Harriet Roth (Hg.): Der Anfang der Museumslehre in Deutschland. Das Traktat 'Inscriptiones vel Tituli Theatri Amplissimi' von Samuel Quiccheberg. Lateinisch-Deutsch, Berlin: Akademie Verlag 2000, IX + 362 S., 6 Abb., ISBN 978-3-05-003490-4, EUR 64,80
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Einen wahren Klassiker und zugleich Singulär der frühneuzeitlichen "Museumslehre" hat sich diese kunsthistorische Dissertation zum Gegenstand erkoren, die in Berlin bei Horst Bredekamp angefertigt wurde. Es handelt sich um die "Inscriptiones vel Tituli theatri amplissimi", die der aus Antwerpen gebürtige Samuel Quiccheberg 1565 in München veröffentlichte.
Als Agent und Bibliothekar zunächst in den Diensten der Fugger, dann der bayerischen Herzöge, war der Verfasser prädestiniert dafür, sich ebenso grundsätzlich wie auf Grund praktischer Erfahrung mit dem frühneuzeitlichen Sammlungswesen auseinander zu setzen. Doch trotz der seit dem 16. Jahrhundert so weit verbreiteten Sammelleidenschaft von Fürsten, Bürgern und Gelehrten blieb Quicchebergs Text für lange Zeit die einzige umfassende und theoretisierende Abhandlung zu Grundlagen und Organisation von Museen.
Schon von daher darf das Buch auf reges Interesse hoffen. Hinzu kommt, dass Quicchebergs Text sehr selten ist, sodass mit der Neuausgabe zweifellos ein dringliches Desiderat eingelöst wurde. Der Text von Roths Buch gliedert sich in drei Teile, Einleitung (1-34), lateinischer und deutscher Text (36-225), Kommentar (227-317). Eine Schlussbemerkung (bis 319) schließt sich an.
Zunächst zu den einleitenden und kommentierenden Teilen: Bereits durch die sprachliche Gestaltung dieser etwa 120 Seiten wird der Leser bisweilen vor erhebliche Probleme gestellt. Nicht selten finden sich Sätze, deren Lesbarkeit hart an die Grenze des Verstehbaren geht. Etwa: "Die Geschichtswissenschaft und deren Darstellung erklärt sich durch das Studium und Quicchebergs Aufgabe als Bibliothekar der Fugger [...]" (253). Weder "Die Geschichtswissenschaft" noch "deren Darstellung" dürfte sich durch die Fugger erklären lassen! "Die Sammler sind beschrieben und wie diese beim Sammeln vorgehen mögen" (262); "Diese Sammler und Gelehrte sind Quicchebergs Anmerkungsapparat." (316) Angesichts zahlreicher Formulierungen dieser Art leidet das Lesevergnügen beträchtlich. Hinzu kommen durchgängig Wiederholungen schon mehrfach erwähnter Tatsachen, etwa des Faktums, dass Quiccheberg bei den Fuggern angestellt war oder dass es in der Frühen Neuzeit zahlreiche Bücher gab, die sich titelgebend als "Theatrum" bezeichneten.
Neben den sprachlichen und darstellerischen Unebenheiten muss auch die inhaltliche Analyse des Textes selbst kritisch kommentiert werden. Offensichtliche Flüchtigkeitsfehler sind nicht zu übersehen: Keinesfalls gehörte das Recht zum Quadrivium (und ob "Philosophie" dessen Bestandteil war (hierzu auch 253), ist zumindest diskutabel, 5 Anmerkung 27); Zwinger und Lycosthenes haben das "Theatrum Vitae humanae" nicht gemeinsam, sondern Ersterer hat es nach dem Tod des Letzteren herausgegeben (16); die "Kommunikations- und Austauschmöglichkeiten von Gelehrten in der Renaissance" sind nicht schlecht untersucht (27) (man denke beispielsweise an die Arbeiten über den Hartliebkreis stellvertretend für vieles andere); der Begriff der "Artes activae" ist nicht gebräuchlich (279).
Die Auflistung solcher Fehler oder Unsicherheiten en detail mag als gewollt und verzerrend erscheinen, sie ist es aber nicht, denn sie unterstützt den gesamten Lektüreeindruck. In den kommentierenden Passagen handelt es sich weitgehend um einen fahrigen, bisweilen repetitiven Text, der insgesamt an der versuchten Einordnung von Quicchebergs Traktat in die zeitgenössischen Denkhorizonte scheitert.
So gelingt es Roth zumeist nicht, die immer wieder angerissenen zeitgenössischen Vorstellungen ernsthaft mit Quicchebergs Text in Verbindung zu bringen. Lediglich die Nähe zu beziehungsweise Ferne von Giulio Camillos mnemotechnischem Theater wird eingehender diskutiert. Andeutungen zu Conrad Gessner bleiben vage: Quiccheberg "zitiert den Polyhistor [...] vermutlich als Vorlage für die Ordnung der Tiere" (238) - ein systematischer Vergleich findet nicht statt, ebenso wenig der Abgleich mit möglichen alternativen Ordnungen. Überhaupt fehlt eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Problem der Anordnung von Wissen, das die frühe Neuzeit auf so eklatante Weise beschäftigte.
Leonhard Fuchsius wird im gleichen Atemzug als "vorbildlich" eingeschätzt - das war er zweifellos für viele Zeitgenossen, doch etwas präziser würde sich der Leser diesen postulierten Vorbildcharakter für Quicchebergs Museum doch wünschen. Eine Seite weiter wird Arcimboldo mit seinen Gemälden als wichtiges Pendant für die Beschäftigung mit den "Motiven und den spielerischen Möglichkeiten der Materialvielfalt" genannt - auch hier würde man gerne Näheres über den (offenbar vermuteten) gemeinsamen Erfahrungshorizont zwischen Sammlung und Malerei hören.
Keiner insgesamt abschließenden Einschätzung zugeführt wird auch die - ohne direkte Notwendigkeit dauernd mitgeschleppte - Frage, in welcher genauen Beziehung der Text zu den zeitgenössischen Münchner Sammlungen nun stand. Kurzum: Weder ergeben sich genauere Einsichten in die Frage, weshalb Quiccheberg genau diese Ordnung entwickelte, noch, welche Alternativen etwa bestanden hätten, noch, welche Funktion das Sammeln in der Frühen Neuzeit überhaupt hatte.
Es ist dabei nicht so, dass Roths Quiccheberg-Exegese nicht etliche bemerkenswerte Fassetten des Textes und seines Entstehungskontextes benennen würde. Doch leider werden diese Aspekte zumeist im Wortsinne nur benannt, ohne ausgeführt zu werden. Der Gedanke, in Parallele zur Gelehrtenrepublik eine "Sammlerrepublik" einzuführen (mehrmals passim) ist außerordentlich einleuchtend, drängte mit dem reichen Material des Textes geradezu nach Ausarbeitung. Doch beständig wird nur vermerkt, dass diese Arbeit nicht geleistet werden könne.
Ähnliches gilt für die mehrfach von Roth herausgestellte Integration von bildlicher, architektonischer und sprachlicher Vermittlungsebene bei Quiccheberg - auch hierzu hätte sich wahrlich vieles sagen lassen [1]. Auch der von Roth so deutlich herausgestellte pragmatische Zug des Sammelns im Quicchebergschen Konzept hätte vielleicht als grundlegendes Interpretament des ganzen Textes herhalten können, statt nur immer wieder erwähnt zu werden. Gerade dann hätte auch eine ausführlichere Analyse der literarischen Theatra, auf die so oft angespielt wird, weiterhelfen können, denn diese Werke dürften insgesamt vor allem für diese "pragmatische" und "offene" Sammlungsweise stehen, würden also die Beobachtungen zum sammlerischen Vorgehen, die sich anhand des Textes ergaben, bemerkenswert ergänzen.
Zur Übersetzung: Vorab ist zu erwähnen, dass sich außerhalb des Übersetzungsteiles etliche Fehler in der Verwendung lateinischer Phrasen finden: "viri illustris", "viri illustribus" (mehrfach 16-18), Numerus von "admonitio" in Verbindung mit dem deutschen Verb (259). Derartige Flüchtigkeitsfehler sind an sich vernachlässigenswert, doch passen sie einerseits in das skizzierte Gesamtbild, andererseits setzt sich dieser bisweilen fragwürdige Umgang mit der lateinischen Sprache in der eigentlichen Übersetzung fort. Vorweg ist uneingeschränkt zuzugestehen, dass Quiccheberg keinen sehr eleganten Stil pflegte, häufig dunkel und in seinen Konstruktionen verquer ist. Umso mehr hätte es einer Übersetzung bedurft, die im deutschen Text eine erhöhte Lesbarkeit garantierte, statt (wie häufig der Fall) den knappen Duktus des Originals abzubilden.
Zudem durchziehen diesen Teil der Arbeit verunklärende oder falsche Übersetzungen: "tabulae chorographicae" (42) sind keine "Sternenkarten", sondern seit Ptolemaios von den geografischen Karte unterschiedene landeskundliche Karten; "imagines excellentes" (52) sind "hervorragende Bilder" und nicht "dreidimensionale Bilder". Nicht zutreffend ist auch die Übersetzung der Zeilen 467ff. (Seite 66: "et quicquid ita rarum ut non minus ad admirandum thesaurum, quam ad instructum armamentarium videatur transferendum"), die übersetzt werden müssten mit "alles, was so rar ist, dass es nicht weniger in einen bewunderungswürdigen Schatz, als in eine eingerichtete Waffenkammer überführt werden sollte".
Diese Ungenauigkeiten in der Übersetzung führen, gepaart mit der insgesamt zurückhaltend durchgeführten Einbettung in zeitgenössische Kontexte, dann auch zu sinnentstellenden Interpretationen. Weit am Sinn des Gemeinten vorbei trifft insbesondere die Übersetzung der Inscriptio V/4 (70f.): Mit "tabulae ramosae, et aliae singularum adeo disciplinarum partitionem et principalia capita ample ob oculo ponentia" meint Quiccheberg - gerade im Zusammenhang der Einteilung der Wissenschaften - nicht "Genealogien" oder die "wichtigsten Köpfe" der Wissenschaften, sondern die weitverbreiteten Überblickstafeln im Stile des Ramismus. Damit wird die zeitgenössische Debatte um die richtige Gliederung und Präsentation des vorhandenen Wissens in diesem Falle selbst Teil der Ausstellung!
Ferner sei der höchst problematische Umgang mit dem Öffentlichkeitsbegriff herausgegriffen (263, unter Verweis auf den Textbeleg 90, Zeile 47ff.). Roths zurückhaltende Einschätzung der Öffentlichkeit des frühmodernen Sammlungswesens ist insgesamt plausibel, doch stützt die herangezogene Textstelle in keiner Weise die Verbindung dieser "Öffentlichkeit" mit dem Quicchebergschen Text: die Passage ("usus administrandae reipublicae, tam civilis & militaris, quam ecclesiasticae & literae") muss übersetzt werden als "der Nutzen bei der Verwaltung der Staates, sowohl in seinen zivilen und militärischen, als auch in seinen kirchlichen und kulturellen Belangen". Keinesfalls redet der Traktat einer "kirchlichen und [...] gebildeten Öffentlichkeit" direkt das Wort (91)!
Alles in allem bleibt nach der Lektüre des gesamten Buches und einer partiellen Interlinearüberprüfung der Übersetzung ein wenig gewinnender Eindruck. Wo das Vertrauen in die Übersetzung so beeinträchtigt ist, dass man bei jedem Satz "sicherheitshalber" auf das lateinische Original sehen möchte, ist viel vom Wert einer Übersetzung verloren. Die ideen- und sozial- beziehungsweise. "gelehrsamkeitsgeschichtliche" Einordnung des Textes bleibt in Anspielungen oder aber Selbstverständlichkeiten stecken, gerade wenn man vergleicht, was in anderen, von Roth zitierten Arbeiten bereits zu Quiccheberg gesagt wurde. Auch nach der Lektüre dieses Buches gilt leider weiterhin für den Quicchebergschen Text, was Roth selbst in ihrem Schlusswort als methodische Losung akzeptiert hat (318): "Eine entgültige [sic!!!] Beurteilung dieses Textes bleibt dem Leser letztendlich selbst überlassen, da hier auch das subjektive Verständnis eine Rolle spielt."
Anmerkung:
[1] Vgl. dazu, allerdings nach Roth erschienen, aber dezidiert auf Quiccheberg eingehend, Elisabeth von Samsonow: Fenster im Papier: die imaginäre Kollision der Architektur mit der Schrift oder die Gedächtnisrevolution der Renaissance, München 2001.
Markus Friedrich