Marc R. Forster: Catholic Revival in the Age of the Baroque. Religious Identity in Southwest Germany, 1550-1750 (= New Studies in European History), Cambridge: Cambridge University Press 2001, XIII + 268 S., 8 maps, ISBN 978-0-521-78044-5, GBP 37,50
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Neun Jahre nach seiner Studie zur Gegenreformation im Bistum Speyer [1] hat Marc R. Forster ein Buch zum Katholizismus im Südwesten des Reiches vorgelegt, in dem er die Herausbildung der katholischen Identität in den Dörfern und kleinen Städten der Region untersucht. Schon auf den ersten Seiten steckt Forster den methodischen Rahmen ab und benennt den Gegner, der mit diesem Buch einmal mehr niedergerungen werden soll: Es handelt sich um die Konfessionalisierungsforschung, die den Erfolg der tridentinischen Reformen und die Rolle der kirchlichen Eliten und des Staates als Initiatoren religiösen Wandels überschätzt habe. Die Kritik an der Konfessionalisierungsthese verknüpft Forster mit einer eigenen, vielfach wiederholten und an verschiedenen Beispielen belegten These, wonach Bauern und Städter nicht passiv eine von den Eliten aufgedrängte Identität akzeptiert, sondern häufig selbst die Initiative bei der Formierung des katholischen Konfessionalismus ergriffen hätten.
Die Untersuchung konzentriert sich auf drei Bereiche: auf religiöse Praktiken als zentrale Bestandteile des Volkskatholizismus, auf den Klerikalismus als Kennzeichen für die Beziehungen zwischen Klerus und katholischer Bevölkerung sowie auf den für Südwestdeutschland besonders symptomatischen Kommunalismus. Dezidiert stellt Forster das religiöse Leben der Laien ins Zentrum der Diskussion um die Konfessionalisierung, fragt nach Ursprüngen und Natur von konfessioneller Identität: "Confessional identity was created from daily experience and was lived out in the everyday world of the peasants and townspeople of Southwest Germany" (12). Auf dieser Basis gelangt er zu seiner Periodisierung des konfessionellen Geschehens: Die Reformer seien zwar vor allem um 1600 aktiv gewesen, aber Konfessionalismus und Kirchlichkeit des Volkes hätten sich erst nach 1650 entwickelt und nach 1700 ihre höchste Intensität erreicht.
Für den Zeitraum 1550 bis 1650 stellt Forster die Habsburger, die Bischöfe von Konstanz und die lokalen Obrigkeiten als potenzielle Träger der Konfessionalisierung in Südwestdeutschland vor, belegt aber zugleich, wie die religiöse Praxis zwischen den geistlichen und weltlichen Autoritäten einerseits und der Bevölkerung vor Ort andererseits ausgehandelt und eben nicht von oben oktroyiert wurde. Daher hält Forster tridentinische Reform und Konfessionalisierung um 1600 für nicht allzu erfolgreich: Wahre Kirchlichkeit sei erst nach 1650 entstanden, als die Kirche stärker die "popular initiative" (60) rezipierte. Erst dann konnte sich im Kontext des blühenden Barockkatholizismus eine katholische Identität entwickeln.
Dieser Blütezeit des "popular Catholicism" (61) zwischen 1650 und 1750 sind die beiden zentralen Kapitel der Arbeit gewidmet, die sich mit der Sakrallandschaft, der Wallfahrtsfrömmigkeit sowie der religiösen Praxis auseinander setzen. Hier konzentriert sich Forster ganz darauf, seine These von der aktiven Rolle der Bevölkerung bei der Formierung des Barockkatholizismus zu belegen. Er konstruiert dazu einerseits vielleicht doch etwas zu dichotomisch gedachte Gegensätze zwischen Volksreligion und Kirchenreform, Autonomie und Regulierung der religiösen Praxis, weist aber zugleich auf die Existenz eines lokalen Katholizismus hin, der Prälaten und Bevölkerung vereint habe. Aktiv wurden die Dorfgemeinden nicht nur beim Bau sakraler Kleindenkmäler, auch die Initiative zu Neubau oder Umbau von Kirchen und Kapellen ging in der Regel von ihnen aus, wobei Forster folgendes Handlungsschema beobachtet: Die Patronatsherren griffen - häufig unter Vermittlung der Gemeindepfarrer - den von der Pfarrgemeinde ausgehenden Anstoß auf und machten ihn sich zu Eigen. Die Landschaft selbst bildete einerseits den Rahmen für die öffentliche Ausübung des katholischen Glaubens, wurde andererseits durch die Praxis aber auch transformiert: Die Interaktion von Raum und Erfahrung zeigt der Autor am Beispiel des Wallfahrtswesens, das zwischen 1650 und 1750 seinen Höhepunkt erreichte. Auch wenn viele Wallfahrtsorte von der Bevölkerung "entdeckt" und erst später von der Kirche bestätigt wurden, akzeptierten die Menschen doch immer stärker die Vermittlerrolle des Klerus an diesen Gnadenorten - ein Zeichen für die Klerikalisierung der Volksreligion und für die engen Bindungen zwischen Volksfrömmigkeit und institutioneller Kirche.
Untersucht werden auch die weniger spektakulären, aber mindestens ebenso bedeutsamen alltäglichen Praktiken: die Übergangsriten, das liturgische Jahr, Prozessionen, Messen. Auch hier sieht Forster in der Initiative der Gemeinden sowie in der zunehmenden Akzeptanz des Klerus entscheidende Momente, die zur Vielfältigkeit des Katholizismus in Südwestdeutschland beigetragen haben. So gelangt er zu der generellen Aussage, dass "a basic clerical toleration of popular religion and the popular willingness to embrace the official liturgy dominated religious life in the villages and towns" (130). Zeigt das Beispiel der Wallfahrten, wie die Kirche die Volksfrömmigkeit akzeptierte, so belegen die Rosenkranz-Andachten die Begeisterung des Volkes für eine klerikale Initiative. Forster beobachtet zwar diesen Trend zu privater Frömmigkeit, zur Internalisierung von Religion im katholischen Südwesten, führt seine Analyse hier aber leider nicht weiter, sondern widmet sich in den letzten drei Kapiteln noch einmal unter anderen Aspekten den Zentralbegriffen seiner Arbeit - Klerikalismus, Kommunalismus und Vermittlung. Er gelangt hier zu einem abgewogenen Urteil, indem er die Aussagekraft der jeweiligen Paradigmen sorgfältig abwägt und hinterfragt: Die Koexistenz von Klerikalismus und Kommunalismus deutet darauf hin, dass es in Südwestdeutschland keine klare Trennung "between official and popular Catholicism" (207) gab - der Katholizismus geriet in der Frühen Neuzeit stärker in die Abhängigkeit von Anwesenheit und Amtsführung des Pfarrklerus, aber zu dieser Klerikalisierung kam es zumindest teilweise auf Druck der Bevölkerung; die Gemeinden behielten ihre wichtige Rolle, aber die Dorfeliten, die sie kontrollierten, waren zugleich Repräsentanten der Dorfgemeinschaft und "agents of higher authorities" (207).
Gerade vor dem Hintergrund dieser undogmatischen Wertung mag Forsters orthodoxes Verständnis von Konfessionalisierung als rein obrigkeitlichem Disziplinierungs- und Modernisierungsinstrument den Leser überraschen. Er selbst schlägt als Alternative für das bessere Verständnis des frühneuzeitlichen Katholizismus Konzepte wie Rezeption, Aushandeln und Vermittlung vor, die es seiner Ansicht nach ermöglichen, der Bedeutung des Volkes für die Entwicklung der religiösen Praxis vor Ort und in der Gemeinde gerecht zu werden. Zudem sei so stärker als beim Konfessionalisierungskonzept die Einordnung der deutschen Entwicklung in den Kontext der europäischen Katholizismusforschung gewährleistet. Ob Forsters flüssig geschriebene, in sich überzeugende Studie zu Südwestdeutschland aber ausreicht, um der Konfessionalisierungsthese pauschal ihre Erklärungskraft abzusprechen, erscheint mir fragwürdig: Hat doch die Arbeit von Andreas Holzem zur katholischen Konfessionalisierung im Münsterland [2] bewiesen, dass Fragen nach Identitätsbildung und Internalisierung von Konfession durch die Einbeziehung der Lebenswelt als gleichberechtigtem Faktor neben Kirche und Staat und durch eine über 1650 hinausreichende Periodisierung erfolgreich mithilfe dieses Paradigmas bearbeitet werden können.
Anmerkungen:
[1] Marc R. Forster: The Counter-Reformation in the Villages. Religion and Reform in the Bishopric of Speyer, 1560-1720, Ithaca / London 1992.
[2] Andreas Holzem: Religion und Lebensformen. Katholische Konfessionalisierung im Sendgericht des Fürstbistums Münster 1570-1800, Paderborn 2000.
Anna Ohlidal