Hans Erich Bödeker / Liselotte Steinbrügge (eds.): Conceptualising Woman in Enlightenment Thought / Conceptualiser la femme dans la pensée des Lumières (= Concepts and Symboles du Dix-huitième Siècle Européen / Concepts and Symbols of the Eighteenth Century in Europe), Berlin: Berlin Verlag Arno Spitz 2001, 188 S., 10 Abb., ISBN 978-3-8305-0141-1, EUR 36,00
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Im Dezember 1997 fand in Florenz eine Konferenz statt, die unter dem Motto "Conceptualising Woman in Enlightenment Thought / Conceptualiser la femme dans la pensée des Lumières" stand. Gesponsort von der European Science Foundation, bildete die Tagung einen Teil des Projekts "Concepts and Symbols of the Eighteenth Century in Europe".
Die Referate, die den Prozess der Selbstreflexion der Aufklärung in Hinsicht auf das Bild der Frau untersuchen, wurden in einem Sammelband publiziert, den es hier vorzustellen gilt. Lieselotte Steinbrügges Einleitung "Conceptualiser la femme dans la recherche dix-huitièmiste" skizziert die anthropologische Diskussion und ordnet die Beiträge in den Gang der Forschung ein. Deutlich wird in diesem Zusammenhang die ambivalente Haltung der Aufklärung zur Frau. Zwar beteiligten sich in der Französischen Revolution auch Frauen wie Olympe de Gouges an der politischen Diskussion, doch endete mit dem Verbot der Frauenclubs die Phase der aktiven weiblichen Partizipation. Ausgangspunkt war die aufgeklärte Anthropologie, deren Frauenbild eine Verengung auf die biologisch bedingte Mutterrolle erfuhr. An die Stelle der Stigmatisierung der weiblichen Sexualität trat nun eine andere Engführung, welche die Reproduktion als weibliche Hauptaufgabe sah.
Die in der Einleitung skizzierten unterschiedlichen Aspekte der aufgeklärten Frauenbilder beleuchten zehn in englischer und französischer Sprache verfasste Beiträge des Aufsatzteils, die fünf Sektionen zugeordnet sind und naturgemäß nur Schlaglichter auf einzelne Themen werfen. Die erste Sektion beschäftigt sich mit der aufgeklärten Anthropologie. Sylvana Tomaselli skizziert in ihrem Beitrag "Woman in Enlightenment Conjectural Histories" die Bedeutung der Frauen für die Entwicklung der Zivilisation unter anderem aus der Sicht Rousseaus, Diderots und Montesquieus sowie Burkes und Wollstonecrafts. Unbestritten war die mögliche Funktionalisierung des Status der Frau als Indikator des Zivilisationsgrades einer Gesellschaft. Ob aber die zunehmende Verbesserung der weiblichen Rechtsstellung als Katalysator der Freiheit oder Sklaverei interpretiert wurde, hing von der Beurteilung des Zivilisationsprozesses insgesamt ab. So hoben Autoren wie Rousseau den verderblichen, weil "verweiblichenden" Einfluss der Frauen auf die Männer hervor und machten diesen für Dekadenz und Naturferne verantwortlich. Die Gegensätzlichkeit der aufgeklärten Frauenbilder wird in diesem Beitrag besonders deutlich.
Einem Einzelschicksal geht Londa Schiebinger nach: "Collecting Body Parts: George Cuvier's Hottentot Venus" stellt die Vita der Hottentottin Saartjie Baartmann / Sarah Bartman vor. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde Bartmann als lebende Kuriosität in den europäischen Hauptstädten ausgestellt und nach ihrem Tod im Pariser Musée de l'Homme aufbewahrt. Der Aufsatz liefert interessante Einblicke in die Auseinandersetzung der ersten Anthropologen mit einer anderen "Rasse". Zugleich zeigt sich am Umgang mit den Überresten Bartmanns, die seit 1996 unter Verschluss gehalten werden, auch die gestiegene Sensibilität der Öffentlichkeit im Umgang mit dem problematischen rassistischen Erbe der Wissenschaft.
"Ordering of Emotions" ist die zweite Sektion betitelt. Der Beitrag Bernard Brays setzt sich mit "La passion par lettres: Julie de Lespinasse" auseinander. Madame de Lespinasse (1732-1776) spielte eine wichtige Rolle in den Pariser Salons und unterhielt von 1773 bis 1776 eine geheime Korrespondenz mit ihrem Geliebten. Während in den ersten Briefen die Liebe das Leben sichert, dominieren in den letzten Schreiben Trauer und Todesahnungen. Der Briefwechsel stellt gleichsam Tagebuch und Roman in der ersten Person dar, der sich durch genaue Selbstbeobachtung auszeichnet. Suzan van Dijk stellt die Frage "Les audaces des romancières: comment les reconnaître?" Sie plädiert dafür, die unterschätzten französischen Romanautorinnen des 18. Jahrhunderts auch im Kontext der Beschäftigung mit den Frauenkonzepten ernst zu nehmen. Am Beispiel von drei Schlüsselsituationen - dem Umgang mit der Untreue des Mannes, der Zurückweisung eines männlichen Antrags und dem Entschluss zum Eingehen einer platonischen Freundschaft - untersucht van Dijk die Frauenkonzepte der Romanautorinnen Marie-Jeanne Riccoboni, Jeanne Leprince de Beaumont und Françoise-Albine Benoist.
Die dritte Sektion beschäftigt sich mit "Mothers and Wives". Claudia Opitz' Beitrag "The 'Myth of Motherhood' revisited. Reflexions on Motherhood and female (In-)Equality during the Enlightenment" führt eine Diskussion fort, die Elisabeth Badinter 1980 mit ihrer Studie über den "Mythos Mutterschaft" ausgelöst hatte. Als in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts der menschliche Körper in das Zentrum der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit rückte, erfuhren die Frauen eine Reduktion auf ihre Rolle als Trägerinnen der Reproduktion, was Badinter zu dem Schluss veranlasste, die aufgeklärte Debatte über die Mutterschaft als genuin frauenunterdrückend zu charakterisieren. Opitz skizziert das gestiegene öffentliche Interesse an der Mutterschaft und der Fürsorge für die Kinder, stellt weibliche Reflexionen über die ideale Mutterschaft vor und geht dem weiblichen Einfluss auf die Mutterschaftsdebatte nach. Es zeigt sich, dass der aufgeklärte Diskurs über die Mutterschaft zwiespältig war: Einerseits bewirkte die Debatte eine Stärkung der Position der Frau als Erzieherin und indirekt auch eine bessere Erziehung. Zugleich wird aber auch der partiell repressive Charakter deutlich, der aus der Engführung des Frauenkonzepts auf die Mutterrolle resultierte. Opitz' Vorschlag, auch die aufgeklärte Debatte um die Vaterschaft als Komplement mit einzubeziehen, erscheint überaus sinnvoll. Einen wichtigen Beitrag zur "Ehrenrettung" der biedermeierlichen Ehe leistet Anne-Charlott Trepp. "Never have I been able to bear the thought of wishing to give myself up either here or there!". Marital Relationships of the Bourgeoisie at the End of the 18th and the Beginning of the 19th century" lautet der Titel der Studie, die sich mit dem Verhältnis zwischen den beiden Ehepartnern im Bürgertum um 1800 beschäftigt. Die Asymmetrie in der Beziehung zwischen Mann und Frau konnte nach Trepp bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen werden, zumal Frauen aus dem Bürgertum sich keineswegs allein durch ihren Ehemann definierten. Als Beleg dienen Ehen aus dem Hamburger Bürgertum. So zeigt der Briefwechsel zwischen Marianne Baur und Johann Martin Lappenberg das Bemühen der Frau, ihre eigene Persönlichkeit in der Ehe nicht aufzugeben. Auch die Verbesserung der Erziehung der Frauen trug dazu bei, ein Gleichgewicht zwischen den beiden Ehepartnern herbeizuführen. Inwieweit das Beispiel der Lappenbergs repräsentativ war, sei allerdings dahingestellt. Dass eine Annäherung zwischen Mann und Frau auf Grund zu stark divergierender Gefühle auch unterbleiben konnte, verschweigt Trepp allerdings nicht.
"The Public Sphere" ist die vierte Sektion betitelt. Ann B. Shteirs Aufsatz "'With matchless Newton no one soars on high': Representing Women's Scientific Learnedness in England" geht der Darstellung weiblicher Gelehrsamkeit im England der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nach. Periodika, Benimmbücher und utopische Literatur, die Biografie der Privatgelehrten Anna Blackburne (1726-1793), "Frauenliteratur" und populärwissenschaftliches Schrifttum stellen die untersuchten Quellen dar. Am Ende des Jahrhunderts hatte sich laut Shteir ein spürbarer Wandel vollzogen, da weibliche Gelehrsamkeit nach dem Ausbruch der Französischen Revolution für Männer und Frauen gleichermaßen problematisch wurde - offensichtlich wurde diese als latent subversiv empfunden. Dena Goodman widmet sich der Rolle der Frauen als politische Akteure im aufgeklärten Diskurs. Vor der Französischen Revolution übten Frauen vor allem als Salonnières bedeutenden Einfluss auf die aufgeklärten Denker aus. Der hierarchiefreie und diskursoffene Salon, in welchem Frauen gleichsam als "Harmoniestifterinnen" eine ordnungsgebende Funktion wahrnahmen, diente als Modell für die bürgerliche Gesellschaft. Die zivilisationskritische Philosophie Rousseaus unterzog dieses Konstrukt insofern einer grundlegenden Kritik, als dieser die Gesellschaft aus seiner idealen Welt, die nur aus Familie und Staat bestand, entfernen wollte. Den Frauen blieb so allein die natürliche Tugend, während die Männer im Genuss der Freiheit lebten. Doch hütet sich Goodman davor, nur Rousseau als "dead end for women" (139) zu bezeichnen - die vorrevolutionäre Gesellschaft zeichnete sich zwar durch einen hohen Grad an Zivilisierung aus, war aber weitgehend von der Partizipation an der politischen Macht ausgeschlossen.
Unter der Überschrift "Representations" steht die fünfte Sektion. Ilsebill Bartas Beitrag "Le corps discipliné: Sexuation du langage gestuel à l'époque des Lumières" analysiert am Beispiel der Illustrationen Daniel Chodowieckis (1726-1801) für den Göttinger Almanach von 1779 und 1780, dessen Texte Georg Christoph Lichtenberg verfasst hatte, die Entwicklung einer geschlechtsspezifischen Körpersprache. Adelige und bürgerliche Körpersprache werden miteinander kontrastiert - erstere zeichnet sich durch Affektiertheit aus, während letztere weitgehende Disziplinierung bestimmt. In noch stärkerem Maße als der Mann verliert die dem Bürgertum angehörende Frau an Gestaltungsspielräumen - Barta spricht von einer "exclusion totale de la vie publique et politique" (166). Ob sich dieser Befund für die Zeit um 1800 pauschal bestätigen lässt, müssten weitere Untersuchungen klären. Der letzte Aufsatz greift über Europa hinaus. Carolin Bohlmann beschäftigt sich mit "La métamorphose de l'ornement et de l'odalisque. L'appropriation du sujet et de la forme dans l'orientalisme au XVIIIe siècle". Im 18. Jahrhundert entzündete der Orient als "Gegen-Welt" (169), deren Exotik und Erotik faszinierte, die Fantasie vieler Europäer. Doch beruhten die europäischen Orient-Bilder zumeist nicht auf Autopsie. Eine Ausnahme stellte das Werk des französischen Malers Jean-Baptiste Vanmour (1671-1731) dar, der Zugang zum Harem des türkischen Sultans erhalten hatte und diesen realistisch wiedergab. Eine wichtige Rolle bei der Vermittlung des imaginären Orients nach Europa spielten auch die orientalisierenden Malereien Antonio und Francesco Guardis. Mehr als ethnografische Genauigkeit interessierte die meisten europäischen Künstler allerdings der dekorative Wert des Orients. Besonders die türkische Kleidung fand im Westen bei den Damen des Adels rasch Anklang, die sich im orientalischen Stil von Künstlern und Künstlerinnen wie Angelika Kauffmann portraitieren ließen. Bohlmann deutet dies im Sinne eines Bekenntnisses zur Idee der Emanzipation, welche die Aufklärung mit der orientalischen Tracht verbunden habe - die Problematik der ideellen "Aufladung" von Kleidung beschäftigt bekanntermaßen auch die Gegenwart.
Der Sammelband vereint eine Fülle interessanter und gut lesbarer Beiträge, welche die divergenten Frauenkonzepte der Aufklärung in dichter Form vorstellen. Es ergibt sich ein schillerndes Bild, das geprägt ist von der Spannung zwischen geistiger Freiheit und faktischer Disziplinierung der Frau. Eindeutige Antworten auf scheinbar einfache Fragen bietet "Conceptualising Woman in Enlightenment Thought" nicht. Vielmehr ermuntern die Aufsätze, die teils den Charakter von Überblicksdarstellungen besitzen, teils sehr spezielle Fragestellungen untersuchen, zur weiteren Beschäftigung mit einem komplexen Gebiet. Ein entsprechender, komplementärer Band zum Männerbild der Aufklärung wäre wünschenswert.
Stefan W. Römmelt