Schweizer Forstverein (Hg.): Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen. Monatliche wissenschaftliche Zeitschrift, 152 (2001), Heft 12, Zürich: Bühler Druck, Redaktion: sfz@fowi.ethz.ch, Abonnement: Schweiz: SwF 105,00; Ausland: EUR 135,00, ISSN 0036-7818
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David Blackbourn: The Conquest of Nature. Water, Landscape, and the Making of Modern Germany, London: Random House 2006
Agnes Limmer: Umwelt im Roman. Ökologisches Bewusstsein und Literatur im Zeitalter der Industrialisierung, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2019
Andreas Pettenkofer: Die Entstehung der grünen Politik. Kultursoziologie der westdeutschen Umweltbewegung, Frankfurt/M.: Campus 2014
Gabriele Dürbeck / Bettina Gockel / Susanne B. Keller (Hgg.): Wahrnehmung der Natur - Natur der Wahrnehmung. Studien zur Geschichte visueller Kultur um 1800, Dresden: Verlag der Kunst 2001
Mit Heft 12 des Jahrganges 2001 verabschiedet sich Anton Schuler nach zwölf Jahren als Herausgeber der Schweizerischen Zeitschrift für Forstwesen. Den Weggang des Zürcher Forsthistorikers Schuler "Von der Redaktion (zurück) zur Wald- und Forstgeschichte" umrahmen sechs Beiträge vornehmlich aus der schweizerischen Forstgeschichte, die damit diese Ausgabe im Wesentlichen zu einem forstgeschichtlichen Themenheft machen.
Zunächst geben Matthias Bürgi, Katja Hürlimann und Anton Schuler einen historiographischen Überblick zur "Wald- und Forstgeschichte in der Schweiz" (476-483). Ihre Traditionen und Entwicklungslinien werden herausgearbeitet und die Rolle des Waldes in der Umwelt-, der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte beleuchtet. Die Verfasser treten dafür ein, die historischen Nachbardisziplinen, aber auch Soziologie, Ethnologie und selbst die Linguistik mit ihren Inhalten und Methoden in der Forstgeschichte stärker zu berücksichtigen. Zugleich wird der Mangel an Arbeiten, welche die ökologischen Dimensionen der Waldentwicklung zum Gegenstand haben, kritisiert.
Den Autoren gelingt eine kenntnisreiche Synopse der wichtigsten forstgeschichtlichen Strömungen in der Schweiz und über sie hinaus. Exponenten und zentrale Themen werden namhaft gemacht. Ein besonderes Augenmerk findet der zwischen Forst-Fachhistorikern und Vertretern der allgemeinen Geschichte vor etwa zwanzig Jahren entbrannte Streit um die Frage einer vorindustriellen Holznot in Mitteleuropa. Dazu sei angemerkt, dass, unabhängig von der Provenienz der Forsthistoriker und ihren theoretischen und methodologischen Standpunkten, die exakt recherchierte und empirisch fundierte Fallstudie am ehesten einer Legendenbildung entgegenwirkt.
Christoph Ernst leitet in seinem Aufsatz "Waldentwicklung als Politikfeld. Das südwestliche Rheinland (Deutschland) im 18. Jahrhundert" (484-489) drei verschiedene historische Waldtypen ab. Je nach vorherrschender Nutzungsart unterscheidet er die Kategorien Holzproduktionswald, Landwirtschaftswald und Jagdwald. Er sucht durch diesen Ansatz den Anschluss an neuere "Waldtypenbildungen" in der Forstgeschichte und interessiert sich besonders für die Rolle der Waldnutzer. Die Analyse ihrer Kommunikation hält er für ein aussichtsreiches Instrument zur Darstellung der Akteurspositionen. Ernst illustriert seine Methode durch Beispiele aus der eigenen forstgeschichtlichen Arbeit und kann zeigen, dass die dabei gewonnenen Erkenntnisse hergebrachte forstgeschichtliche Glaubenssätze, zum Beispiel zur Holzproduktion in Gemeindewäldern, erschüttern oder doch relativieren können.
Einer ebenso materialreichen wie interessanten Aufgabe unterziehen sich Martin Stuber und Matthias Bürgi mit ihren Untersuchungen über "Agrarische Waldnutzungen in der Schweiz 1800-1950. Waldweide, Waldheu, Nadel- und Laubfutter" (490-508). Diese sind Gegenstand des vorliegenden ersten Teiles; der in Vorbereitung befindliche zweite Teil wird die Streuentnahme und die landwirtschaftliche Zwischennutzung behandeln. Stuber und Bürgi möchten durch ihre Arbeit zu einer "differenziertere[n] Beurteilung der historischen agrarischen Waldnutzungen" kommen und dem Artenschutz historisch-ökologische Informationen an die Hand geben. Thematisiert werden die Trennung von Land- und Forstwirtschaft, und es werden die Nutzungsformen nach ihren Inhalten und Funktionen dargestellt. Anschaulich werden Ereignisse und Prozesse beschrieben und erklärt, die schließlich zur Verdrängung und Beendigung der Nutzungen führten. Die Verfasser ordnen dem Geschehen die hauptsächlichen sozioökonomischen Rahmenbedingungen zu, machen Aussagen zu den ökologischen Auswirkungen und wagen sich selbst an die Quantifizierung des Biomasseentzuges durch Waldweide heran. Dabei kommen auch technische Details der Nutzung nicht zu kurz. Schließlich illustriert und gliedert eine Reihe sehr anschaulicher Abbildungen (Grafiken und Fotos) den Text. Damit gelingt den beiden Autoren eine sehr fassettenreiche analytische Studie über ein von der Forschung immer noch zu Unrecht stiefmütterlich behandeltes Thema. Die umfangreiche Bibliografie lädt zu weiterer Beschäftigung ein.
Anschließend widmen sich drei Wissenschaftlerinnen einem für die Forst- und Umweltpolitik der Schweiz überaus wichtigen Phänomen des 19. Jahrhunderts: dem Hochwasser. Der erste Beitrag untersucht das Wirken der wohl bekanntesten Schweizer Forstleute des 19. Jahrhunderts ("Von Karl Kasthofer zu Elias Landolt: Unterschiedliche Blickwinkel auf die Schweizer Gebirgswälder am Beispiel des Vorderrheintals" (509-514)). Unter dem Eindruck von wiederholten Hochwasserereignissen bereisten beide die Gebirgskantone und kamen zu dem Ergebnis, dass jene vor allem die Folge von Entwaldungen und fehlerhafter Waldbewirtschaftung seien. Es ist aufschlussreich zu sehen, wie die Verfasserin den verschiedenen zeitlichen und räumlichen Maßstabsebenen je unterschiedliche Hauptakteure mit abweichenden Interessenlagen zuordnet und das Argumentationsverhalten der beiden genannten forstlichen Protagonisten kritisch diskutiert.
Agnes Nienhaus analysiert die Wirkungen, die das Hochwasser von 1834 auf die kantonale Forstpolitik Graubündens und auf allfällige Modernisierungsabsichten hatte ("Das Hochwasser von 1834 als Wendepunkt für die moderne Forstwirtschaft? Institutionalisierungsprozesse im Bereich der Waldnutzung in Graubünden" (515-520)). Diese instruktive Arbeit offenbart einmal mehr die Bedeutung von externen Faktoren in politischen Prozessen. Nienhaus beschreibt zunächst die im wesentlichen erfolglosen Bemühungen um eine Reform der gemeindlichen Waldbewirtschaftung. Erst die Überschwemmung von 1834 schuf die Voraussetzungen für regulative Maßnahmen im Sinne einer geregelten, schonenden Waldbehandlung. Die "Installierung" eines kantonalen Forstbeamten sicherte die Umsetzung der Forstpolitik auf der Gemeindeebene und sorgte für eine Präsenz forstlicher Themen in den politischen Gremien. Alsdann aber schrumpfte der Handlungsspielraum für forstpolitische Veränderungen. Das Hochwasser von 1834 konnte bereits nach wenigen Jahren dem Reformprozess keine Impulse mehr geben.
Die "Politische[n] Konsequenzen aus dem Unwetterereignis von 1868 - Anfänge des eidgenössischen Hochwasserschutzes" (521-526) zeichnet Franziska S. Schmid in ihrem Aufsatz nach. Schmid geht es in erster Linie um eine Darstellung der Handlungsräume und des spezifischen Akteursverhaltens. Auch diesmal nutzten die Forstleute das Katastrophengeschehen für die Artikulierung und Umsetzung ihrer forst- und standespolitischen Anliegen. Der Schweizerische Forstverein suchte durch eine formelhafte Verkürzung des ursächlichen Geschehens ("Abholzungen führen zu Hochwasser") öffentliches Bewusstsein zu schaffen und die Entscheidungen der Bundesbehörden zu beeinflussen. Noch glaubte man, durch eine ausreichende Technik den Fährnissen der Natur langfristig wirksam entgegenarbeiten zu können. Schmids Ausführungen fordern dazu auf, die historische Analyse einer Naturkatastrophe mit den Befunden von Untersuchungen über aktuelle Umweltgeschehnisse zu vergleichen.
Sehr beachtenswert scheint bei allen genannten Aufsätzen vor allem der Blick auf die Akteure, ihre Interessen, Strategien und politischen Instrumente zu sein. Solches Vorgehen schließt auch jene Quellengattungen ein, die bisher in der Forstgeschichte noch zu kurz gekommen sind. Folgerichtig definieren sich die Akteure weniger durch ihren gesellschaftlichen Status, als durch ihre Interessen und ihre Durchsetzungsmacht. Wer das bei der forstgeschichtlichen Arbeit ernst nimmt, kann, wie die hier besprochenen Arbeiten überzeugend dartun, zu überraschenden, erhellenden und dabei gut fundierten Erkenntnissen kommen.
Sofern das vorliegende Heft einen Eindruck von den derzeitigen hauptsächlichen Fragestellungen der Forstgeschichte in der Schweiz vermitteln will, scheinen politikfeldanalytische Ansätze und ihre Anwendung auf Vorgänge des 19. Jahrhunderts im Vordergrund zu stehen. Das Zusammengehen von historischer Methode und Sozialwissenschaft hat sich damit in der Forstgeschichte etabliert und bewährt. Vielleicht sollten darüber hinaus auch ökologische und technische Aspekte, wie sie von Stuber und Bürgi behandelt und von Bürgi, Hürlimann und Schuler angemahnt werden, intensiver bearbeitet werden. Die Erfahrung lehrt, dass solches in besonderem Maße des forstwissenschaftlich geschulten Forschers bedarf. Forstwissenschaftler sollten ihre ökologische Kompetenz der forstgeschichtlichen Arbeit wieder stärker zugänglich machen. Dadurch würde erreicht, dem Wald selbst die Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die ihm an der Seite der oben skizzierten Untersuchungsgegenstände gebührt.
Peter-Michael Steinsiek