Uwe Fleckner (Hg.): Das verfemte Meisterwerk. Schicksalswege Moderner Kunst im "Dritten Reich" (= Schriften der Forschungsstelle 'Entartete Kunst'; Bd. IV), Berlin: Akademie Verlag 2009, XIV + 612 S., ISBN 978-3-05-004360-9, EUR 59,80
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Über kaum eine Ausstellung des 20. Jahrhunderts wissen wir so viel wie über die Münchner Propaganda-Schau "Entartete Kunst" von 1937, kaum ein kunstpolitisches Ereignis ist ähnlich gut dokumentiert wie die Beschlagnahme, Präsentation und Verwertung der "Verfallskunst seit 1910", wie die Moderne in der Sprache der NS-Behörden bezeichnet wurde. Und doch ist längst noch nicht alles erforscht, sind längst noch nicht alle Fragen, insbesondere zum Verbleib vieler Kunstwerke, beantwortet. Der vorliegende Band hat sich die Aufgabe gestellt, die Geschichte einiger der bekanntesten der im Nationalsozialismus konfiszierten Werke zu rekonstruieren, vom Zeitpunkt ihrer Entstehung über ihre frühe Rezeption und Musealisierung in der Weimarer Zeit, über ihre öffentliche Diffamierung im Nationalsozialismus, ihren Verkauf oder ihre Zerstörung bis hin zu ihrer Rezeption in der Nachkriegszeit. Fast alle, die Rang und Namen auf dem Gebiet der Forschung zur "Entarteten Kunst" haben, sind mit Beiträgen vertreten. Von den mehr als 20.000 bisher erfassten, in der NS-Zeit als "entartet" deklarierten Kunstwerken wird eine Auswahl von 24 Bildern und Plastiken, alle inzwischen zu Ikonen der Moderne geworden, in ausführlichen Werkmonografien vorgestellt. Auch wenn die einzelnen Beiträge nicht nur Neues präsentieren, sind sie doch überwiegend glänzend recherchiert, meist durch Archiv- und Quellenstudien gestützt und bieten gerade in rezeptionsgeschichtlicher Hinsicht viele neue Einsichten und Erkenntnisse. Interessant ist vor allem der gemeinsame Befund, dass die "Konfliktgeschichte" vieler Werke bereits in der Weimarer Zeit begann, und zwar meist aus Anlass ihrer Musealisierung, die öffentlich diskutiert wurde und einige Künstler in der Öffentlichkeit beinahe ebenso stark beschädigte wie die Kampagnen in den Dreißigerjahren. Dies zeigt, dass die Nationalsozialisten die Diffamierung der modernen Kunst nicht erfunden haben, sondern auf bestehende Muster aus der Weimarer Zeit zurückgreifen konnten.
Die Auswahl der besprochenen Beispiele orientiert sich einmal an der Bekanntheit der Werke, versucht die stilistische Bandbreite der "entarteten Kunst" abzudecken, von den Spätimpressionisten über die frühen Expressionisten (die den Schwerpunkt bilden) bis hin zu den Avantgarden der Weimarer Zeit, das heißt zu Dada, dem Konstruktivismus und der Neuen Sachlichkeit, und ist darüber hinaus bemüht, ein breites Spektrum unterschiedlicher Geschichten zu präsentieren, um Gelegenheit zu geben, die verschiedenen Mittel und Wege der nationalsozialistischen Kunstpolitik, soweit sie die moderne Kunst betraf, darzustellen. Die besprochenen Werke werden nicht nach chronologischen oder stilistischen Kriterien gereiht, sondern - wie es der Logik des Bandes entspricht - zu "Schicksalsgruppen" (so hat es den Anschein) zusammengefasst, die mit Zwischentiteln wie "Rettung aus höchster Gefahr" oder "Unter den Hufen von Kunstpolitik und Bildersturm" überschrieben sind. Nun mag eine übertriebene wissenschaftliche Nüchternheit bei diesem Thema unpassend sein, aber hier scheinen doch jemandem die Pferde durchgegangen zu sein. Schon dass vom "Schicksal" der konfiszierten Werke die Rede ist, rückt das politische Kalkül, das hinter der Aktion "Entartete Kunst" stand, aus dem Blickfeld. Um das Drama zu steigern, wird die Kunst anthropomorphisiert. Das ist ein Mittel des Feuilletons, das der Band eigentlich nicht nötig hat.
Nicht berücksichtigt wurden bei der Auswahl der Werke die Arbeiten der linkspolitischen Künstlerinnen und Künstler, jener, die den kommunistischen Parteien und ihren Organisationen angehörten oder ihnen nahestanden, Künstler wie Picasso oder Käthe Kollwitz, George Grosz oder John Heartfield, die sämtlich als "entartet" galten und den Zorn der Nationalsozialisten oft in weitaus stärkerem Maße auf sich zogen als die zumeist unpolitischen, wenn nicht gar mit der nationalsozialistischen Ideologie sympathisierenden Expressionisten oder die "Klassischen" unter den Neusachlichen. Ebenso wurden Künstler ausgeschlossen, gewollt oder nicht, die später in der DDR lebten, neben den Remigranten Grosz und Heartfield vor allem Expressionisten wie Heinrich Ehmsen, Conrad Felixmüller oder Eugen Hoffmann, die alle in hohem Maße von der Aktion "Entartete Kunst" betroffen waren. Grundsätzlich ist anzumerken, dass die Fokussierung und wissenschaftliche Monumentalisierung der "Entarteten Kunst", also der in der Weimarer Zeit musealisierten Klassischen Moderne, eine Marginalisierung der politischen Kunst, insbesondere der Widerstandskunst der Dreißiger- und Vierzigerjahre bedeutet. Man kann die "Entartete Kunst" und die Widerstandskunst natürlich getrennt voneinander betrachten. Wenn man allerdings der "Entarteten Kunst", also der Kunst der spätwilhelminischen und Frühweimarer Zeit, im Hinblick auf den Nationalsozialismus "ein hohes widerständiges Potential" zuschreibt, wie im Vorwort geschehen, und dabei die wirkliche, das heißt die antifaschistische Widerstandskunst der Dreißigerjahre, aber auch die Kunst des sozialistischen Realismus der Zwanzigerjahre, nicht einmal erwähnt, obwohl auch diese Werke, wenn sie öffentlich thematisiert wurden, als "entartet" gebrandmarkt wurden, dann entsteht ein falsches Bild vom künstlerischen Widerstand.
So ist der Band zwar ein hervorragendes Kompendium von Provenienzanalysen zur "Entarteten Kunst", aber sein Ziel, "im Mosaik der Einzelfälle eine Geschichte nationalsozialistischer Kunstpolitik zu schreiben", wie im Vorwort und im Klappentext zu lesen ist, erreicht er nur in Teilen. Die künstlerischen Verhältnisse im Nationalsozialismus lassen sich nicht auf die Aktion "Entartete Kunst" reduzieren, so signifikant und aspektereich diese auch war. Problematisch ist es auch, die Münchner Ereignisse von 1937 als "Mißbrauch der Kunst" zu bezeichnen, wie es wiederholt geschieht, als sei der hohe Wert der Kunst das eigentliche Ziel und Opfer nationalsozialistischer Politik gewesen. Solche Formulierungen und Denkmodelle verstellen den Blick auf die strategischen Funktionen der Kunstpolitik als Mittel des "social engineering", auf die bereits Hildegard Brenner hingewiesen hat. Sieht man von dem zu hohen Anspruch, eine Geschichte nationalsozialistischer Kunstpolitik schreiben zu wollen, von der politischen Tendenz in der Auswahl der besprochenen Künstler und ihrer Werke und von dem rhetorischen Überschuss an Pathos und Drama ab, bleibt ein hervorragend gearbeitetes wissenschaftliches Sammelwerk mit großem Informationswert, das die Forschung zum Thema "Entartete Kunst" um wichtige Studien bereichert.
Martin Papenbrock