Nicola Courtright: The Papacy and the Art of Reform in Sixteenth-Century Rome. Gregory XIII's Tower of the Winds in the Vatican, Cambridge: Cambridge University Press 2003, XXII + 312 S., 57 line diagrams, 187 half-tones, 10 colour plates, ISBN 978-0-521-62437-4, GBP 65,00
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Die "Torre dei Venti" gehört nicht zu den Hauptattraktionen des vatikanischen Palastes; in den Rundgang durch die Musei Vaticani ist die unter Gregor XIII. (1572 - 1585) errichtete Anlage nicht einbezogen.
Die "Torre dei Venti" ist ein turmartiger Aufbau, der ab 1581 dem großen Korridor aufgesetzt wurde, der Bramantes Belvederehof nach Westen hin begrenzt. Architekt war Ottaviano Mascarino. Die inhaltliche Konzeption stammt von Ignazio Danti, der auch für die "Galleria delle Carte Geografiche" die Verantwortung trug. Der Dominikaner Danti war ein bedeutender Kosmograph, Mathematiker und Künstler, den der Papst in die Kalenderkommission berufen hatte, deren Arbeit 1582 zur Einführung des bis heute benutzten Gregorianischen Kalenders führte. Danti war recht mitteilsam, und so sind seine die "Torre dei Venti" betreffenden Erläuterungen, die den Titel "Anemographia" tragen, ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis dieser Anlage, auch wenn der Verfasser keine umfassende Erklärung des gesamten Bildprogramms liefert. Den wichtigen Text findet man - von Amanda Collins sorgfältig ediert und ins Englische übersetzt - im Anhang des vorliegenden Buches (219 - 241).
Im Inneren der Torre befinden sich, auf drei (beziehungsweise zweieinhalb) Geschosse verteilt, insgesamt sieben freskierte Räume. Der wichtigste ist die im ersten Stock befindliche "Sala della Meridiana", die ursprünglich eine offene Loggia war und in deren Fußboden der namensgebende Meridian eingelegt ist. An der Decke befindet sich ein Windmesser, der von Personifikationen der Winde umgeben ist. Die beiden Hauptfresken der Wände zeigen als wichtigste Themen die Sturmstillung Christi am See Genezareth sowie den Schiffbruch des Paulus vor Malta. Die beiden weiteren Räume dieser Etage sind den alttestamentlichen Patriarchen sowie den Aposteln gewidmet. In der darüber liegenden Etage befinden sich zwei Räume mit topografisch genauen beziehungsweise mit imaginären Landschafts- und Stadtdarstellungen. Die dritte Etage enthält wiederum zwei freskierte Räume; der erste zeigt Szenen aus dem Leben alttestamtlicher Frauen, der zweite Darstellungen zur Geschichte des Tobias. Angesichts der Arbeitsteilung, die im ausgehenden 16. Jahrhundert bei derartigen Aufträgen meist herrschte, ist es nicht möglich, die Hände der beteiligten Künstler zu scheiden. Während in der "Sala della Meridiana" Niccolò Circignani (il Pomarancio) die Federführung hatte, handelt es sich ansonsten vor allem um Arbeiten von Mattheus Bril, dem vermutlich sein Bruder Paul und sicherlich noch weitere Mitarbeiter zur Seite standen.
Obgleich sie etwas abgelegen ist, hat die "Torre dei Venti" immer wieder die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich gezogen. Schon Ludwig von Pastor hat sie in seiner "Geschichte der Päpste" gewürdigt. Erwähnt sei ferner die inhaltsreiche Publikation von Fabrizio Mancinelli und Juan Casanovas (La Torre dei Venti in Vaticano. Città del Vaticano 1980); aber auch in dem von Carlo Pietrangeli herausgegebenen und für ein breiteres Publikum bestimmten Werk "Die Gemälde des Vatikan" (München 1996, 277 - 278) werden die betreffenden Bilderzyklen nicht vergessen. Im Mittelpunkt stand bei allen Abhandlungen die Tatsache, dass vor allem die "Sala della Meridiana" eng mit der Einführung des Gregorianischen Kalenders verbunden ist. Eine große Veröffentlichung, die sich ausschließlich mit der "Torre dei Venti" beschäftigt hätte, fehlte bisher allerdings. Es ist daher sehr zu begrüßen, dass Nicola Courtright eine umfangreiche, zum Teil auf erneuten Archivstudien beruhende Monografie zu diesem Thema veröffentlicht hat.
Am Beginn stehen allgemeine Ausführungen zum Rom der Gegenreformation und zu Gregor XIII. (9 - 27). Manches wäre sicher in dieser Länge nicht nötig gewesen, zumal die Verfasserin hin und wieder Topoi der päpstlichen Panegyrik als für Gregor XIII. spezifisch ansieht (etwa 21 - 22). Auch überschätzt sie die Bedeutung des Vatikans, der jedenfalls nicht unbedingt das "Epicenter of Reform" (25 - 27) gewesen ist; das waren eher die Sitze der neuen Orden. Im zweiten Kapitel (28 - 40) wendet sich Courtright den Zusammenhängen zwischen der "Torre dei Venti" und der Kalenderreform zu. Im Kern geht es darum, dass sich mittels des eingelegten Meridians die Richtigkeit von dessen Berechnungen zeigen lassen. In diesem Zusammenhang würdigt sie auch Danti als Programmverfasser (31 - 33). Die Verfasserin überzeichnet dabei etwas das Selbstbewusstsein Gregors. Selbstverständlich war auch ihm der Gedanke vertraut, dass er der eigentliche Beherrscher der Welt sei, trotzdem war seine Politik auch in Bezug auf die Kalenderreform an den tatsächlichen Machtverhältnissen orientiert. Gregor versuchte nämlich nicht einmal, sie in nichtkatholischen Ländern durchzusetzen. Es dürfte auch deshalb unangemessen sein, die Torre in erster Linie als ein Dokument päpstlicher Politik anzusehen, zumal man über ihren tatsächlichen Zweck zu wenig weiß; eine wichtige zeremonielle Rolle spielte der Turm nicht.
Der zentrale zweite Teil behandelt die Torre als päpstliches Appartement (43 - 181). Am Beginn stehen Ausführungen zu Ottaviano Mascarino, dem Architekten der Anlage, und zur Lage des Turms im Vatikan (43 - 47). Zu den hier (48 - 49) eingefügten, sehr sorgfältig ausgearbeiteten Grundrissen blättert man gern zurück, um die Orientierung zu behalten.
Courtright versucht anschließend (51 - 68) eine Charakteristik vor allem des Belvederehofes und seiner Veränderungen im Verlaufe des 16. Jahrhunderts, wobei sie weit ausholt und etwa den Diokletianspalast von Split zum Vergleich heranzieht. Wichtiger ist das anschließende vierte Kapitel, in dem sie sich der "Sala della Meridiana" zuwendet (69 - 103). In diesen Zusammenhang integriert die Verfasserin auch ihre ausführlichen Darlegungen über den "gegenreformatorischen" Stil (Style: Transformation of High Art into Counter-Reformation Art, 84 - 99). Leider mutet sie dabei den Fresken zu viel zu. Vor allem aber hat die Verfasserin nicht erklärt, was Kriterien für den "gegenreformatorischen" Stil sein könnten. Entsprechende Aussagen finden sich aber in den Quellen fast nicht. Das gelegentliche Lob der Bildertheologie für frühchristliche und mittelalterliche Kunst ist bekanntlich weitgehend folgenlos geblieben, weshalb sich die Kunstgeschichtsschreibung besonders gern den wenigen entsprechenden Fällen zuwendet, etwa der von Cesare Baronio 1596 bis 1599 restaurierten Kirche SS. Nereo ed Achilleo in Rom. Gerade ein solches Beispiel zeigt aber den "modernen" Charakter der Sala, in der von einem "paleochristian revival" und Bezugnahmen auf Bildertheologie nichts zu sehen ist. Im Gegenteil: regelmäßig findet sich in theologischen Traktaten die Aussage, dass Bilder dem Gebot der Dezenz zu gehorchen haben. Gerade in diesem Punkt ist jedoch die Sala durchaus nicht vorbildlich, wie die nackten Personifikationen der Winde deutlich zeigen. Auch hier - direkt im Hause des Papstes - sieht man, wie wenig gegenreformatorische Bildertheologie und künstlerische Praxis miteinander zu tun haben. Ansonsten hatte die Bildertheologie mit der Sala sowieso nur wenige Berührungspunkte, denn Lehramt und Theologie befassten sich fast nur mit der Erlaubtheit der christlichen Bilder und mit deren Verehrung. Zu verehrende "Imagines sacrae" sieht man aber weder hier noch in einem anderen Raum der Torre. Zu grundsätzlichen stilistischen Problemen findet man in der Bildertheologie keine Hinweise. Der einflussreichste Bildertheologe, Johannes Molanus, betont sogar, dass er "über die Kunstfertigkeit weder handeln noch urteilen will" ("de artificio, nec tractare volo, nec iudicare" - De picturis et imaginibus sacris. Löwen 1570, Cap. LV, fol. 105r). Diese Aussage hatte Gründe, und zwar in erster Linie das katholische Traditionsprinzip. Die Einführung eines bestimmten - "gegenreformatorischen" - Stiles hätte die Ablehnung der bisherigen stilistisch vielfältigen Praxis bedeutet; damit aber wäre das unmögliche Eingeständnis verbunden gewesen, in die Überlieferung der Kirche hätten sich gravierende Missbräuche eingeschlichen. Das Traditionsprinzip garantierte damit die stilistische - und auch die ikonographische - Vielfalt, die für die Kunstpraxis der katholischen Länder bis ins ausgehende 18. Jahrhundert charakteristisch war. Die "Sala della Meridiana" hat jedenfalls mehr den Charakter einer Kunst- und Wunderkammer als den eines Dokuments orthodoxer Bilderlehre.
Im fünften (104 - 146) und sechsten Kapitel (147 - 181), die sich den übrigen Räumen zuwenden, verstärkt sich das Problem des "Gegenreformatorischen" nochmals, denn hier überwiegen kleine biblische Historien sowie einige großformatige Landschaften und Stadtansichten, gerade letztere machen den eigentlichen Reiz der Anlage aus. Die Autorin erwägt deshalb - im Umkehrschluss (108) zu einer Aussage Michelangelos, der die niederländische Kunst im pejorativen Sinne für besonders fromm ansah - die Auftragsvergabe an den Niederländer Mattheus Bril als "gegenreformatorisch" zu verstehen. Für einen solchen Gedankengang dürften sich wohl keine zeitgenössischen Belege finden lassen. Michelangelo dachte außerdem nicht an moderne Landschaftsbilder, sondern an sakrale Werke des 15. Jahrhunderts. Wie wenig sich Bril und seine Auftraggeber wirklich für Bildertheologie interessierten, zeigt die einzige Szene, die in diesem Zusammenhang relevant ist. Im Raum der Apostel findet sich die Darstellung, wie Judas Thaddäus dem König Abgar von Edessa das Mandylion, also das direkt auf Christus selbst zurückgehende, nicht von Menschenhand gemachte Christusbild, überbringt. Einen besonderen Stellenwert hat die Szene nicht.
Der wohl wichtigste Teil der vorliegenden Publikation ist die Dokumentation der Fresken (185 - 218). Die Verfasserin gibt dabei alle Inschriften wieder und nennt auch die ihr bekannten Bildquellen.
Generell wird man die schön gestaltete Publikation als einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der römischen Kunst des ausgehenden 16. Jahrhunderts ansehen können. Ihr bleibender Wert besteht allerdings mehr in den dokumentierenden als in den interpretierenden Passagen.
Christian Hecht