Axel Karenberg / Christian Leitz (Hgg.): Heilkunde und Hochkultur II. "Magie und Medizin" und "Der alte Mensch" in den antiken Zivilisationen des Mittelmeerraumes (= Naturwissenschaft - Philosophie - Geschichte; Bd. 16), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2002, XII + 307 S., ISBN 978-3-8258-5752-3, EUR 25,90
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Der zweite von Axel Karenberg und Christian Leitz herausgegebene Sammelband zur Heilkunde und Hochkultur enthält die ausgearbeiteten Vorträge einer öffentlichen Ringvorlesung, die seit dem Wintersemester 2000/2001 am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Universität zu Köln gehalten wurde. Im Mittelpunkt des Bandes stehen die Themenbereichen "Magie und Medizin" und "Der alte Mensch". Damit wird der in Teil 1 mit den Bereichen Geburt, Seuche und Traumdeutung begonnene Überblick über die Heilkunde der antiken Hochkulturen fortgesetzt. [1]
Die Herausgeber haben daran festgehalten, vornehmlich nicht-medizinische Texte durch ein interdisziplinäres Autorenteam erschließen zu lassen. Mit diesem Ansatz formulieren Axel Karenberg, Professor am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, und Christian Leitz, Professor am Seminar für Ägyptologie, ihre Überzeugung, dass Medizin erst als Bestandteil ihrer Kultur verstanden werden kann: Durch eine kulturelle Kontextualisierung kann Medizin vor allem in ihren alltagskulturellen Facetten nahe gebracht werden.
Wenn auch eine exakte Definition des Begriffs "Magie" unmöglich scheint, so kann man nach Ansicht der Herausgeber festhalten, "daß Magie weder als Gegenbegriff zu Wissenschaft noch als Bezeichnung eines eindeutig von der Religion abzugrenzenden Bereiches Verwendung finden kann" (VIII). Der erste Teil der Beiträge (3-208) widmet sich denn auch dem Verhältnis von "Magie und Medizin" und spannt dabei einen zeitlichen Bogen vom Beginn des dritten vorchristlichen bis zum Ende des ersten nachchristlichen Jahrtausends und einen geografischen Bogen vom alten Persien über das Zweistromland und Ägypten bis nach Griechenland und Rom. Die Beiträge variieren in ihrem Charakter, und doch lässt sich am Ende eine gewisse Übereinstimmung erkennen, nämlich dass die Differenz von Magie und Medizin eher eine moderne ist: "[D]er antike Mensch erlebte die Heilbehandlung als eine Einheit" (X).
Einführenden Charakter hat der wichtige Beitrag von Stefan Maul (3-19), in dem er die Heilkunst des Alten Orients in einem kenntnisreichen und gut verständlichen Überblick darbietet. Anschließend werden Hethitische Heilverfahren und in vier weiteren Beiträgen altägyptische Verhältnisse vorgestellt. Christian Leitz (49-73) warnt in seinem Beitrag zu Recht davor, die Begriffe "ratio" und "Magie" einfach zu übertragen, wenn er anhand von magischen Papyri und Heilstatuen, Stelen und Amuletten die altägyptische Heilpraxis vorstellt. Aus archäologischer Perspektive stellt dann Henner von Hesberg (119-152) Bilder von Heilungs- und Verwandlungsvorgängen aus der griechisch-römischen Antike vor und arbeitet heraus, dass selbst magische Verrichtungen in den Bildmedien rationalisiert als medizinische Praxis vorgeführt werden. An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Aufsatzsammlung in gewisser Weise heterogen ist, was in erster Linie daran liegen dürfte, dass der Sammelband zwei große, unterschiedliche Themenkomplexe in sich vereint. Kritischer dagegen scheint mir, dass nicht immer der einführende Charakter, um den es den Herausgebern explizit geht (VII), eingelöst werden kann - diese Kritik gilt auch für Band 1. So kenntnisreich beispielsweise der den ersten Themenkomplex abschließende Beitrag von Ferdinand Peter Moog (153-183), in dem es um das Gladiatorenblut als Therapeutikum für Epilepsie geht, auch sein mag, so hermetisch dürfte er sich dem "breiteren Leserkreis" (VII) präsentieren.
Der zweite Teil "Der alte Mensch" oder "Alter - Zeit der Krankheit, Zeit der Weisheit" (211-304) ist äußerst aktuell. So kann man gegenwärtig eine intensive Diskussion um das Alter(n) in seinen Dimensionen für die Gesellschaft, aber auch speziell für die Medizin konstatieren - man denke nur an die medizinische Versorgung oder speziell an die medizinethischen Probleme am Lebensende. Insofern scheint mir das Thema vom Alter(n) gerade in medizinhistorischer Perspektive wertvoll und einer diachronen Vertiefung wert, wie dies hier vom Alten Mesopotamien bis in die Frühe Neuzeit unternommen wurde. Aus meiner Sicht wäre eine Erweiterung bis hin zu den modernen medizinethischen Diskussionen, verstanden als jüngste Zeitgeschichte, sinnvoll. So ist beispielsweise Wolfgang Dieter Lebek (257-276) mit seiner Frage "Wie lang soll man leben?" zwar eigentlich in der Antike beschäftigt, doch zeigt er paradigmatisch deren Modernepotenzial auf, wenn er zum Beispiel über die Verkürzung des Lebens reflektiert. Klaus Bergdolt (277-288) und Daniel Schäfer (289-304) führen abschließend Rückgriffe auf antike Vorbilder vor und können hierbei beide aus langjährigen eigenen Forschungen schöpfen: Während Bergdolts Ausführungen zum Alter bei Petrarca eine durch den Rückbezug auf die Antike neue Altersdiätetik und Altersphilosophie zum Gegenstand haben, stellt Schäfer die frühneuzeitlichen Vorstellungen zum pathologischen Greisenalter in ihrem Rekurs auf die Antike zum einen und in ihrer zeitgenössischen Eigenständigkeit zum anderen heraus.
Den Herausgebern ist zu gratulieren, dass sie dieses Projekt sechsjähriger intensiver Forschung nun mit der Vorlage des zweiten Bandes einem weiteren Leserkreis präsentieren können. Besonders wertvoll ist sicherlich, dass sie die Mühen interdisziplinärer Zusammenarbeit, wie diese schon durch die Herausgeber selbst verbürgt ist, auch bei der Zusammenstellung des Autorenteams nicht gescheut haben. Die Geschichte von "Heilkunde und Hochkultur" kann nicht von einem geschrieben werden, hier bedarf es der interdisziplinären Zusammenarbeit, wie dies die Autoren in diesem beachtenswerten Forschungsprojekt geleistet haben.
Anmerkung:
[1] Axel Karenberg / Christian Leitz (Hg.): Heilkunde und Hochkultur I. Geburt, Seuche und Traumdeutung in den antiken Zivilisationen des Mittelmeerraumes. Münster / Hamburg / London 2000; vgl. hierzu auch meine Besprechung in Gesnerus 59 (2002), 134 f.
Florian Steger