch Alois Schmid mit Bezug zur bayerischen Situation im 18. Jahrhundert auf. Ausgehend von der Hausväterliteratur, hier vor allem Hohbergs einflussreicher "Georgica curiosa", verweist er auf die starken Beharrungskräfte im landwirtschaftlichen Alltag, die der Verbreitung und Durchsetzung von Innovationen lange im Wege standen. Einen Modernisierungsschub lösten dann die aufklärerischen Gesellschaften besonders in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aus. Zwar sei die Rolle des Adels im Rahmen der bayerischen Agraraufklärung nicht kleinzureden, doch spielte die Kirche als mit Abstand größter Grundherr eine noch bedeutendere Rolle.
In seinem zweiten Beitrag skizziert Kurt Andermann den Komplex Ritterschaft und Konfession. Auch wenn die Thematik nach wie vor intensiver Forschung bedarf, lässt sich für das 16. Jahrhundert eine starke Hinwendung zur Reformation erkennen, die im 17. und 18. Jahrhundert von einer Rückkehr zur katholischen Konfession abgelöst wurde. Dabei sei stets zu beachten, dass Konfessionsentscheidungen nur teilweise aus primär theologischem Interesse gefällt wurden. Vielfach spielte auch ein politisches Kalkül hinein, etwa bei der Selbstbehauptung gegenüber Territorialfürsten oder angesichts bestimmter Karriereoptionen. Auf der Grundlage einer seit einiger Zeit intensivierten Forschung präsentiert Hermann Ehmer Befunde zu adligen Damenstiften. Bei aller notwendigen Differenzierung zwischen Stiften, die für Angehörige gräflicher und fürstlicher Häuser offen waren, und solchen des ritterschaftlichen, landsässigen Adels plädiert der Autor dafür, die Dichotomie der Stifte als geistliche Zentren einerseits und als Versorgungsanstalten andererseits aufzugeben. Zwar mochte oftmals einer der beiden Aspekte dominieren, doch dürfe man deswegen die Prägekraft des anderen nicht unterschätzen.
Das weite Feld der adligen Kavalierstour steckt Gerrit Walther anschaulich wie differenzierend ab. Dabei betont er den adligen Willen zur Selbstdarstellung und verweist auf das praxisbezogene Einüben des adligen Habitus als eigentlichen Zielpunkt solcher Reisen. Letztlich sieht er in der Grand Tour eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung eines viele Adlige prägenden Kunstsinnes, aber auch gelernter und gelebter interkonfessioneller Toleranz. Was das kulturelle Leben der Reichsritterschaft und des landsässigen Adels kennzeichnete, stellt Karl Murk konkret anhand des adligen Bücherbesitzes, seiner Kunstsammlungen und der Rolle der Musik dar. Kulturell-künstlerisches Engagement hatte beim Adel stets auch einen repräsentativen Zweck, doch ist nicht zu übersehen, dass dies den Adel im 18. Jahrhundert nicht mehr allein auszeichnete. Denn hier trat nun auch das Bürgertum auf, das sich anschickte, zusammen mit dem Adel eine Bildungs- und Geschmackselite auszubilden.
Die Beiträge versammeln eine Fülle höchst unterschiedlicher Aspekte (wobei allein der militärische Sektor fehlt), referieren den Forschungsstand und lassen anhand zumindest exemplarisch verwendeter Quellenbestände das Potenzial für weitere Arbeiten erkennen. Zum chronologischen Schwerpunkt im 17. und 18. Jahrhundert kommt der regionale, der sich in erster Linie an süddeutschen Beispielen orientiert. Dabei werden sowohl Themen der korporativen Adelsgeschichte behandelt als auch einzelner adliger Familien und Personen. Leider sind die Themenfelder insgesamt so weit gefasst, dass kaum eine gemeinsame Leitlinie erkennbar wird. Auch die Titelstichworte "Stagnation" und "Innovation" reichen nicht, um die sektoral höchst divergenten Beiträge zu verklammern und sie auf einen bestimmten Erkenntnisgewinn hin auszurichten.
Was lässt sich als Fazit ausmachen? Fast durchgängig ist der Hinweis zu finden, wie schwierig, ja unmöglich sich einzelne Befunde hochrechnen lassen; eine weitgehende Differenzierung tut offenbar not. Damit verbunden ist eine revisionistische Tendenz, die bislang überkommene Einschätzungen kritisch hinterfragt, wenn nicht gleich ganz relativiert - sei es in Bezug auf Fragen der Landwirtschaft, der Konfession oder der Bildung und Kultur. Unterm Strich fällt die Bilanz für den landsässigen Adel positiv aus; auch zum Ende des Ancien Régime lassen sich offenbar nur wenige Krisenphänomene ausmachen. Umso erstaunlicher, dass die Herausforderungen der Umbruchsphase zum 19. Jahrhundert praktisch nicht mehr in die Betrachtungen einbezogen wurden (allenfalls bei Godsey scheint der Aspekt auf). Genau hier sollten weitergehende Forschungen ansetzen. In eine andere Richtung sollten Studien gehen, die nördlichere Adelslandschaften mit den Befunden zum süddeutschen Adel abgleichen, etwa anhand der Frage des Reichsbezugs und der Klientelbildung. Impulse und Anregungen finden sich in diesen Beiträgen jedenfalls genug, und damit hat der Band eine wichtige Aufgabe erfolgreich gemeistert.
Anmerkung:
[1] William W. Hagen: Ordinary Prussians. Brandenburg Junkers und Villagers, 1500-1840 (New Studies in European History), Cambridge 2002.
Michael Kaiser