Silke Satjukow / Rainer Gries (Hgg.): Sozialistische Helden. Eine Kulturgeschichte von Propagandafiguren in Osteuropa und der DDR, Berlin: Ch. Links Verlag 2002, 312 S., 48 Abb., ISBN 978-3-86153-271-2, EUR 19,90
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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"Unglücklich das Land, das Helden nötig hat", ließ Bertolt Brecht 1938 seinen Galilei sagen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die stalinistische Sowjetunion bereits seit einigen Jahren unter der Losung "das Land soll seine Helden kennen" die Serienproduktion sozialistischer Helden aufgenommen. Während im Russland der Zwanzigerjahre zunächst noch die anonymen proletarischen Massen kollektiver Held der neuen Gesellschaft sein sollten, kehrte jetzt das außerordentliche Individuum mit bolschewistischem Furor ins öffentliche Rampenlicht zurück. Das wohl bekannteste Beispiel dieser Heldenrenaissance des Stalinismus war der sowjetische Hauer Aleksej Stachanov, der 1935 zum Aushängeschild der nach ihm benannten Mobilisierungscampagne wurde. Doch bis zur Zeitenwende von 1989 versuchten die kommunistischen Parteien in Russland und Ostmitteleuropa kontinuierlich, die fragile Legitimität ihrer Herrschaft durch den Rückgriff auf das Charisma außerordentlicher Individuen zu stabilisieren.
Die "Sozialistischen Helden" in der DDR, der Sowjetunion und in Ostmitteleuropa standen im Mittelpunkt einer internationalen Tagung, die im September 2001 in Krakau stattfand. Die zentralen Beiträge dieser Konferenz vereint nun ein von Silke Satjukow und Rainer Gries verantworteter Sammelband. Im ersten Beitrag gibt Rosalinde Satorti einen gelungenen Überblick über das Heldenpantheon des Stalinismus, analysiert die Remythisierung des Einzelnen in den dreißiger Jahren und beschreibt die Versuche des Regimes, mittels des Heldenkultes zusätzliche Legitimität zu erlangen. Auf den Beitrag von Daniela Rathe, die den Kult um die sowjetische Partisanin Soja Kosmodemjanskaja kulturhistorisch versiert als Wiederkehr der Jeanne d'Arc unter sowjetischen Vorzeichen durchleuchtet, folgen Aufsätze über einen weißrussischen Stachanov-Maurer und über den Fliegerkosmonauten Juri Gagarin.
Mit sechs Artikeln ist der Abschnitt über die Deutsche Demokratische Republik der umfangreichste des Bandes. Nach einer Einführung von Rainer Gries, der die Heldenbühne der DDR umreißt, folgen Beiträge über Ernst Thälmann, Adolf Hennecke, "Täve" Schur, Walentina Tereschkowa und Sigmund Jähn. Sowohl was den kritischen Umgang mit den Quellen angeht als auch was den Anschluss an die historische Diktaturforschung betrifft, handelt es sich hier um den schwächsten Teil des Bandes. Mit der Ausnahme von Annette Leos Beitrag über Thälmann zeichnen die Beiträge fast durchgängig ein affirmativ-ungebrochenes Bild ihrer sozialistischen Helden und problematisieren deren Abhängigkeit vom Partei-Staat nur am Rande. Die These von Silke Satjukow, ein Stachanov-Arbeiter und SED-Funktionär wie Adolf Hennecke sei primär eine "Petitionsinstanz" gewesen und habe durch sein "positives Image" und "ausgewiesenes Expertentum" eine "Moralinstanz" gebildet, steht weit außerhalb des Mainstreams sozialhistorischer DDR-Forschung und basiert auf dem bewussten Verzicht auf eine quellenkritische Auswertung von solch problematischen Zeitdokumenten wie offiziellen Briefen und Eingaben, die unter den Bedingungen diktatorischer Herrschaft verfasst wurden. Dass exponierte Vertreter der Mobilisierungsdiktatur wie Hennecke bei vielen Arbeitern geradezu verhasst waren, scheint für die Verfasserin kaum der Rede wert. Auch die Aufsätze von Norbert Rossbach über "Täve" Schur, Monika Gibas über Walentina Tereschkowa und Ronald Hirte zum Kosmonauten Sigmund Jähn beschränken sich weitgehend auf die Nacherzählung der staatssozialistischen Heldennarrative.
Von den schwachen Studien über die sozialistischen Helden der DDR heben sich die Aufsätze zu Polen, Ungarn und zur Tschechoslowakei positiv ab. Den Abschnitt über Polen leitet der Warschauer Historiker Marcin Zaremba mit einer instruktiven Einführung in das nationalistisch geprägte Heldenpantheon der polnischen Volksrepublik ein. Anschließend erläutert Thorsten Schmidt aus kunsthistorischer Perspektive die Konstruktion und anschließende Dekonstruktion des realsozialistischen Motivs "Arbeitsheld" in der polnischen Malerei. Jerzy Kochanowski bespricht den Versuch des polnischen Partei-Staates, in Person des Generals Karol Świerczewski ("Walter") einen militärischen Märtyrer zu schaffen. Als Soldat, der 1947 durch die Kugeln ukrainischer Freischärler starb, fügte sich die Person Świerczewskis ideal in die national-kommunistische Propaganda der frühen Volksrepublik.
Árpád von Klimó führt in den Abschnitt über Ungarn ein und erläutert, warum das Jahr 1848 auch für das stalinistische Rákosi-Regime zu einem zentralen Bezugspunkt wurde. In seinem Beitrag über die Erfindung der Figur des russischen Rittmeisters Alexej Gusev, den das Regime zu einem "historischen" Symbol der ungarisch-sowjetischen Freundschaft zu stilisieren versuchte, gelingt es ihm, den artifiziellen Charakter vieler sozialistischen Helden herauszuarbeiten. Im anschließenden Abschnitt über die ČSSR weisen Christiane Brenner und Peter Heumos einleitend darauf hin, wie unzeitgemäß, absurd und lächerlich der Typus des sozialistischen Helden, der relativ ungebrochen seit der Sattelzeit des Stalinismus in den dreißiger Jahren bestanden hatte, gegen Ende der Achtzigerjahre auf die tschechische Öffentlichkeit wirkte. Die Autoren sprechen auch die deutlich negative Rezeption der sowjetischen Stachanov-Bewegung durch die tschechoslowakische Arbeiterschaft an, die in den Sechzigerjahren dazu führte, dass derartige Kampagnen aus dem Kanon der Mobilisierungsmethoden verschwanden. Stefan Zwicker beschäftigt sich in seinem Aufsatz mit dem kommunistischen Journalisten Julius Fučik, der in Prager Gestapohaft seine berühmte "Reportage unter dem Strick geschrieben" verfasste und in der ČSSR ins Zentrum eines proto-religiösen antifaschistischen Kults gerückt wurde. Trotz des großen internationalen Erfolgs dieses Buches konnte das Regime der ČSSR jedoch nicht verhindern, dass in den Siebziger- und Achtzigerjahren die Ausstrahlung der antifaschistischen Ikone Fučik verblasste und dessen Bild zunehmend Risse bekam.
Jan Palachs Denken war zwar von reformsozialistischen Ideen geprägt - gleichwohl erscheint es befremdlich, dass er im vorliegenden Band als "sozialistischer Held" in eine Reihe mit den partei-staatlichen Protagonisten verschiedenster Mobilisierungscampagnen gestellt wird. Im Gegensatz zu den Schöpfungen und Geschöpfen des Partei-Staates verband sich mit Palach das Charisma einer unerhört-heroischen Tat, die sich gerade gegen die herrschende Diktatur richtete. Christiane Brenner zeigt dann auch in ihrem Aufsatz überzeugend, wie wenig das Regime die öffentlichen Reaktionen auf diesen sich frei "von unten" entfaltenden Heldenkult steuern konnte.
Während viele der einzelnen Fallstudien interessante Mosaiksteine in dem Monumentalbild der "sozialistischen Helden" darstellen, beruht der Versuch von Silke Satjukow und Rainer Gries, ein allgemein gültiges Kommunikationsmodell des "sozialistischen Helden" zu entwerfen, auf fragwürdigen Grundannahmen. In ihrem Schema steht der "Held" umgeben von einer Sphäre der Botschaften und einer Sphäre der Bedeutungen im Mittelpunkt. Dagegen ist einzuwenden, dass kritische Historiker kommunistischer Diktaturen auch und gerade wenn sie sich bemühen, eine Kulturgeschichte dieser Gesellschaften zu schreiben, gut beraten sind, von der Prämisse auszugehen, dass der Partei-Staat der gewichtigste Akteur in den Öffentlichkeiten war. Eine Kulturgeschichte des Kommunismus ist eben ohne die totalen Durchherrschungsansprüche der Staatsparteien und ihre Versuche, absolute Kontrolle über die Öffentlichkeit auszuüben, nicht zu denken. Erst vor diesem herrschaftssoziologischen Hintergrund ist es dann sinnvoll und notwendig, nach den "Grenzen der Diktatur" zu fragen. Eine Kulturgeschichte des Kommunismus hingegen, die meint, konsequent ohne den Begriff "Diktatur" auszukommen, und die zwar von "Helden" spricht, aber von "Mobilisierung" nicht reden mag, suggeriert eine Liberalität jenseits der historischen Realität. Ein historisch-kritischer Ansatz wäre dann auch in der Lage gewesen, nach den differentia specifica "sozialistischer Helden" zu fragen.
Jan C. Behrends