Franz-Joachim Verspohl: Michelangelo Buonarroti und Niccolò Machiavelli. Der David, die Piazza, die Republik (= Kleine politische Schriften; Bd. 7), Wien: Manz 2001, 272 S., ISBN 978-3-214-00251-0, EUR 27,30
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Nein, Franz-Joachim Verspohl hat keine neue Studie über den David von Michelangelo vorgelegt. Das handliche Buch in Hardcover und Schutzumschlag vereinigt zwei bekannte Aufsätze des Kunsthistorikers, die der Forschung seit den 80er-Jahren in leicht zugänglichen Publikationen zur Verfügung stehen. Dabei nimmt die Studie über "Michelangelo und Machiavelli. Der David auf der Piazza della Signoria in Florenz" (Städel-Jahrbuch, 1981) den weitaus größten Teil ein und wird ergänzt durch den Aufsatz "Der Platz als politisches Gesamtkunstwerk" (1987), der im Sammelband des Funkkolleg zu den unterschiedlichen Funktionen der Kunst zu finden ist.
Die Texte sind für die neue Publikation sprachlich redigiert, an wenigen Stellen umstrukturiert, gekürzt und ergänzt worden. Die Einteilung in kurze Kapitel soll wohl die Lektüre erleichtern, wirkt jedoch oftmals etwas willkürlich, auch, was die Überschriften anbelangt. Neuere Veröffentlichungen zum Thema sind zwar im Literaturverzeichnis in Auswahl berücksichtigt, haben aber keinen Einfluss auf die Argumentationsstruktur und die grundlegende These des Textes. Diese lautet bekanntlich, dass die Kolossalfigur des David von Michelangelo gerade im Kontext der Rekrutierung einer Bürgermiliz auf Betreiben von Niccolò Machiavelli eine dezidiert moralisch-politische Funktion als Exemplum zu erfüllen hatte. Denn anders als ursprünglich vorgesehen - die Skulptur sollte zunächst als Pfeilerfigur des Florentiner Doms dienen - wurde sie auf niedrigem Sockel direkt vor dem Eingang des Rathauses aufgestellt, mit Blick auf den zentralen Platz der Stadt, wo zu dieser Zeit öffentliche Musterungen stattfanden.
Auch nach zwanzig Jahren hat diese These nichts von ihrer Plausibilität verloren, zumal Verspohl auch in methodischer Hinsicht ihre Absicherung garantiert. So rekonstruiert er im Rahmen seines sozialgeschichtlichen Interpretationsansatzes, der primär die Funktion des Kunstwerks untersucht, das politische Geschehen zur Zeit der Anfertigung und Aufstellung der Skulptur Michelangelos und betont hierbei zu Recht die Gefährdung der Republik durch Angriffe von innen und außen. In diesem Kontext fungierte die Skulptur des David als identitätsstiftende Kraft republikanischer Politik, die sich sowohl gegenüber den alten Florentiner Adelsfamilien, als auch gegenüber der Expansionspolitik des Papstes behaupten musste und vor allem mit der Wiedereroberung Pisas auf die ursprüngliche Einheit des Territorialstaates zielte. Dass gerade die Marmorskulptur des David als Symbol einer "renovatio" der Florentiner Republik nach der Vertreibung der Medici gelten konnte, kann Verspohl durch entsprechende Stellen in den Schriften Machiavellis belegen: Die Entstehungsgeschichte der Skulptur, die Michelangelo bekanntlich aus einem verhauenen Stück Marmor geschaffen hat, wird bei Machiavelli zur Metapher für die mit Schwierigkeiten verbundene, gleichwohl realisierbare Reorganisation des Staatswesens und des Militärs.
Mit Blick auf die hier skizzierte historische Kontextualisierung analysiert Verspohl die Skulptur formal-stilistisch und ikonographisch, wobei er auch eine ikonologische Perspektivierung im Rahmen der ideengeschichtlichen Debatte um die Würde des Menschen bei Manetti und Pico della Mirandola mit berücksichtigt. Die feine Modellierung der Oberfläche, auf welcher sich die anatomisch korrekte Muskulatur im Übergang vom Jugend- zum Mannesalter abzeichnet, war durch den neuen auf Nahsicht angelegten Aufstellungsort möglich geworden. Zugleich demonstriert der Muskelpanzer die vom Staat gewünschte Wehrhaftigkeit des männlichen Körpers, der die Agilität und schnelle Reaktionsbereitschaft der Jugend noch nicht verloren hat. Letzteres wird durch die Körperhaltung unterstrichen: Das in Abwandlung des klassischen Kontrapost leicht nach vorne gestellte linke Bein suggeriert Handlungsbereitschaft, die ihr Korrelat im wachsamen Blick des zur Seite gewendeten Kopfes hat. Ganz im Sinne einer aristotelisch fundierten Moralphilosophie demonstriert die Skulptur somit das harmonische Zusammenspiel von sinnlich-körperlicher Motivation und rationaler Entscheidungskraft einer das Handeln leitenden Klugheit.
Die ikonographische Interpretation, die sich den formal-analytischen Betrachtungen anschließt, ist gegenüber dem zugrunde liegenden Aufsatz stark erweitert worden. Verspohl bezieht sich hier maßgeblich auf die Ergebnisse Herzners (1982) zur politischen Semantik der David-Ikonographie in Florenz. Gerade im Vergleich mit den Skulpturen Donatellos und Verrocchios fällt auf, dass Michelangelo bei seiner Version des David auf die Figur des Goliath verzichtet und sich damit endgültig vom mittelalterlichen Tugendschema der Psychomachie verabschiedet hat. Fast bar jeglicher Attribute wird der nackte männliche Körper zum Sinnbild der "virtus", die Machiavelli in seinen Schriften der weiblich konnotierten "fortuna" gegenüberstellte. David ist hier eben nicht als Sieger dargestellt, sondern soll "Wachsamkeit und Verteidigungsbereitschaft als zivilisierte Daueraufgabe" (52) zum Ausdruck bringen.
Die Idealisierung des tatkräftigen männlichen Körpers, die Michelangelo in den Schriften Manettis und Pico della Mirandolas als Bild des Menschen schlechthin vorgezeichnet finden konnte und ins Kolossale der Skulptur transponierte, gewann unter den Auspizien der Militärpolitik der Florentiner Republik - so noch einmal die leitende These - besondere Relevanz. Um die Effizienz des Heeres zu steigern, setzte sich gerade Machiavelli dafür ein, dass man vom Söldnerwesen Abstand nehme zu Gunsten einer Bürgermiliz. Die Skulptur des David von Michelangelo verkörpert das hier avisierte Ideal des freien männlichen Bürgers, der zugleich Soldat ist und seine Freiheit verteidigen kann.
Seinen Ausführungen zu Bedeutung und Funktion der David-Skulptur Michelangelos schließt Verspohl die interessante Frage an, wie die Medici mit diesem Sinnbild republikanischer Freiheit umgegangen sind, nachdem sie in die Stadt zurückgekehrt waren und ihre Macht auf der Basis eines frühabsolutistischen Herzogtums konsolidiert hatten. Wie gesagt, greift der Autor auch hier auf eine eigene frühere Veröffentlichung zurück, sodass seine Antwort zwar durchaus überzeugt, aber keineswegs neu ist: Nicht durch Entfernen der Statue reagierten die Herzöge, sondern durch ihre Relativierung mittels eines sukzessive hinzugefügten Skulpturenprogramms. Hatte die Figur des David, die unmittelbar neben dem Hauptportal des "Palazzo della Signoria" positioniert war, zunächst zwischen den öffentlichen Sphären von Platz und Rathaus vermittelt, so verliert sie sich schließlich in einer ganz anders ausgerichteten Perspektivflucht, die vom Reiterstandbild Cosimos I. bis zur Skulptur des Großherzogs am triumphbogenartigen Abschluss der Uffizien reicht. Das zum "Palazzo Vecchio" umfunktionierte ehemalige Rathaus ist damit zur bloßen Kulisse geworden, vor der sich die repräsentative Öffentlichkeit des Herzogtums in effigie entfalten konnte. Neu hinzugefügt hat Verspohl seinen Ausführungen zur Platzgestaltung in Florenz einen Vergleich mit der Gestaltung des Kapitolhügels in Rom. Denn hier konnte Michelangelo seinen Vorstellungen von einem republikanischen Stadtforum künstlerischen Ausdruck verleihen, auch wenn der formulierte Anspruch gegenüber den realen Machtverhältnissen, die ganz im Zeichen des Papsttums standen, unhaltbar war.
Freilich hat Verspohl mit der Zusammenstellung der beiden Aufsätze eine erweiterte Perspektive auf die Skulptur des David eröffnet, die auch ihre Rezeption mit einschließt. Andererseits lässt gerade die Neuedition der Texte eine Klärung zentraler Begriffe und Fragestellungen vermissen. So beschreibt Verspohl beispielsweise die Funktionsweise der Skulptur nicht als rhetorisch-pädagogisch fundiertes Exemplum, sondern primär im Sinne einer Bildmagie, ohne diesen anthropologisch perspektivierten Bildbegriff jedoch im Rekurs auf neuere Forschungen (Freedberg, Bredekamp, Belting) zu klären oder auch zu problematisieren. Doch vor allem hätte eine Erweiterung der geschlechterspezifischen Fragestellung fruchtbar sein können, die das von Michelangelo geschaffene und von der Florentiner Republik instrumentalisierte Männlichkeitsbild im Rahmen der sogenannten "querelle des femmes" verorten müsste.
Gerald Schröder