Włodzimierz Borodziej / Klaus Ziemer (Hgg.): Deutsch-polnische Beziehungen 1939 - 1945 - 1949. Eine Einführung (= Einzelveröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Warschau; Bd. 5), Osnabrück: fibre Verlag 2000, 348 S., 2 Kart., ISBN 978-3-929759-46-4, EUR 24,50
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Die Literatur über deutsch-polnische Beziehungen ist nicht gerade spärlich. Dennoch stößt dieser Sammelband in ein "schwarzes Loch" vor. Er behandelt das wohl finsterste Jahrzehnt dieser Beziehungen, und ein Jahrzehnt zumal, für das entweder gegenseitige Anklagen das Feld beherrschten oder aber das Schweigen. Schon die Periodisierung ist insofern ungewöhnlich, als sie den alles bestimmenden Hiatus des Kriegsendes von 1945 von beiden Seiten her umfasst und nicht den oft gepflegten Eindruck der unüberbrückbaren und unvergleichbaren Zeiten "vorher" und "nachher" perpetuiert.
Der Umstand, dass vor Beginn der Arbeit an diesem Band in einem zweitägigen Workshop mit künftigen Mitarbeitern dessen Konzeption erarbeitet wurde, hat ihm die Beliebigkeit und Lückenhaftigkeit vieler Sammelbände erspart und eine geradezu handbuchartige Abdeckung des Themas gewährleistet (es werden allerdings bewusst Bereiche ausgeklammert, über die bereits viele und vor allem auch neuere Darstellungen vorliegen, so etwa Allgemeines zur NS-"Ostpolitik", die Rolle der deutschen und polnischen Frage in den internationalen Beziehungen, der soziale Wandel nach dem Krieg oder der Warschauer Aufstand). Darüber hinaus konnten alle Autorinnen und Autoren dazu verpflichtet werden, ihre Darstellungen zwar wissenschaftlich seriös, aber doch allgemein verständlich zu erarbeiten, um ein breites Publikum zu erreichen, das zeitgeschichtlich interessiert ist. Das ist weitgehend gelungen: Das Buch liest sich sehr gut. Doch auch für Sachkenner ist der präsentierte neueste Stand der Kenntnisse hoch informativ. Zudem ist die wichtigste Literatur zu den Einzelthemen sorgfältig ausgewählt und mit jeweils knappen Kommentaren versehen, sodass weiterführende wissenschaftliche Arbeiten zu dem hier ausgebreiteten Themenbereich eine solide erste Grundlage finden.
Nur einer der Autoren ist im Zweiten Weltkrieg geboren, alle anderen lange danach; vorwiegend ist dies ein Buch der Vierzigjährigen. Das ermöglicht eine in mehrfacher Hinsicht unbelastete Sicht und den frischen methodischen Zugang einer - soweit möglich - auch emotional unbelasteten Generation. Wenn man nun meint, dass sich dies in einer kaltschnäuzigen Kühle der Darstellung niederschlüge, dann irrt man allerdings: Die Beiträge sind durchwegs mit großer Ernsthaftigkeit und mit tiefem Engagement geschrieben, ob es nun um den deutschen Überfall auf Polen (B. Kosmala), die deutsche Besatzungspolitik (H.-J. Bömelburg und B. Musial), den Völkermord an den Juden (D. Pohl), das Problem von Resistenz und Selbstbehauptung der polnischen Nation (T. Szarota) geht, die polnische Politik gegenüber der deutschsprachigen Bevölkerung östlich von Oder und Neiße 1944-1950 (P. Madajczyk), die Bevölkerungsverschiebungen und Bevölkerungspolitik von 1939-1950 im deutsch-polnischen Vergleich (M.G. Esch) und das Problem der polnischen Kollaboration (J.T. Gross), oder aber um die spätere, auf die Katastrophenzeit von 1939-49 bezogene "Vergangenheitspolitik" in Polen (E. Dmitrów), in der SBZ/DDR (J. Danyel) und in der Bundesrepublik (J. Hackmann). Weder bei den Beiträgen, die die Aktionen und Bewertungen der jeweils einen der beiden Seiten im Blick haben, noch bei den vergleichenden tritt je das Gefühl auf, dass "aufgerechnet" wird.
Dies ist auch bei den aufgeführten Zahlenangaben nicht der Fall, denen die Autoren nicht ausweichen, von denen aber die Herausgeber mit Recht bekennen, dass sie ein besonders heikles und weithin auch unlösbares Problem darstellen, sei es, dass keine genauen oder gar keine Daten vorliegen, also erst bilanziert werden mussten, oder dass statistische Angaben von zeitgenössischer interessierter Seite in der einen oder anderen Richtung über- und untertrieben worden sind. So können zwischen Zahlen für den gleichen Sachverhalt sechs- bis siebenstellige Unterschiede klaffen, die nie zu bereinigen sein werden; es ist verständlich, dass solche Unvereinbarkeiten auch in diesem Buch ihren Niederschlag finden, eine Folge der Forschungslage, nicht aber einer "Politik der Zahlen", die mit Recht als "Mißbrauch der Geschichte" bezeichnet wird.
Dass die Bundeszentrale für politische Bildung sich dieses Buches fördernd angenommen hat, ist ein guter Griff gewesen. Eine so solide und gleichzeitig verständliche Darstellung, die keinen der immer noch bestehenden Dissenspunkte unter den Teppich kehrt und sich dem deutsch-polnischen Gespräch im beginnenden 21. Jahrhundert verantwortlich weiß, wird man so schnell nicht wieder finden können.
Hans Lemberg