Hans Erich Bödeker (Hg.): Begriffsgeschichte, Diskursgeschichte, Metapherngeschichte. Mit Beiträgen von Mark Bevir, Hans Erich Bödecker, Lutz Danneberg, Jacques Guilhaumou, Reinhart Koselleck, Ulrich Ricken, Rüdiger Zill (= Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft; Bd. 14), Göttingen: Wallstein 2002, 424 S., ISBN 978-3-89244-470-1, EUR 19,00
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Die Sammel-Publikation, die neben einer Einleitung sieben Beiträge umfasst, präsentiert sich als der Berichtband der "Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft" des Jahres 1999. Dieser Zusammenhang wird indes nicht näher erläutert, und so bleiben Fragen: Wie ist die überdimensionale, gelehrt und souverän argumentierende Abhandlung von Lutz Dannenberg über "Sinn und Unsinn einer Metapherngeschichte" zu verstehen? Zusammen mit dem Beitrag von Rüdiger Zill über Hans Blumenberg ist damit die Hälfte des Buches einem Gegenstand gewidmet, der für dessen zentrale Thematik ohne Bedeutung bleibt, selbst wenn in der Einleitung auf ihn verwiesen wird.
Im Mittelpunkt dieses Interesse weckenden Bandes steht das Anliegen, eine Differenz innerhalb der westlichen Historiografie bewusst zu machen und zu erklären, die sich seit den 1960er-Jahren herausgebildet hat: Die Neuorientierung der historischen Semantik ist in Frankreich, den angelsächsischen Ländern und in Westdeutschland in ihrem konzeptionellen Ansatz und ihrer Methodik je anders verlaufen. Angesichts der zunehmenden Gleichzeitigkeit und Ähnlichkeit der Wissenschaftsentwicklung, die wir in den westlichen Gesellschaften erleben, ist diese Divergenz in der Tat ein merkwürdig zu nennendes Phänomen. Es in einem Kolloquium zu erhellen und zu diskutieren, war ein nahe liegender Gedanke, dessen Umsetzung gewiss allgemeineres Interesse verdient.
Eine Pionier-Leistung war dies jedoch im Jahre 1999 nicht mehr. Der Herausgeber verweist in seiner instruktiven Einleitung auf eine in den 1990er-Jahren nicht mehr abreißende Literatur, in der vor allem das Nebeneinander von Cambridge School und deutscher Begriffsgeschichte thematisiert wird. Zwei Namen verdienen es, als Pioniere eines solchen Vergleichens und Brückenbaus genannt zu werden: Rolf Reichardt in Mainz und Melvin Richter in New York. Sie sind in diesem Band nicht mit eigenen Beiträgen vertreten. Es dominieren Autoren aus der zweiten Reihe, die frei davon waren, apologetisch zu argumentieren und auch frei dazu, neue Aspekte ins Spiel zu bringen.
Hans Erich Bödeker, der Herausgeber, stellt selbst das deutsche Projekt der Begriffsgeschichte vor. Er konzentriert sich auf dessen konzeptionellen Rahmen und unternimmt den Versuch, eine Theorie und Methodologie der Begriffsgeschichte zu umreißen. Das gelingt ihm am überzeugendsten im Abschnitt II, wo er unter Rückgriff auf Aussagen von Koselleck dessen Theorie des Begriffs herausarbeitet. Am Ende jedes seiner Abschnitte geht Bödeker auf die Position von Rolf Reichardt ein, die weniger auf einzelne Begriffe als auf ganze Wortfelder ausgerichtet ist (vergleiche 96 f., 104 ff., 116).
Reinhart Koselleck ist mit einem eigenen Beitrag in dem Band vertreten, doch er hat darauf verzichtet, sich hier wiederholt zu den Grundfragen seines Lexikon-Projekts zu äußern. Er bekennt, dass "sich meine eigenen Theorien über Begriffsgeschichte kontinuierlich verändert" haben (31). So beschäftigt er sich nun vor allem mit den temporalen Strukturen, die den Begriffen inhärent seien und es daher verdienten, erkannt und beachtet zu werden.
Mit Jacques Guilhaumou äußert sich ein anderer Pionier dieser neueren Semantik, vor allem zur Entwicklung in Frankreich. Er ist zudem der Einzige, der auch zum internationalen Diskurs der historischen Semantik ausführlich Stellung bezieht (vergleiche 126-132). Sein "modèle français" (157) entwickelt er im ständigen Bezug auf die deutschen Kollegen (Koselleck, Gadamer, Reichardt), thematisch konzentriert auf den großen Sprachwandel im Zeitalter der Revolution von 1789, in dem das Französische zur Nationalsprache wurde.
In dem Beitrag des Romanisten Ulrich Ricken wird eine Lexikografie des Aufklärungsbegriffs im deutsch-französischen Bildungsdiskurs des 18. Jahrhunderts skizziert. Hier wird deutlich, welche Möglichkeiten gegenseitiger Bereicherung sich ergäben, wenn die zumeist von Historikern betriebene Begriffsgeschichte stärker mit den einschlägigen Sprachwissenschaften kooperierte und diesen nicht nur die nachträgliche Kritik überließe. [1]
Eine intensive und differenzierte Einführung in das Projekt der Cambridge School bietet der Beitrag von Mark Bevir. Er verbleibt diskursiv im Umkreis dieses Projektes und arbeitet hier die Unterschiede zwischen Pocock und Skinner scharfsinnig heraus. So stößt er vor zu den ungelösten konzeptionellen Fragen dieses 'linguistic contextualism' und entwickelt für dessen bessere Fundierung sein Konzept eines 'semantic holism'.
Viel Gewinn also im Einzelnen. Im Ganzen gesehen aber hinterlässt der Band ein doppeltes Unbehagen: Er zerfällt in zwei Teile, die nicht aufeinander bezogen sind, und im programmatischen ersten Teil wird das dort gesteckte Ziel nicht erreicht. Lediglich in einem Beitrag werden die national verschiedenen Ansätze der neueren historischen Semantik in Beziehung gesetzt. Auch der Herausgeber, der in seiner Einleitung das Anliegen des Bandes formuliert (vergleiche 10 f. und 26 f.), hat sich nicht erkennbar um dessen Einlösung bemüht. Eine ungenutzte Chance.
Anmerkung:
[1] Exemplarisch dafür Dietrich Busse: Historische Semantik. Analyse eines Programms, Stuttgart 1987.
Otto Dann