Xavier Salmon / Johann Georg Prinz von Hohenzollern (Hgg.): Madame de Pompadour und die Künste. Katalog zur Ausstellung "Madame de Pompadour - L'Art et l'Amour" (Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, München, 14.6. - 15.9.2002), München: Hirmer 2002, 440 S., 350, meist farbige Abb., ISBN 978-3-7774-9410-4, EUR 55,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Caroline Schuster Cordone: Le crépuscule du corps. Images de la vieillesse féminine, Gollion: Éditions InFolio 2009
Christine Tauber: Manierismus und Herrschaftspraxis. Die Kunst der Politik und die Kunstpolitik am Hof von François Ier, Berlin: Akademie Verlag 2009
Brita Polzer (Hg.): Kunst und Dorf. Künstlerische Aktivitäten in der Provinz, Zürich: Verlag Scheidegger & Spiess 2013
Mit einiger Spannung hatte man nicht nur die Ausstellung "Madame de Pompadour - L'Art et l'Amour" in der Kunsthalle der Münchener Hypo-Kulturstiftung, sondern auch den begleitenden Katalog erwarten dürfen. Waren doch gerade in den letzten Jahren, durch die einschlägigen Arbeiten Elise Goodmans, Ewa Lajer-Burcharths und insbesondere Andrea Weisbrods, der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem "Phänomen Pompadour" neue Impulse gegeben worden. Leider wurde auf eine kritische Bestandsaufnahme und angemessene Diskussion dieser jüngsten Forschungsleistungen verzichtet, was den Wert der Publikation erheblich schmälert.
Der Titel "Madame de Pompadour und die Künste" ist insofern programmatisch, als er schon die Existenz eines kulturgeschichtlich motivierten Anspruchs zu negieren scheint. So soll nicht "die geschäftstüchtige Frau oder der politische Kopf [...], sondern die Protektorin der Künste in 'einem Augenblick der Perfektion der französischen Kunst'" (11) vorgestellt werden. Diese leutselige Behauptung eines Refugiums der Künste, deren Förderung durch die königliche Mätresse unabhängig von ihrem gesellschaftlichen Status und politischen Rang betrachtet werden kann, befremdet und verärgert. Wohl kaum jemand käme auf die Idee - zum Beispiel und aus aktuellem Anlass - Kardinal Richelieu als einen Liebhaber der Künste vorzustellen und dabei seine Karriere am französischen Hof vorsätzlich außen vor zu lassen. Die wiederholte unsachgemäße Bezeichnung der Marquise de Pompadour als "Kurtisane" bestätigt, dass eine angemessene Aufarbeitung und Reflexion auch der sozial- und geschlechtergeschichtlichen Zusammenhänge aufseiten der Herausgeber nicht für notwendig erachtet wurde. Stattdessen geht es exklusiv darum, den Facettenreichtum der im Umkreis der Pompadour entstandenen künstlerischen Arbeiten auszubreiten, allerdings ohne diese - und auch das ist schade - mit Traditionen und Entwicklungslinien der französischen Kunst und Kultur, zumal der höfischen, in Verbindung zu bringen.
Auf eine allzu kurze Einführung von Xavier Salmon, der eine wissenschaftliche Korrektur der vor allem von den Gebrüdern Goncourt kolportierten Legendenbildung ankündigt, folgen vier längere Aufsätze, die Einzelaspekte der künstlerischen Produktion um und durch die Marquise ansprechen. Hierbei geht es zum einen um die von der Pompadour aktiv betriebene Konfrontation der öffentlichen Meinung durch regelmäßige Teilnahmen an den "Salon"-Ausstellungen (Humphrey Wine). Zum anderen wird die Bedeutung einer eleganten Garderobe und eines raffinierten Geschmacks, wie sie die Bildnisse der Mätresse und ihr Engagement für das Theaterspiel dokumentieren, herausgestellt. Gerade in diesem Beitrag von Helge Siefert offenbart sich das konzeptuelle Manko der gesamten Publikation. Nach einer vorwiegend deskriptiven Auflistung diverser Porträts und Theateraufführungen in chronologischer Reihenfolge kommt sie zu dem schlichten Schluss, dass die Pompadour über "Eleganz, Geschmack und Begabung" (40) verfügt habe, bietet darüber hinaus aber keine Überlegungen zu den gesellschaftlichen Implikationen einer derartigen Inszenierung an.
In den beiden folgenden Aufsätzen geht es um das Verhältnis der Marquise zu dem von ihr favorisierten Künstler François Boucher einerseits (Alastair Lang) und zu ihrem Bruder, dem 1751 zum Generaldirektor der Königlichen Bauten ernannten Marquis de Marigny, andererseits (Alden R. Gordon). Nachgespürt wird den wechselseitigen Impulsen hinsichtlich künstlerischer Vorlieben und Geschmacksbildungen, die die Zusammenarbeit sowohl von Mäzenin und Künstler als auch von Schwester und Bruder vorantrieben. So kann Gordon aufzeigen, dass die Marquise durch den Einfluss de Marignys ihre Sammlungsaktivitäten auch auf Kunstgegenstände ausdehnte, die die schlichte Formensprache des zur Jahrhundertmitte wieder modisch werdenden klassischen Stils aufwiesen. Wenngleich vor allem die letztgenannten Beiträge mit einer klaren Fragestellung, stringenten Argumentationslinien und spannenden Forschungsbefunden aufwarten, so vermisst man doch in dieser dem eigentlichen Katalogteil vorausgehenden Textpartie einen einführenden Aufsatz, der das Leben und den Werdegang der Marquise de Pompadour sowie den Stand der (populär)wissenschaftlichen Auseinandersetzung, wenn auch nur schlaglichtartig, vorstellt.
Der insgesamt 221 Nummern umfassende Katalogteil ist in zwölf Sektionen unterteilt. Die ersten zehn thematisieren die unterschiedlichen künstlerischen Bereiche und Medien, für deren Förderung sich die Pompadour engagierte und mit deren Hervorbringungen sie sich umgab und inszenierte. Neben Architektur, Malerei, Druckgrafik und Plastik kommen die Glyptik, die Buchkunst, Möbel und andere Ausstattungsstücke, Tapisserien, Porzellan und Keramik sowie die Gold- und Silberschmiedekunst zur Sprache. Auch den von der Marquise selbst angefertigten Stichfolgen ist ein eigenes Unterkapitel gewidmet. Die in die einzelnen Sektionen einführenden Texte sind hinsichtlich Qualität und Anspruch sehr unterschiedlich. Vor allem die mit den "großen Künsten", also mit Malerei, Skulptur und Baukunst befassten Beiträge vermögen auf Grund ihrer additiven Struktur und mangelnder Syntheseleistung nicht recht zu überzeugen. In einigen Fällen könnte hierfür allerdings auch die mit der Übersetzung der französischen Originaltexte einhergegangene Kürzung verantwortlich sein.
Als gewinnbringende und spannende Lektüre erweisen sich eher die den kunstgewerblichen Medien gewidmeten Einführungen. So schildert Mathilde Avisseau-Bronstet knapp und präzise, welch herausragende Bedeutung das gezielte Engagement der Marquise für den Wiederaufschwung der Steinschneidekunst in Frankreich hatte. Bertrand Rondot arbeitet die in der Zeit des Übergangs vom Rokoko zum Klassizismus höchst nuancenreiche Sammelaktivität heraus, die die königliche Mätresse insbesondere für Möbel entwickelte. Besonders hervorzuheben ist zudem der Beitrag von Marie-Laure de Rochebrune, die sehr differenziert und kenntnisreich die ausgeprägte "Leidenschaft der Madame de Pompadour für das Porzellan" (308) und deren Bedeutung für den nachhaltigen Erfolg des "porcelaine de France" aufzeigt. Von de Rochebrune stammen auch die durchweg ausgezeichneten Texte zu den einzelnen Porzellanobjekten. Sie geben Auskunft sowohl über die Materialien und Techniken, ihre Herkunft und Geschichte als auch über Funktion und Gebrauchswert der vorgestellten Gegenstände aus dem ehemaligen Besitz der Marquise.
Die beiden letzten Sektionen des Katalogteils, an die sich eine Zeittafel und eine umfangreiche Bibliografie anschließen, thematisieren die sich um die Person der Pompadour schon im 18. Jahrhundert rankende Legendenbildung (Xavier Salmon) sowie die Kontakte, die die Mätresse des französischen Königs zu Fürsten und Fürstinnen im deutschsprachigen Raum unterhielt (Helge Siefert). Die in der Tendenz richtige, aber auch hier ohne analytischen Tiefgang betriebene Auseinandersetzung mit der Legendenbildung wäre unverzichtbarer Bestandteil eines in die gesamte Thematik einführenden, nicht aber sie beschließenden Textes gewesen. "Madame de Pompadour und die Künste" ist ein in gewohnter Hirmer-Manier opulent und glänzend bebilderter Band, der eine Fülle von Informationen insbesondere zu den ausgestellten Einzelobjekten bietet. Bedauerlicherweise ist mit dieser Publikation die Chance vertan worden, einen nachhaltigen Perspektivenwechsel in der allgemeinen Wahrnehmung der Marquise de Pompadour einzuleiten. Die spannende Verschränkung ihrer medial erzeugten Identität(en) mit ihrer gesellschaftlichen Rolle als Mätresse des französischen Königs wurde bewusst ausgeblendet.
Sigrid Ruby