Regina Schulte (Hg.): Der Körper der Königin. Geschlecht und Herrschaft in der höfischen Welt seit 1500 (= Campus Historische Studien; Bd. 31), Frankfurt/M.: Campus 2002, 366 S., 30 Abb., ISBN 978-3-593-37112-2, EUR 49,90
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Vermutlich zwischen 1600 und 1603 entstand eines der eindrucksvollsten Gemälde einer Königin: Im sogenannten "Rainbow Portrait" erscheint Elisabeth I. von England (1533-1603) als Personifizierung der Sonne in makelloser Gestalt. Keine Spur ihres natürlichen Alters trübte das Bild von der Herrscherin. Der Verfall ihres natürlichen Leibes sollte ihrem politischen Körper nicht anzusehen sein.
Mit "The King's Two Bodies" entschlüsselte Ernst Kantorowicz in einer brillanten Studie ein Grundprinzip monarchischer Herrschaft: Neben seinem vergänglichen Leib besaß der König zunächst nach theologischer, dann auch nach juristischer Auffassung einen zweiten unsterblichen, politischen Körper. Auf eine eingängige Formel wurde sie im Heroldruf am Grab des Königs gebracht: "Le roi est mort, vive le roi"! Diese Vorstellung enthob das Königtum der immer wiederkehrenden Gefahr, zugleich mit seinem zeitweiligen Inhaber zu enden. Wie aber verhielt es sich mit den Körpern der Königin? Die Frage blieb bei Kantorowicz durchaus bewusst offen. Jetzt greift sie Regina Schulte als Herausgeberin des vorliegenden Sammelbandes auf und fragt ihrerseits: "Hat die Königin einen Körper oder hat sie zwei, wie der König (Kantorowicz)? Wie viele 'Körper' kann eine Königin besitzen oder besetzen?" (11) Insgesamt fünfzehn Autorinnen und Autoren haben ihr darauf Antwort gegeben.
Genau besehen wird mit "Der Körper der Königin" allerdings kein Neuland betreten. Vor einigen Jahren schon griffen angelsächsische Forscherinnen Kantorowicz' Erklärungsansatz auf. Einige davon - wie Susan Frye, Rachel Weil und Abby E. Zanger - haben nun auch zu "Der Körper der Königin" beigetragen. Im deutschsprachigen Forschungsraum hat Martin Kintzinger erst kürzlich in dem von Jan Hirschbiegel und Werner Paravicini herausgegebenen Sammelband "Das Frauenzimmer. Die Frau bei Hofe in Spätmittelalter und früher Neuzeit" (Stuttgart 2000) auf die analoge Existenz des "corpus mysticum" der Königin hingewiesen. "Die zwei Frauen des Königs" rekonstruierte Kintzinger anhand von Krönungs- und Begräbniszeremonien französischer Provenienz. Wer nun allerdings daran anschließend von "Der Körper der Königin" eine systematische und kritische Auseinandersetzung mit Kantorowicz oder eine dezidierte theoretische Fort- oder Umschreibung des Zwei-Körper-Ansatzes aus frauen- und geschlechtergeschichtlicher Perspektive erwartet, wird enttäuscht. Stillschweigend wird der Diskussionsstand in der Kantorowicz-Rezeption und auf dem Feld der Frauen- und Geschlechterforschung vorausgesetzt. Daran ändert auch der einführende Aufsatz von Regina Schulte nichts. Deren konzeptionelle Annäherungen steigern zwar die Neugier auf die folgenden fünfzehn Beiträge; sie führen aber nicht die verschiedenen Annäherungsweisen zusammen. Deshalb schillern ganz unterschiedliche Bilder vom Körper der Königin auf. Auf den ersten Blick erscheinen sie deshalb fast wie notgedrungen chronologisch aneinander gereihte und kapitelweise gruppierte Miniaturen.
Beginnend mit Elisabeth von Ungarn, die 1440 von einer Vertrauten die Stephanskrone rauben ließ, um nach dem Tod König Albrechts II. ihrem Sohn Ladislaus Postumus den Thron und sich selbst die Herrschaft zu sichern, richtet sich das Interesse nicht nur auf zahlreiche bekannte und berühmte Königinnen, sondern ebenso auf einige eher unbekannte Fürstinnen des deutschen Reichs. Wiederholt steht der Körper Elisabeths I. von England im Mittelpunkt der Betrachtungen. Darüber hinaus wird den Inszenierungskünsten der Habsburgerin Maria Theresia und der englischen Victoria auf den Grund gegangen, durchdringt wissenschaftliche Neugier das Strahlen des Körpers der Kaiserin Elisabeth. Mannigfach sind ebenfalls die Zugänge, derer sich die Autorinnen und Autoren bedienen. Besonders hervorheben möchte die Rezensenten in diesem Zusammenhang die Funeralwerke von und über Fürstinnen als Quellengattung.
Fast irrlichternd taucht unter all den Frauengestalten schließlich der deutsche Kaiser Wilhelm II. auf. An die Seite regierender Fürstinnen treten königliche Bräute, Gemahlinnen und Witwen und verdeutlichen die biografischen Einschnitte in den Körper der Königin. Zu realen historischen Gestalten gesellen sich Filmköniginnen wie Grace Kelly und Romy Schneider. Nicht genug damit, verschwimmen in der Gestalt von Romy Schneider, der modernen "Sisi"-Reinkarnation, zwei Märchenköniginnen ineinander. Imagination und (Selbst-)Inszenierung verweben sich aber beileibe nicht nur in ihrem Bild schwer entwirrbar ineinander. In der Tat, faszinierende Facetten des Körpers der Königin leuchten in diesem Sammelband auf. Doch ohne Weiteres wollen sie sich nicht zu einem Bild zusammenfügen.
Wurde die Vielschichtigkeit vielleicht zuletzt notgedrungen zum Programm erhoben, weil sich die aus vielen fachwissenschaftlichen Perspektiven verfassten Beiträge ohne verbindliche Vorgaben anders nicht zusammenfügen ließen? Dabei ging dem Sammelband eine viertägige Konferenz am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz im September 2001 voraus. Welche Diskussionen über das Konzept des Körpers der Königin wurden dort im Anschluss an die Vorträge geführt? Gab es eine Verständigung oder brachen Dissonanzen auf? Darüber hätte die Rezensentin gerne mehr erfahren.
Elisabeth I., Maria Theresia und Victoria, Elisabeth-Sisi und Diana verkörpern in diesem Sammelband Metamorphosen des Körpers der Königin mit seinen jungfräulichen, mütterlichen, romantischen und tragischen Ausprägungen. In der Princess of Wales, Diana Spencer, vollendet sich die Metamorphose und gipfelt im Bild von der "Königin der Herzen". Ohne die Beiträge der anderen Autorinnen und Autoren schmälern zu wollen: Wie Christina von Braun abschließend das "Phänomen" Princess Diana aus der Perspektive der "zwei Körper der Königin" interpretiert, allein das macht den von Regina Schulte herausgegebenen Sammelband lesenswert. Noch einmal wird die aktive Rolle der Königin deutlich: Schon Elisabeth I. von England war darin eine Meisterin, der Maria Theresia und Victoria nur wenig nachstanden. Diana nun eignete sich ihren zweiten Körper, jenen der Königin der Herzen, erst nach der Scheidung an und verhinderte so den drohenden Verlust ihrer Herrschaft. Anders als ihre Vorgängerinnen machte sie sich allerdings weniger zur Repräsentantin einer Nation als vielmehr zur unumstrittenen Königin der globalen Mediengesellschaft des 20. Jahrhunderts. Dianas überwältigender Erfolg erklärt sich für Christina von Braun durch die Einschreibungen der Opferrolle in ihren Leib, der die selbst ernannte Königin des Herzens keinen wirklichen Widerstand entgegensetzte. Verblüffend, welche aus frühgeschichtlicher Zeit und aus der Antike stammenden kulturellen Muster dabei zum Tragen kamen. Besonders spannend ist, wie Christina von Braun Vorstellungen von der Jagdgöttin Diana aus dem Mythos Diana herausfiltert und zeigt, wie die Jägerin zur Gejagten und schließlich zum erlegten Wild wurde.
Die Königin ist tot - Punkt und Ende, ist die Rezensentin nach der Lektüre des Sammelbandes zunächst geneigt zu konstatieren. Es lebe die Königin! wagt sie stattdessen zu schreiben und hofft, dass auf den gesellschaftlichen Tod des Körpers der Königin sein wissenschaftliches Fortleben folgt. Die Anthologie "Der Körper der Königin" jedenfalls weckt das Interesse daran.
Sybille Oßwald-Bargende