Uwe Fleckner / Thomas W. Gaehtgens: De Grünewald à Menzel. L'image de l'art allemand en France au XIXe siècle (= Passagen / Passages. Deutsches Forum für Kunstgeschichte / Centre allemand d'histoire de l'art; Bd. 6), Paris: Éditions de la Maison des sciences de l'homme 2003, 498 S., 16 Farb-, 140 s/w-Abb., ISBN 978-2-7351-0999-9, EUR 48,00
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Uwe Fleckner / Maike Steinkamp / Hendrik Ziegler (Hgg.): Der Sturm der Bilder. Zerstörte und zerstörende Kunst von der Antike bis in die Gegenwart, Berlin: Akademie Verlag 2011
Uwe Fleckner / Maike Steinkamp / Hendrik Ziegler (Hgg.): Der Künstler in der Fremde. Migration - Reise - Exil, Berlin: De Gruyter 2015
Uwe Fleckner / Uwe M. Schneede (Hgg.): Bürgerliche Avantgarde - 200 Jahre Kunst in Hamburg, Ostfildern: Hatje Cantz 2017
Das 1997 von dem Berliner Kunsthistoriker Thomas W. Gaehtgens in Paris gegründete Deutsche Forum für Kunstgeschichte verfolgt mit großer Konsequenz und Kompetenz das Ziel, den vielfältigen, wechselseitigen Beziehungen zwischen deutscher und französischer Kunst nachzugehen. Der Band liegt in französischer Sprache vor, in der richtigen Erkenntnis, dass das Deutsche eine leider noch unüberwindliche Sprachbarriere für eine tiefergehende Rezeption dieser Forschungen in Frankreich bedeuten würde.
Uwe Fleckner resümiert eingangs, dass für die deutschen Künstler Frankreich vom Klassizismus über den Realismus bis zum Fauvismus das große Vorbild war ("L'Art allemand et son public français. Réception et transferts artistiques au XIXe siècle"). Fleckner unterstreicht, wie die deutsche Kunst von den Franzosen vornehmlich als "philosophische Kunst" angesehen wurde, wobei das Gedankliche der Werke von Cornelius, Overbeck und Kaulbach zulasten von Farbe und sinnlicher Schönheit zu gehen schien. Die Stereotypen, die Madame de Staël in De l'Allemagne gezeichnet hatte, wurden im Krieg 1870/71 zu einem doppelköpfigen Bild von dem romantischen Deutschland der Dichter und Denker und martialischen Preußentum intensiviert, was die Franzosen mit einem verstärkten Gefühl der Überlegenheit der lateinischen Kultur kompensierten. Deutsche Kunst, von Holbein über von Uhde und Liebermann wurde mit dem Stereotyp realistischer Authentizitätssuche versehen; Menzel erhielt von Duranty das Etikett der "Wahrheitsneurose".
Fleckner sucht die "Institutionen des künstlerischen Transfers" zu erkennen und hebt zu Recht hervor, dass der Einfluss deutscher Kunst gering war, da kaum ein bedeutendes Werk vom französischen Staat in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts angekauft wurde. Er setzt sich für eine - hier freilich nur skizzenhaft gegebene - neue methodische Vorgehensweise ein, die das alte Schema von Geben und Nehmen zu Gunsten einer komplexeren und dynamischen Betrachtungsweise ersetzt, indem sie den Dialog und die sich kreuzenden Perzeptionen des jeweils anderen berücksichtigt.
Den Auftakt zum ersten Teil des Bandes, "À la recherche des primitifs allemands" macht Isabelle Dubois, die in einer ausgezeichneten Studie die "Rezeption der Theorien von Sulpiz Boisserée über die deutsche mittelalterliche Malerei in Frankreich" aufarbeitet. Einen ganz anderen Ansatz verfolgt Sylvie Ramon indem sie, ausgehend von Michael Baxandalls These von einer zeitgebundenen "kulturellen Immunität", sowohl Nichtbeachtung wie auch Anziehungskraft des Isenheimer Altars punktuell untersucht (Grünewald et l'art français au XIXe siècle: réception et immunité culturelle). François René Martin präsentiert anspruchsvoll die Geschichte der gegensätzlichen Rezeption des Isenheimer Altars und Schongauers Madonna im Rosenhag : "Une critique agonistique. Schongauer et Grünewald en France entre 1840 et 1914". Der Verfasser berücksichtigt, methodisch fundiert, den hoch politischen geografischen Ort der in Colmar befindlichen Werke als mitentscheidenden Faktor der Rezeption. Der Elsässer Émile Reiber beanspruchte Grünewald als "Matthias d'Issenheim", um dem Elsass einen seiner großen Künstler wiederzugeben, den Beweis für seine jahrhundertalte kulturelle Eigenständigkeit zu führen und damit die Hoffnung auf eine Rückkehr in den Schoß Frankreichs zu bekräftigen. Aber auch wenn in den drei letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts der kritische Horizont auf beiden Seiten des Rheins politisiert war, so gab es eine Reihe von Kritikern, die sich unabhängig von politischen Streitfragen mit der Kunst auseinander setzten, wie Demmin Teodor de Wyzewa, Emile Verhaeren, Joris-Karl Huysmans. Letzterem widmet Christian Heck eine feinsinnige Studie: "Entre naturalisme et mystique: Huysmans et les primitifs allemands".
Fleckner nimmt einen weiteren Aspekt dieser Betrachtungsweise auf, indem er hervorhebt, dass für Ingres trotz seiner hartnäckigen Verehrung des Ideal-Schönen Holbein zum Vorbild wurde: u.a. stand der Erzbischoff Warham (Louvre) für das Porträt von Bertin Pate ("La réception de Hans Holbein le J. dans l'Oeuvre d'Ingres"). Pascal Griener führt diese Recherchen zu Degas und Holbein fort ("Degas et le portät d'Anne de Clèves par Hans Holbein le J.").
Teil II des Bandes ist dem "Blick auf die deutsche Kunst in Literatur und Kunstkritik" gewidmet und setzt ein mit Hendrik Zieglers eingehender Analyse von Baudelaires Notizen zur Philosophischen Kunst, die der Dichter als übernationales Phänomen hinstellt, - eine Perspektive, die Edmond Duranty fortführen wird ("L'art philosophique de Baudelaire"). Robert Scherkl geht dem "germanischen Naturalismus" nach, der dem Kritiker Charles Blanc Grund für den Mangel an Einheit im Kunstwerk und zugleich Kriterium für die weitgehend negative Einschätzung der deutschen Malerei von Kaulbach, Knaus bis hin zu Menzel ist ("Manque d'unité formelle et d'unité de pensée. Charles Blanc et l'art allemand"). Gewiss wäre eine Einbeziehung von Hans Körners Habilitationsschrift Auf der Suche nach der wahren Einheit (1988) nützlich gewesen.
Régis Spiegel untersucht "Perception et réception de la peinture romantique allemande entre 1830 et 1870: le regard des voyageurs français". Courbet erscheint als Totengräber der romantischen Malerei in Deutschland, die er 1869 in einem Brief an seinen Freund Castagnary als eine Sammlung "negativer Qualitäten der Kunst" bezeichnet und in einem Atem mit Chenavard verdammt. Julia Schnitker arbeitet eingehend heraus, in welcher Weise Menzel in Frankreich der anerkannteste deutsche Künstler des 19. Jahrhunderts war, ("Menzel dans la critique d'art française autour de 1900"). Der Napoleonkult ließ die Franzosen Menzels Verherrlichung von Friedrich den Großen verstehen. Aber schon vor dem ersten Weltkrieg wird Menzels Talent als Beobachter von Louis Gillet negativ als "monstre de regard" gedeutet, Symbol eines brutalen und zynischen Deutschland, das nichts mehr mit dem friedlichen Bild des romantischen Landes der Dichter und Denker zu tun hat.
Thomas W. Gaehtgens skizziert in einem Überblick "Jules Michelet et l'art allemand". Michelet liebte die deutsche Kunst nicht besonders, selbst wenn er Dürer bewunderte. Die Nazarener mochte er nicht, wahrscheinlich weil ihr Bestreben das Quattrocento wieder aufleben zu lassen seiner Vorstellung von deutscher Kunst widersprach. Erstaunlicherweise bringt ihn sein Interesse für die deutsche Kunst des 16. Jahrhunderts dahin, insbesondere die italienische Renaissance als eine in sich geschlossene Epoche zu betrachten, und sich noch vor Burckhardts Kultur der Renaissance in Italien von seiner verherrlichenden romantischen Einschätzung des Mittelalters zu trennen.
Teil III ist der deutschen Kunst in französischen Museen und Ausstellungen gewidmet und beginnt mit einem Überblick von Mathilde Arnoux: "Les acquisitions d'art germanique par les musées du Louvre et du Luxembourg au XIXe siècle". Nur wenige deutsche Bilder fanden Eingang in den Louvre: es gab keine systematische Ankaufspolitik. Erst ab 1892 unter Léonce Bénédite öffnet sich das Museum grundsätzlich der jungen deutschen Schule: Uhde und Liebermann wurden als Erneuerer der zeitgenössischen deutschen Malerei angekauft. Die Aufarbeitung der deutschen Bestände wirft ein Schlaglicht auf die Beziehungen Frankreichs zu den deutschsprachigen Gebieten. Arnoux schlägt die Österreicher und Schweizer dem Bereich "der germanischen Kunst" zu. Sie folgt darin einer seit langem bestehenden Tradition, der auch Barthélemy Jobert in seiner aufschlussreichen, mit Zahlen untermauerten Untersuchung über das Pariser Kupferstichkabinett gezwungen ist zu folgen: "'Ce qu'on trouvera de belles épreuves'. Les fonds germaniques au Département des estampes 1789-1898". Jean Duchesne, nahm 1819 eine Klassifizierung vor, nach der die "école germanique" neben den Deutschen auch die Holländer, Flamen und sogar die Engländer einbezog.
Tanja Baensch untersucht, in welcher Weise das Straßburger Museum in Frankreich politisch gedeutet wurde: "Un musée entre les frontières. La réception du musée d'art de Strasbourg dans la critique française autour de 1900." Sie stellt die überraschend große Mitarbeit von Bode vor, der repräsentative Werke der alten europäischen Schulen zum Ankauf vorschlug. Im Gegensatz dazu beanspruchte André Girodie für die elsässische Kunst einen größeren Raum und damit ein Regionalmuseum. Nicht die Qualität der Werke, sondern das Museums-Konzept stand im Mittelpunkt der Debatten.
Rachel Esner berichtet über die insgesamt positive Aufnahme des Werks von Fritz von Uhde und erläutert die Verbindung von gefühlvoller Religiosität und Modernität und der daraus resultierenden diskussionsträchtigen Spannung ("Sincérité et sentiments. L'œuvre religieux de Fritz von Uhde aux Salons parisiens"). Françoise Foster-Hahn resümiert kritisch "Die deutsche Kunst in den Pariser Weltausstellungen 1855 bis 1900" ("Ce que les Allemands ont présenté, ce que les Français ont vu") und zeigt die Verwobenheit dieser Ausstellungen mit der politischen Situation. Man war noch weit von dem Kosmopolitismus entfernt, in dem Baudelaire 1855 das Ziel der expositions universelles sah. Charles Blanc hält 1878 mit seiner Überzeugung von der Überlegenheit der Franzosen über die Deutschen nicht hinter dem Berg und Bismarck ist erzürnt, dass trotz seiner kategorischen Ablehnung, das Reich an der Ausstellung 1889 teilnehmen zu lassen, Liebermann, Leibl, von Uhde und Menzel eine stattliche Zahl ihrer Werke nach Paris schickten. Der Diskurs vieler französischer Kritiker war gleichfalls von einer gewissen Feindseligkeit geprägt, wenn sie sich, wie Maurice Hamel, zur Charakterisierung deutscher Maler solcher Stereotypen bedienen wie "prédilection farouche pour la laideur expressive et les suavités douloureuses".
Die bekannt weltoffene und großzügige Haltung des Verantwortlichen des Forums bezieht glücklicherweise auch "Die Entdeckung schweizer Kunst in Frankreich während der Weltausstellungen" mit dem Beitrag von Silvia Rohner "Où est donc cette Suisse que l'Opéra-comique nous a promise?'" mit ein.
Der letzte Teil der Publikation ist den "Dialogues d'artistes, dialogues des contemporains" gewidmet. In der deutsch-französischen Kommunikation übte Rom eine "Pioniersrolle" aus: "Rome, lieu de rencontre. La réception de l'art nazaréen en France". Sabine Fastert unterstreicht, dass die Casa Bartholdy und das Casino Massimo in ganz Europa besonders durch die Wiederbelebung des Freskos großes Interesse auf sich zogen. Schon 1801 hatte die Académie des beaux-arts die Frage diskutiert, ob man einen Lehrstuhl für Freskomalerei einrichten solle. So spielten die römischen Fresken eine gewisse indirekte, aber nicht unerhebliche Rolle in dem Aufschwung der Monumentalmalerei in Frankreich.
Pierre Wat interpretiert feinsinnig die Verwandtschaft der Naturauffassung von David d'Angers und Friedrich, selbst wenn ihre mystischen und politischen Visionen nicht übereinstimmten. Der Bildhauer fand in den Gemälden seine Vorstellung von einer tragischen, schicksalhaften Natur verwirklicht ("David d'Angers chez C. D. Friedrich").
Claire Barbillon widmet sich dem "Polyclète ou théorie des mesures de l'homme: le traité de Schadow, ses sources, sa réception chez les théoriciens français" und arbeitet heraus, dass sich der Berliner Meister von der normativen zu einer empirischen Anthropometrie gewendet hat, was Adolphe Quételet, Autor der monumentalen Anthropométrie (1870) anerkannte.
Peter Kropmanns stellt die enge freundschaftliche Bindung zwischen Scholderer und Fantin-Latour dar, der den Frankfurter Maler auf dem Atelier aux Batignolles hinter Manet dargestellt hat ("Otto Scholderer, un ami de Fantin-Latour"). Élisabeth Kohlers "Jules Laforgue et Max Klinger" ist eine substanzielle Studie, die auch die Rezeption des Impressionismus in Deutschland (unter anderem bei Alfred Lichtwark) einbezieht.
Die Faszination, die von Frankreich ausging, tritt in diesem Band zu Tage und die Sondierungen der einzelnen deutsch-französischen Beziehungen sind ergebnisreich und überaus anregend. Vieles, sehr vieles wird noch zu tun sein. Zu den "Institutions du transfert artistique", von denen Fleckner im Eingangskapitel spricht, wird man auch die Académie des beaux-arts zählen müssen, in der Overbeck seit 1834 korrespondierendes Mitglied war und von der Cornelius 1838 anlässlich seiner Aufnahme in die Ehrenlegion offiziell gefeiert wurde. Es ist legitim, wie in einem der Beiträge geschehen, die Deutschen, die in Frankreich lebten, von der Untersuchung auszuschließen (Wolfgang Becker hat in dieser Beziehung bereits viel erarbeitet), aber in einer späteren Phase der Aufarbeitung sollten sie berücksichtigt werden. Denn auch zweitrangige Künstler waren im Pariser Kunstleben integriert und nahmen aktiv daran teil, wie Alexander Laemlein, ein humanitärer Maler aus der Düsseldorfer Akademie, der 1855 zum Professor an der Ecole spéciale du dessin ernannt wurde. Lehmann nahm sogar die französische Nationalität an; Heilbut, Laemlein sowie Winterhalter hatten Rang und Namen und auch deutsche Künstlerinnen waren in Paris anerkannt, wie Madame O'Connel, eine geborene Miethe aus Berlin, Schülerin von Begas, die eine "Malerschule für Damen" leitete, von Burty nach 1870 allerdings als Preußin fallen gelassen wurde.
Was im vorliegenden Werk als ein Mosaik erscheint, ist Teil eines umfangreichen ehrgeizigen Unternehmens, die Vielfalt bisher ganz oder weitgehend unbeachtet gebliebener deutsch-französischer Beziehungen aufzuarbeiten. Dass Gaehtgens und Fleckner sich diesem Ziel ohne starre chronologische oder sonstige schematische Zwänge nähern, zeugt von ihrer Flexibilität und der pragmatischen Einsicht in das, was machbar ist. Die Beiträge dieser Publikation, die durchgehend fundiert sind, vermitteln die grundsätzliche Erkenntnis, dass der politische Aspekt und die stereotypen Bilder des Nachbarvolks immer wieder, wenn auch nicht durchgehend, die ästhetische, kunst- und museumswissenschaftliche Betrachtung der einst verfeindeten Nationen geprägt haben. Es ist zu wünschen, dass das Forum für deutsche Kunstgeschichte in Paris zu einer bleibenden Institution wird. Gerade die Tatsache, dass die jüngere Generation einbezogen wird, Franzosen und Deutsche, aber auch Engländer, Schweizer und Österreicher, verleiht dieser Einrichtung eine für das entstehende Europa lebendige, zukunftsweisende Bedeutung.
Wolfgang Drost