Cornelia Klettke / Ralf Pröve (Hgg.): Brennpunkte kultureller Begegnungen auf dem Weg zu einem modernen Europa. Identitäten und Alteritäten eines Kontinents (= Schriften des Frühneuzeitzentrums Potsdam; Bd. 1), Göttingen: V&R unipress 2011, 277 S., 47 Abb., ISBN 978-3-89971-877-5, EUR 45,90
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Ralf Pröve: Militär, Staat und Gesellschaft im 19. Jahrhundert, München: Oldenbourg 2006
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Ralf Pröve: Stadtgemeindlicher Republikanismus und die "Macht des Volkes". Civile Ordnungsformationen und kommunale Leitbilder politischer Partizipation in den deutschen Staaten vom Ende des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000
Die vorliegende Aufsatzsammlung basiert auf Vorträgen, die im Sommersemester 2010 im Rahmen einer Ringvorlesung des neu gegründeten Frühneuzeitzentrums der Universität Potsdam gehalten wurden. Sie bildet zugleich den ersten Band einer vom Zentrum herausgegebenen Schriftenreihe. Dass sich die Herausgeber zu diesem Anlass die Frage nach Brennpunkten der kulturellen Begegnung stellen, ist angesichts der Konjunktur, die Kulturtransferforschungen in den letzten Jahren erfahren haben, wenig erstaunlich. Cornelia Klettke und Ralf Proeve halten die Wahl des Themas offenbar für so naheliegend, dass sie auf eine thematische Einleitung verzichtet und dem Band lediglich ein kurzes Vorwort vorangestellt haben. Was sie unter kulturellen Brennpunkten verstehen, warum sie sich des hoch umstrittenen Identitätsbegriffes bedienen oder wie sie sich zum Ansatz der histoire croisée positionieren, bleibt offen.
Auch Günther Lottes, der im ersten der insgesamt 12 Artikel über Faktoren und Konstellationen der europäischen Kulturraumbildung reflektiert, unterlässt es, dem Leser zu erklären, was er unter dem Raum - dem Kulturraum zumal - genau versteht. Als Ankerpunkte der Kulturraumbildung nennt er zunächst konfessionelle Vergemeinschaftungsmuster, die allmählich durch sprachliche und politische Grenzlinien überlagert worden seien. Diese Verschiebungen seien schrittweise vollzogen worden. Ebenso wenig wie das Lateinische mit einem Schlage durch andere Sprachen marginalisiert worden sei, hätten kleinere Nationen das Deutsche oder das Französische übergangslos durch ihre Nationalsprachen substituiert. Selbstfindungsdiskurse gingen, wie er am Beispiel der Eidgenossenschaft erläutert, langsam und schrittweise in Abgrenzungsdiskurse über.
Wie komplex die Zuweisung von Identitäten und Alteritäten in der Tat verlief, wie stark sich Interessen und Blickwinkel überschnitten oder gar konterkarierten, zeigt der faszinierende Aufsatz von Frank Lestrigant, in dem die Debatte um die innereuropäischen Wilden nachgezeichnet wird. Lestringant konzentriert sich auf Sarden, Korsen und Lappen und damit auf drei Ethnien, die von nahezu allen europäischen Gelehrten nur als begrenzt dem europäisch-christlichen Kulturraum zugehörig beschrieben wurden. Dass auch auf sie die Stereotype des Edlen Wilden und dessen Gegenstück des Barbaren appliziert wurden, erstaunt kaum. Bemerkenswerter, so Lestringant, ist eher, welche Gründe die einzelnen Beobachter für die defizitäre Entwicklung dieser Völker fanden. Mal wurden konfessionelle, mal politische und kulturelle Einflüsse ins Feld geführt, stets jedoch wussten die Zeitgenossen einen Schuldigen, einen Verderber zu benennen. Das Reden über den Wilden ist damit für Lestrigant eingebunden in Konflikte der europäischen Kernakteure (der politischen wie der konfessionellen). Das eigentliche Objekt der ethnographischen Beschreibung war für die Autoren damit letztlich von sekundärer Bedeutung.
Die Geltungsbereiche kultureller, insbesondere sprachlicher Zeichensysteme wurden, wie Gerda Haßler in ihren Ausführungen über die Debatte um die Bedeutung von Vernakularsprachen demonstriert, in einem polypolaren und hochkonfliktualen Prozess permanent neu ausgehandelt. Dass sich Ende des 16. Jahrhunderts neue Eliten in einzelnen europäischen Regionen entwickelten, die nur begrenzt des Lateinischen mächtig und an dessen Erlernen interessiert waren, reichte nicht aus, um den einzelnen Landessprachen ein stärkeres Gewicht zu geben. Um sich zu behaupten, bedurfte es einer Legitimation gegenüber möglichen Kritikern im In- und Ausland. Das Kastillische etwa ließ sich nur dann als neue Wissenschafts- und Literatursprache etablieren, wenn sich ein Weg fand, seine Anciennität auch gegenüber dem Lateinischen zu behaupten. Es war ein Weg, der sich mit größerer Aussicht auf Erfolg beschreiten ließ als der Versuch, die Bewertungsmaßstäbe als solche zu verschieben, wie dies im 17. Jahrhundert im Rahmen der Querelle des anciens et des modernes in Frankreich versucht wurde.
Die Propagierung einer neuen Kultursprache, die Zuweisung von Anciennität und überlegener Funktionalität, konnte nur im Rahmen des koordinierten und wirkungsmächtigen Auftretens von Eliten gelingen. Zentren der Verflechtung waren, wie Cornelia Klettke dies am Beispiel des Hofes von Ferrara erläutert, zu diesem Zweck geradezu unverzichtbar. Ihr spezifisches Profil erhielten sie in Konkurrenz zueinander, aber auch durch die geschickte Nutzung der Agonalität einzelner Kulturbroker. In Versailles war dies, wie Andreas Köstler im Rahmen einer Auswertung bislang wenig beachteter Quellen zeigt, Colbert, der Berninis provokatives Auftreten in Paris nutzte, um die Ausbildung eines französischen Nationalstils zu fördern.
Die Imagination der kulturellen Grenze und die Forcierung des wechselseitigen Austausches verwiesen damit unmittelbar aufeinander, wobei die Koordination des Prozesses durch die Eliten die Illusion ihrer Berechenbarkeit erzeugte und den Blick von Entwicklungen ablenkte, die nur schwer zu kontrollieren waren. Proeves Hinweis auf die Bedeutung des Transfers kultureller Techniken durch die zu Hunderttausenden durch Europa migrierenden Söldner unterstreicht dies. Aber auch Frank Göses Analyse des vielfachen Kontaktes zwischen Sachsen und Preußen weist in dieselbe Richtung, wobei Göse zeigen kann, dass intensiver Austausch weder in wechselseitiges Lernen noch in allmähliche Annäherung münden muss.
Die Nivellierung ständischer und religiöser Grenzen, die Zerstörung von Kulturräumen innerhalb des Nationalstaates, ist dabei ein Kennzeichen der Moderne, das Christoph Schulte im Zuge eines Vergleiches des jüdischen Lebens im Amsterdam des 17. Jahrhunderts mit jenem im Berlin des späten 18 und frühen 19. Jahrhunderts zu zeigen versucht. Schultes Betrachtungen über die Rolle jüdischer Gastgeberinnen in den Berliner Salons leiten über zu Brunhilde Wehingers Aufsatz, der sich mit dem Salon französischer Prägung als einem Grenzen nivellierenden urbanen Laboratorium beschäftigt.
Der alte Grenzen nivellierende und nationale Grenzen konstruierende Identitätsdiskurs fußt auf der einen Seite auf sich intensivierenden Kommunikationsnetzwerken, auf der anderen Seite auf der Neufokussierung des Interesses auf die Kernfamilie als Spiegel nationaler Selbstdefinition. Dirk Wiemann demonstriert ganz in diesem Sinne, wie Richardson in seiner Pamela ältere, der Romanze verpflichtete Romanmotive der Gefährdung und der Entführung aufnimmt, sie jedoch domestiziert und provinzialisiert. Das Interesse am Schicksal von Frauen, die in fremde Länder entführt wurden, wird durch die Faszination für häusliche Dramen abgelöst. Auch Bilder, die sich mit dem exotisch Wilden, dem fremden Gefährder, beschäftigen, wofür etwa das Calibanmotiv steht, dem sich noch Füssli widmete, verschwinden, wie Lars Eckstein zeigt, von einem Kunstmarkt, der neuen kommerziellen Regeln gehorcht und sich an dem Geschmack bürgerlicher Hausväter orientiert.
Wie wird das Andere, wie werden nichteuropäische Kulturen unter diesen neuen Bedingungen wahrgenommen? Sind sie lediglich Felder der Erziehung, auf die Europäer ihre bürgerliche Hausvätergesellschaft übertragen können, um hier einen universalen Zivilisierungsprozess umzusetzen? Der heute nicht weniger als unter seinen Zeitgenossen umstrittene Aufklärer, Arzt, Forschungsreisende und Schriftsteller Georg Forster, dem sich Helmut Peitsch im letzten Aufsatz des Bandes zuwendet, zeigte sich bei der Beantwortung dieser Fragen bemerkenswert vorsichtig. Die Nichteuropäer werden von ihm weder als rechtlos noch als sprachlos dargestellt. Der Veränderungsprozess, der durch Kontakt mit den Europäern eingeleitet wird, ist ein offener und muss keineswegs zwangsläufig zur Nivellierung von Grenzen führen. Forster betont die "Mannigfaltigkeit", die Offenheit von Veränderungsprozessen, aber auch die Multifaktorialität, die die Motivation des Kulturkontaktes prägt. Wissenschaft, Politik und Wirtschaft werden von Forster säuberlich auseinandergehalten, ohne dass er die zahlreichen Wechselwirkungen zwischen ihnen bestreitet. Der Kontakt zwischen Kulturen ist damit durch Reziprozität sowie die Verflechtung verschiedener Kontaktwege, Einflussmöglichkeiten und Motivationen geprägt. Forsters Kulturen sind damit letztlich flüchtige, veränderliche, in ihren Grenzen schwer bestimmbare Gebilde. Seine Betrachtungen sind dem Ansatz der histoire croisée damit nicht unähnlich.
Peitschs Analyse bildet den interessanten Abschluss eines anregenden Sammelbandes, der eine Einleitung verdient hätte.
Thomas Lau