Bernd Herrmann: Umweltgeschichte. Eine Einführung in Grundbegriffe (= Springer-Lehrbuch), Heidelberg: Springer-Verlag 2013, XIV + 343 S., div. Abb., ISBN 978-3-642-29723-6, EUR 29,95
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Die Umweltgeschichte liegt an der Schnittstelle methodisch sehr unterschiedlich arbeitender Forschungsbereiche, besonders der historischen und geographischen Wissenschaften. Während für die Geographie der Mensch nur eine von vielen Bedingungen in natürlichen Prozessen darstellt, betrachtet die Geschichtswissenschaft vom Menschen ausgehend die Natur als eine von mehreren Rahmenbedingungen. Diese unterschiedlichen Gewichtungen bei der Perspektivenwahl führen zu verschiedenen Argumentationsstrukturen. Eine Einführung in die Grundbegriffe sollte also diese Ebene, wie auch die Ebene der fachspezifischen Methodik, betrachten. Bei der Umweltgeschichte tritt die Ebene der ableitenden und auf das Fach rückwirkenden Instrumentalisierung hinzu, denn das "historische Beispiel wird oft funktionalisiert" (IX), obwohl die Umweltgeschichte nicht die Aufgabe der "Formulierung von Handlungsoptionen oder wie auch immer gearteter Sinnzuschreibungen" (326) hat. Den Versuchen, die Umweltgeschichte über das Fach hinaus zu instrumentalisieren, hat der Autor, Bernd Hermann (Göttingen), über Jahre hinweg in Diskussionen begegnen müssen, die dabei entwickelten Argumentationen führt er in dieser Einführung zusammen. Die grundlegende Perspektive des Bandes - und das ist wichtig je nach fachlicher Vor-/Ausbildung des Lesers - liegt stärker auf der geographischen Herangehensweise.
Der Band ist in vier große Kapitel untergliedert: Auf die "Einführung" (1-26) folgt im zweiten Teil eine "Orientierung und thematische Annäherung" (27-80), im dritten und bei weitem umfassendsten Teil werden die "Grundbegriffe und Themenfelder" erläutert (81-270), und diese Überlegungen münden im "zusammenführende[n] Hauptabschnitt" (271-328). Die Quellen- und Literaturangaben - in einem naturwissenschaftlichen Zitationssystem nach amerikanischem Vorbild - finden sich jeweils am Ende der Großkapitel und werden ergänzt durch einige "zusätzliche Leseempfehlungen" (329 f.). Ein "Sachverzeichnis" (331-343) rundet den Band ab.
Dem Autor ist darin zuzustimmen, dass für die Umweltgeschichte eine "disziplinäre Zuordnung zu den Geschichtswissenschaften [...] inhaltlich nicht zwingend" (3) ist, aber es scheint doch fraglich, ob in der Umweltgeschichte "in der Regel das naturwissenschaftliche Element unterrepräsentiert" (4) sei. Gerade im Bereich der Einzelstudien zu verschiedenen Klimaarchiven (Dendrodaten, Eisbohrkerndaten, Warvendaten etc.) gibt es sehr viele neue naturwissenschaftliche Studien.
Auf den ersten 50 Seiten der thematischen Annäherung werden verschiedene historische und soziologische Konzeptentwicklungen (Ranke, Simmel, Kant, Herder, Marx) in Bezug auf Natur, Naturauffassung und Umwelt vorgestellt. Eingestreut finden sich darin immer wieder konkrete Einzeldiskussionen (Kabeljau 12, Lachs 44, Singvogelschutz 49, Kaninchen 55, Löwenzahn 59) oder die bekannten Beispiele isolierter Kulturentwicklung auf den Osterinseln und Grönland (65), die einerseits interessante Details und den aktuellen Stand (teilweise) sehr langer Diskussionsprozesse spiegeln, andererseits die stringente Darstellung immer wieder unterbrechen. Eine der Stärken des Bandes ist, dass zu vielen umweltgeschichtlich relevanten Themenfeldern der aktuelle Forschungs- und Diskussionsstand referiert wird. Wer beispielsweise zur invasiven Ausbreitung der Kudzupflanzen die aktuellste Einführung sucht, wird sie hier finden.
Hermann definiert fünf so genannte ökosystemare Grundkategorien (Zeit, Raum, Stoff, Energie und Information) und fünf Grundbegriffe (Wasser, Luft, Boden, Feuer und Biota), um darauf grundlegende Analyseansätze aufzubauen. Dieser Ansatz ist vielversprechend, verläuft sich aber für jede Kategorie und jeden Begriff in einer Vielzahl von Fallbeispielen.
Mit dem Satz "Damit ergibt sich die besondere Schwierigkeit der Erfüllung jenes Postulates, nachdem aufzuzeigen wäre, 'Wie es eigentlich gewesen' ist (Leopold Ranke 1795-1886)" (7), geht der Autor bei jedem modernen Historiker durch offene Türen, kein Geschichtstheoretiker verfolgt heute noch ernsthaft Rankes Ziele. Dieses Beispiel zeigt deutlich ein Problem des Einführungsbandes: Das vermittelte Bild historischer Methodik und Quellenarbeit ist eindeutig überaltert. Die Geschichtswissenschaften haben sich in den letzten 150 Jahren seit Ranke weiterentwickelt und viele Problemfelder analysiert, die einen realitätsrekonstruierenden Ansatz oft unmöglich machen. Archive sind eben nicht nur "Ereigniskataloge" (91), sondern auch Wahrnehmungs-, Überlieferungs-, Instrumentalisierungs- und Rezeptionskataloge.
Die Forderung, neben historischen Quellen auch dendrochronologische Daten zu nutzen (95), kann nur unterstützt werden. Allerdings spielt der Autor genau in diesem Bereich seine ureigensten Stärken nicht aus. So findet sich im Sachregister kein Eintrag zur "Dendrochronologie". Wie diese Methode funktioniert, welches ihre Vor- oder Nachteile sind, wie die Verwendbarkeit solcher Daten im Rahmen der Umweltgeschichte zu bewerten ist, darüber erfährt der Leser nichts. Genauso wenig erfährt man darüber, wie die Validität der Daten von Eiskernbohrungen einzuschätzen ist, wenn diese ein Datengap aufgrund einer Luftblase enthalten. Die Darstellung der archäometrischen Methodik im Kontext der umweltgeschichtlichen Datengewinnung bleibt in diesem Bereich weitgehend unberücksichtigt.
Dem überproportionalen Interesse der umwelthistorischen Forschung an Umweltkrisen (179) und Katastrophen versucht der Autor durch ein kurzes Kapitel zu Elementarereignissen, Extremereignissen und "Naturkatastrophen" (179-187) entgegenzusteuern. Darin konstatiert er einerseits "Naturkatastrophen existieren nicht" (181), da sie ja nur den Menschen als solchen betreffen würden, andererseits sollen "auch Kriege zu den Umweltkrisen" (187) gehören, die - vermutlich als "man made disasters" - aber ebenfalls nur den Menschen betreffen. Widersprüchlich sind auch andere Aussagen des Kapitels, so seien Extremereignisse "nicht vorhersehbare, zufällige Ereignisse" (179), gerade die Bestimmung der Wahrscheinlichkeiten künftiger Vulkanausbrüche und Erdbeben wird aber doch intensiv erforscht. Andererseits stellt Herrmann selbst fest, dass "Hochwasser ökosystemare Regelereignisse" (184) sind. Wer im abschließenden Hauptabschnitt eine große kompilierende Zusammenführung des bisher Gelesenen erwartet, wird von drei ausführlichen Detailuntersuchungen überrascht: a) zur Melioration des Oderbruches, b) zur Kartoffel und dem Kartoffelkäfer sowie c) von einer Bildinterpretation.
Fazit: Eine Stärke des Buchs ist der aktuelle Forschungsstand der referierten umweltgeschichtlich relevanten Fallbeispiele sowie die Herangehensweise über Grundkategorien und -begriffe ("Umweltmedien"), die teilweise praktikable Analyseansätze bietet. Aber durch die häufige Überfrachtung mit Detaildiskussionen wird allzu oft der stringente Lesefluss gehemmt. Der Text macht an zu vielen Stellen den Eindruck, das Ergebnis eines additiven Schreibprozesses zu sein. Die drei ausführlichsten Beispielanalysen folgen im Hauptabschnitt und lassen den Leser ohne eigentliche Zusammenführung zurück. Das Buch bietet viel Kritik an der Methodik der Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts und viele Argumentationsverläufe umwelttheoretischer Diskussionen seit den 1970er-Jahren; demgegenüber setzt es sämtliche archäometrischen und geographischen Methoden voraus. Es führt in ein auf umweltgeschichtlichen Grundbegriffen/-kategorien basierendes Analysesystem ein, bietet aber nur wenig Einführung in die Umweltgeschichte als solche.
Thomas Wozniak