Ernst Badstübner / Uwe Albrecht (Hgg.): Backsteinarchitektur in Mitteleuropa. Neue Forschungen - Protokollband des Greifswalder Kolloquiums 1998 (= Studien zur Backsteinarchitektur; Bd. 3), Berlin: Lukas Verlag 2001, 389 S., 264 s/w-Abb., ISBN 978-3-931836-26-9, EUR 36,00
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Die Backsteinarchitektur im nordöstlichen Europa geriet nach 1945 aus dem Blickfeld der deutschen Kunstgeschichte. Dieser im späten Mittelalter recht einheitlich gewachsene Kulturraum wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in verschiedene Staaten und Gesellschaftssysteme aufgespalten. Für Forscher aus einem Land war es fast unmöglich, das gesamte Gebiet zu bereisen. Auch gab es kaum einen wissenschaftliche Austausch zwischen Kunsthistorikern aus den beiden deutschen Staaten, Polen und dem Baltikum. Eine kleine Ausnahme bildete das Caspar-David-Friedrich-Institut an der Universität Greifswald, wo unter Leitung von Nikolaus Zaske drei internationale Backsteinkolloquien (1978, 1983, 1987) stattfanden. Ernst Badstübner führte diese Tradition 1998 mit einer Tagung fort, deren Beiträge nun in einem Protokollband vorliegen.
Die 23 Aufsätze belegen, dass die Beschäftigung mit der Backsteinarchitektur in den 1990er-Jahren wieder an Beliebtheit gewonnen hat. Eine Reihe junger Kunsthistoriker aus Ost und West wählte sich das Thema zum Dissertationsgegenstand. Ergebnisse dieser neuen Forschungen werden im vorliegenden Band präsentiert. Eine zweite Gruppe von Autoren stammt aus den Reihen der Denkmalpflege, die sich aus praktischen Gründen intensiver mit dem Backsteinbau befasste als die Kunsthistoriker an den Hochschulen.
Trotz des Titels "Backsteinarchitektur in Mitteleuropa" beschäftigen sich fast alle Artikel mit Objekten aus dem Bereich des südlichen und östlichen Ostseeraums sowie des mitteldeutschen Binnenlandes. Der zeitliche Schwerpunkt liegt beim Mittelalter (14 Beiträge) und beim Historismus (5 Beiträge). Vorgestellt werden Aspekte zum Backsteinmaterial und dessen Herstellung (Dachziegel/Hildesheim, Maßwerk/Sankt Katharinen in Brandenburg, Formziegel/Nikolaikirche in Wismar, Terrakottaplatten/Prag, Ziegelproduktion/Lüneburg), einzelne Bauteile (Sterngewölbe/Deutschordensland Preußen, Querhaus/Sankt Georgen in Wismar, Westbau/Sankt Marien in Stralsund, eingetiefte Kapellen und Sakristeien, Domchor/Turku), Baumonografien (Riga/Dom, Dargun/Klosterkirche, Jerichow und Havelberg, Mühlberg/Klosterkirche, Leipzig/Klingers Haus), regionale Baugruppen (Obersachsen und Lausitz, Lausitz und Niederbayern, neugotische Reichspostbauten in Norddeutschland, Stettiner Ziegelbauten des 19. Jahrhunderts) sowie einzelne Architekten (Fritz Höger). Aus der Fülle der Themen und Forschungsergebnisse können an dieser Stelle nur wenige herausgegriffen werden.
Außergewöhnlich ist zweifellos der von Karl Bernhard Kruse präsentierte Fund von Bruchstücken der unter Bischof Bernward in Hildesheim um 1000 hergestellten großen Dachziegel. Diese wurden mit dem Stempelaufdruck "Bernward" versehen. Nach der zeitgenössischen Chronik von Thangmar ließ der Bischof die Dachziegel verwenden, "ohne dass es ihm jemand gezeigt hätte". Es handelt sich damit zweifellos um eines der frühesten Beispiele einer eigenständigen Ziegelproduktion in Deutschland.
Die exklusivsten Erzeugnisse aus dem Bereich der Backsteinproduktion waren Formziegel beziehungsweise Terrakottaplatten mit Figurendarstellungen oder Ornamentdekor. Besonders reich damit versehen wurde der Vorhallen-Südgiebel der Sankt Nikolai-Kirche in Wismar, der Gegenstand des Beitrags von Béatrice Busjan ist. Sie verweist auch auf verwandte Schmuckziegel des 15. Jahrhunderts in der Region. Hochwertige Terrakottaplatten des 16. Jahrhunderts mit Renaissance-Motiven aus der Prager Burg stellt Petr Chodebor vor.
Steffanie Becker-Hounslow beschäftigt sich mit den preußischen Sterngewölben und fragt in diesem Zusammenhang nach der Beziehung zwischen dem Deutschordensland Preußen und England. In der Diskussion darüber, ob die preußischen Gewölbe von englischen Vorbildern abzuleiten sind, oder ob es sich im Ordensland um eine eigenständige Entwicklung handelt, nimmt die Autorin eine vermittelnde Position ein. Demnach wären nur die ersten Sterngewölbe von England her inspiriert worden, die weitere Formenentwicklung wäre in Preußen aber ohne weiteren äußeren Einfluss erfolgt. Es stellt sich dabei jedoch die Frage, ob auf Grund des systematischen Fortschritts bei der Ausformung der preußischen Gewölbe in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts überhaupt ein englischer Impuls notwendig war. Außerdem sind die frühen preußischen Einzelsterne kaum mit den diffizilen englischen Gewölbelösungen vergleichbar, sodass eine eigenständige Entwicklung des isolierten Vierzacksterns in Preußen um 1300 wahrscheinlicher ist.
Reinhard Schmitt unternimmt in einem ausführlichen Beitrag den Versuch, eine Frühdatierung (Baubeginn um 1148) von Kirche und Klausur in Jerichow zu begründen (bisheriger Vorschlag nach 1178). In etwa die gleiche Zeit (um nach 1150) setzt er den bisher wesentlich früher datierten Dom zu Havelberg, bei dem das Obergeschoss des Westbaus aus Backstein besteht. Jerichow wäre damit einer der frühesten sakralen Monumentalbauten aus Backstein in Deutschland.
Hansjörg Rümelin untersucht die Entwicklung der Ziegelherstellung am Beispiel des städtischen Altenbrücker Ziegelhofs in Lüneburg, bei dem sich zwischen dem 13. und 19. Jahrhundert eine ununterbrochene Produktion von Normal-, Form- und Dachsteinen nachweisen lässt. Für den Zeitraum vom 15. bis zum 18. Jahrhundert sind umfangreiche Rechnungsunterlagen erhalten, sodass der Produktionsausstoß, aber auch die Rentabilität berechnet werden konnten. Um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert erreichte die Ziegelherstellung mit etwa 520000 Stück pro Jahr ihren Höhepunkt. Später sank die Produktion auf etwa 200000 Ziegel. Versorgt wurden in erster Linie öffentliche und private Bauten in Lüneburg selbst. Der Materialexport war recht gering. Bemerkenswert ist die Erkenntnis, dass der Ziegelhof ständig defizitär arbeitete und vom Stadtrat subventioniert werden musste. Dies nahm man offenbar in Kauf, um die Versorgung der Stadt mit Baumaterial sicherzustellen.
Auf der Suche nach dem Anfang der Backstein-Neuromanik verweist Goerd Peschken auf das 1802 von Schinkel entworfene Molkenhaus in Bärwinkel. Der nur noch teilweise erhaltene Bau wurde nach jahrelangem Leerstand vor einiger Zeit gesichert. Klaus Haese erläutert in seinem Beitrag über die neogotische Backsteinarchitektur der Kaiserlichen Reichspost in Norddeutschland ein Beispiel staatlich verordneten Baustils.
Christofer Herrmann