Ralf Pröve / Norbert Winnige (Hgg.): Wissen ist Macht. Herrschaft und Kommunikation in Brandenburg-Preussen 1600-1850 (= Schriftenreihe des Forschungsinstituts für die Geschichte Preussens e. V.; Bd. 2), Berlin: Berlin Verlag Arno Spitz 2001, 256 S., ISBN 978-3-8305-0239-5, EUR 25,00
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Ohne Zweifel lebt die westliche Kultur des 21. Jahrhunderts mehr als jede andere von und in Kommunikationen und lässt ihre Angehörigen in den Netzwerken von Medien zappen und zappeln. Mittlerweile hat die Allgegenwart der jüngsten Kommunikationsrevolution über die Umwege ihrer sozial- und gesellschaftswissenschaftlichen Nachbardisziplinen auch die Geschichte erreicht. Wie stark die scientific community der Frühneuzeitler auf diese Entwicklung reagiert hat, zeigte unter anderem die letzte Frühneuzeitlertagung in Augsburg im September 2001, die von den Veranstaltern gerade unter diesem Motto - Kommunikation - ausgetragen worden ist. Das Thema steht auch im Mittelpunkt des vorliegenden Sammelbandes, dessen Beiträge zum überwiegenden Teil auf eine im Mai 2000 im Berliner Forschungsinstitut für die Geschichte Preußens e.V. durchgeführten Tagung zurückgehen. Hierbei ging es den Veranstaltern Ralf Pröve und Norbert Winnige, die auch die Herausgabe des Tagungsbandes besorgt haben, vor allem darum, Phänomene der Kommunikation unter den Aspekten Herrschaftsverdichtung und Ausbildung frühmoderner Staatlichkeit zu untersuchen. Der gewählte geografische Rahmen, Brandenburg-Preußen, diente nicht nur als Ergänzung zu bisherigen Studien. Das gerade im Untersuchungszeitraum, 1600-1850, expandierende, heterogene Staatsgebilde bietet zudem wichtige Einsichten in Herrschaftsmechanismen und deren Durchsetzung "vor Ort" im spezifischen Spannungsfeld zusammengesetzter Staaten. Dabei steht zwar nicht ausdrücklich die Demontage des nach wie vor allzu lebendigen Mythos vom preußischen Musterstaat auf dem Programm. Durch die Anwendung neuer Kommunikationstheorien wird jedoch deutlich, dass die lange Zeit vor allem von Forschungen zur Sozialdisziplinierung vertretene vertikale Perspektive auf Herrschaft und Kommunikation um eine horizontale Dimension ergänzt werden muss und dass Kommunikation zwischen Obrigkeit und Untertanen sehr viel stärker als bisher als interaktiver Prozess verstanden werden muss, bei dem nicht nur Sender, sondern auch Empfänger aktiv handeln, indem sie Nachrichten interpretieren, darauf reagieren und mit eigenen Zielen und Wertsetzungen versehen. Damit wird auch die Durchsetzung von Herrschaft als kommunikativer Prozess des Aushandelns von Möglichkeiten und Grenzen sowohl der Obrigkeit als auch der Untertanen verstanden. Dieser erweiterte Kommunikationsbegriff reduziert sich nicht nur auf schriftliche Kommunikation in Form von Verordnungen und Suppliken, sondern schließt nicht-schriftliche Kommunikation etwa durch Symbole und Zeremonien sowie jegliche Form von Propaganda mit ein.
Vor diesem Hintergrund lassen sich die insgesamt 14 Beiträge des Bandes, die zum größten Teil auf entweder vor kurzem abgeschlossenen oder noch in Arbeit befindlichen Studien auf Doktoranden- und Habilitandenebene beruhen, in drei verschiedene Themenkomplexe gliedern. Esther-Beate Körber, Joachim Kundler, Uwe Müller, Wolfgang Foit und Rudolf Seising untersuchen mit Studien zum Postwesen, zum Chaussee- und Straßenbau und zum Aufbau eines Telegrafenwesens die "Hardware" der brandenburg-preußischen Kommunikation. Mit einem anderen Kommunikationsmedium, nämlich der allmählich ansteigenden Schriftlichkeit, beschäftigen sich Norbert Winniges Forschungen zur Alphabetisierung und Reiner Prass' Studie zu Übermittlungswegen von obrigkeitlichen Anordnungen und Zirkularen. Vor allem Prass' Arbeit bürstet die gängige Interpretation der wachsenden Schriftlichkeit als Instrument der Herrschaft gegen den Strich, indem er aufzeigen kann, dass Lese- und Schreibfähigkeit der Untertanen dem Landesherren durchaus auch gefährlich werden konnte: Briefe konnten von Unbefugten erbrochen, gelesen und diskutiert werden, Maßnahmen gegen unerwünschte Forderungen ließen sich so früher und besser organisieren. Hier spielen symbolische Formen der Herrschaftsvermittlung eine wichtige Rolle: Erlasse mussten am geeigneten Ort von autorisierten Personen verlesen werden, um ihre volle rechtliche Durchschlagkraft zu entfalten, so etwa durch den Pfarrer am Sonntag nach dem Gottesdienst von der Kanzel. Das Thema symbolischer Herrschaftskommunikation untersucht auch Stefan Haas mit einer Studie zum wachsenden Einsatz von Uniformen auch außerhalb des Militärs in Preußen. Andrea Hofmeister beschäftigte sich mit Propaganda in Zeitschriften und Journalen der napoleonischen Zeit.
Die übrigen fünf Beiträge von Heinrich Kaak, Ursula Löffler, Anne-Margarete Brenker, Sven Externbrink und Inga Brandes lassen sich vielleicht am besten unter dem Titel "Kommunikation und ihre Träger auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen" subsumieren. Hier reicht das Spektrum von der Geschichte internationaler Beziehungen über die Kommunikation zwischen Amtsträgern innerhalb der brandenburgischen Gutsherrschaft und der markgräflichen Verwaltung sowie die Kontakte zwischen Provinzialhauptstadt (Breslau) und Herrschaftsmetropole (Berlin) bis hin zu dörflichen Amtsträgern im Herzogtum Magdeburg und den Beziehungen zwischen Landgemeinden in der preußischen Rheinprovinz. Damit ist nicht nur ein breites Spektrum unterschiedlicher Territorien innerhalb des brandenburg-preußischen Herrschaftskomplexes abgedeckt, das Augenmerk richtet sich auch verstärkt auf die Kommunikationsträger: Diplomaten, Amtmänner, Bürgermeister und Kammerbedienstete. Durch das Ausleuchten von Möglichkeiten und Grenzen der Herrschaftsdurchdringung vor Ort konnte der Band auf die Forderungen vor allem der Kulturhistoriker reagieren und Forschungen zur materiellen Kultur und kulturellen Kommunikation mit Fragestellungen zu frühmoderner Staatlichkeit und Herrschaft verknüpfen. Dieser Ansatz verspricht auch für weitere Unternehmen dieser Art interessante und weiterführende Ergebnisse.
Raingard Eßer