Rezension über:

Joachim Köhler / Rainer Bendel (Hgg.): Geschichte des christlichen Lebens im schlesischen Raum (= Religions- und Kulturgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa; Bd. 1), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2002, 1016 S., 23 Abb., ISBN 978-3-8258-5007-4, EUR 66,90
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Rezension von:
Winfried Irgang
Herder-Institut, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Winfried Irgang: Rezension von: Joachim Köhler / Rainer Bendel (Hgg.): Geschichte des christlichen Lebens im schlesischen Raum, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2002, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 11 [15.11.2002], URL: https://www.sehepunkte.de
/2002/11/3424.html


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Joachim Köhler / Rainer Bendel (Hgg.): Geschichte des christlichen Lebens im schlesischen Raum

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Es wäre wohl reichlich naiv zu erwarten, dass der zu besprechende voluminöse Band die in seinem Titel enthaltene Ankündigung, eine Geschichte des christlichen Lebens im schlesischen Raum zu bieten, tatsächlich einlösen könnte, ja dass die Initiatoren und die Autoren dies auch nur gewollt hätten. Wäre dem so, müsste man umgehend eine kaum endende Liste von Desiderata und Monita aufmachen, denn allzu groß wären die sofort erkennbaren Lücken. Liest man das Vorwort und den einleitenden Artikel, so wird schon eher deutlich, was den beiden Herausgebern wirklich vorschwebte: Ansatzpunkte zu einer "neuen" Sicht auf die Geschichte des Bistums Breslau zu formulieren und dazu einzelne Beiträge zu liefern, gewissermaßen Sonden zu legen.

Spürbar reiben sich die beiden Tübinger Kirchenhistoriker Joachim Köhler und Rainer Bendel an der herkömmlichen Art der katholischen Kirchengeschichtsschreibung (nicht nur) über Schlesien und auch an traditionalistischen Formen des Katholizismus überhaupt. Sie wollen weg von der traditionellen Institutionengeschichte, hin zu einer die disziplinären Grenzen überschreitenden Betrachtung und Erfassung aller Bereiche und Ebenen christlichen Lebens im Verlauf der Geschichte. Dieses Sich-Reiben und der damit zusammenhängende Rechtfertigungsdruck haben wohl auch zu der teilweise doch recht theorie- und methodologieüberfrachteten, überdimensioniert und redundant wirkenden Einleitung geführt (13-187), die man nicht unbedingt hier so erwarten dürfte.

Verzichtet der Leser auf überzogene Erwartungen, unterdrückt zweifellos berechtigte zusätzliche Wünsche und nimmt die einzelnen Teile des Doppelbandes so, wie sie sind, vermag er durchaus aus den insgesamt 39, durchweg deutschsprachigen Beiträgen von 17 deutschen und 14 polnischen Autoren vielfachen Nutzen zu ziehen, zumal das Spektrum ja überaus weit gestreut ist: thematisch von der Territorialbildung der Breslauer Bischöfe über Orden und Klöster im Lande, kunst- und literaturgeschichtliche Aspekte, das Verhältnis der katholischen Kirche zu Protestanten und Juden bis zu Seelsorge, Pressewesen oder laikalem Sozialengagement (um nur ganz beliebig einiges herauszugreifen), auch mit Ausblicken auf den Hussitismus, die schlesische evangelische Kirche und den Altkatholizismus; chronologisch vom Christianisierungsprozess um die Wende des ersten Jahrtausends bis zur Heimatvertriebenenarbeit nach 1945.

Dass manches dabei im Grunde genommen nur thematisiert, nicht aber wirklich eingehend behandelt werden konnte, versteht sich wohl von selbst; dass einige Artikel nur ganz wenige (sechs bis acht) Seiten umfassen und nicht einmal Anmerkungen aufweisen, ist wohl darauf zurückzuführen, dass Vortragstexte zu der dem Ganzen zugrunde liegenden Tagung aus dem Herbst 1999 (zum Thema "Tausend Jahre christliches Leben im schlesischen Raum") nicht weiter ausgearbeitet worden sind. Vielfach werden Forschungsüberblicke mit einem reichen bibliografischen Apparat geboten, aus denen nicht selten auch hervorgeht, dass die Themen als solche keineswegs neu sind, aber hier in einen anderen Kontext eingegliedert werden. Auf der anderen Seite findet sich aber auch beispielsweise eine umfangreiche, exzellente Darstellung von Thomas Wünsch über das Breslauer Bistumsland vom 12. bis zum 16. Jahrhundert (199-264), die in dieser Form wirklich neuartig ist.

Der Rezensent begreift diesen Band als einen gewichtigen, wenn auch zweifellos noch unvollkommenen Schritt in eine Richtung, die geeignet ist, die Kirchengeschichtsschreibung aus einer Fachnische herauszuleiten, wobei die Grenzen dieses "Neuen" noch auszuloten sind. Dass dabei hier manches noch tastend und wenig strukturiert, ja mitunter sogar chaotisch wirkt, wird man angesichts des noch ungefestigten Gesamttableaus entschuldigen können. Nicht tolerabel erscheint ihm allerdings die mangelhafte redaktionelle Betreuung und Lektorierung, unter der nicht zuletzt die Beiträge der polnischen Autorinnen und Autoren gelitten haben.


Winfried Irgang