Hubert Wolf / Dominik Burkard / Ulrich Muhlack: Rankes "Päpste" auf dem Index. Dogma und Historie im Widerstreit (= Römische Inquisition und Indexkongregation; Bd. 3), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2002, 218 S., ISBN 978-3-506-77674-7, EUR 32,00
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Heute besteht kein Zweifel mehr: Papstgeschichte ist längst keine theologisch begründete Domäne katholischer Historiografie. Im Gegenteil: Die profiliertesten Papstgeschichten stammen aus protestantischer Feder, und Leopold von Ranke nimmt in dieser Reihe illustrer Persönlichkeiten zumindest methodisch eine Schlüsselposition ein. Der anhebende Ultramontanismus spaltete den Aufbruch der deutschen Geschichtsschreibung des beginnenden 19. Jahrhunderts in zwei Stränge, wie Ulrich Muhlack im letzten Teil des Buches (169-201) übersichtlich und überzeugend aufzeigt. Denn die Verfahren der Indexkongregation gegen Ranke in den Jahren 1838 und 1841 markieren für die Wissenschaftsgeschichte die Abkehr der römischen Kirche und des deutschen Katholizismus von der modernen Geschichtswissenschaft Berliner Prägung. Diese Rekonfessionalisierung der Historiografie durch eine auswärtige Institution durchbrach also die deutsche Entwicklung, die auf Professionalisierung und Verwissenschaftlichung der Geschichtsschreibung abzielte. An ihrer Wiege standen ebenfalls beziehungsweise zuförderst katholische Historiker, die nach den Kulturkampfzeiten wieder auf die protestantische Linie einschwenkten. Auch Ranke selbst hegte mit seiner 1834-1836 erschienenen "Papstgeschichte in den letzten vier Jahrhunderten" keinerlei polemische Absichten; er verstand sein Werk als Beitrag zur Einheit der Christenheit und wollte mit seiner historisierenden Darstellung auch Katholiken gewinnen (172). Vor diesem eigentlich auf Harmonie und Fortschritt angelegten deutschen Kontext, wie ihn Muhlack konzentriert darlegt, nimmt sich die Indizierung Rankes etwas überraschend aus, wenn sie auch nicht unerwartet erscheint, denn sie passt als Indikator wachsender theologischer Fundamentierung von Amt und Geschichte in das Bild kurialen Agierens um die Mitte des 19. Jahrhunderts.
Die Kirchenhistoriker Hubert Wolf und Dominik Burkard rekonstruieren, dokumentieren und analysieren detailliert dieses spektakuläre Ereignis in den ersten beiden Teilen des Buches anhand der Akten der römischen Indexkongregation, die sie in einem Langzeitprojekt seit Jahren erforschen. Danach schlug die erste Indizierung von Rankes "Päpsten" 1838 zunächst noch fehl: Den insgesamt 43 antijesuitischen Anklagepunkten stellte der unabhängige Kuriale Antonino De Luca ein kompetentes Votum entgegen, das politischen Gesichtspunkten - dem belasteten Verhältnis zu Preußen - Rechnung trug und den sich ultramontan gerierenden Jesuiten einen Denkzettel verpassen wollte (47). Zwar wurde die angezeigte französische Übersetzung (!) verboten, jedoch nicht öffentlich.
Das drei Jahre später wieder aufgenommene Verfahren nahm sich tatsächlich wie ein "kurzer Prozeß" aus, dem alle konstitutiven Voraussetzungen fehlten. Der im Auftrag des konservativen Kardinalstaatssekretärs Luigi Lambruschini agierende Schlesier Augustin Theiner drang beim Sekretär der Indexkongregation auf eine Verurteilung von Rankes Originalausgabe, die auch tatsächlich am 16. September 1841 ohne Diskussion erfolgte. Der damals noch jesuitennahe, ultramontane Deutschlandexperte Theiner fürchtete die totale Historisierung als eine Gefahr für die Kirche als göttliche Stiftung. Wolf und Burkhard können aber herausarbeiten, dass das Punctum saliens der Verurteilung Rankes die Auseinandersetzung um den Primat des Papstes war, ja die Indizierung Rankes nur im Schlepptau der Verurteilung von Johann Otto Ellendorfs Werk "Der Primat der römischen Päpste" von 1841 erfolgte. Die Disziplinierung der Papstgeschichtsschreibung geschah also eher zufällig (101), und zwar in einer Zeit der Auseinandersetzung zwischen zwei widerstreitenden kirchenpolitischen Parteiungen in Rom beziehungsweise in den Jahren des Kampfes zwischen Staat und Kirche in Preußen.
Dass in einem solchen Verfahren Konsultoren und sogar Kardinäle übergangen und an den Rand gedrängt wurden, überrascht den Kenner der Kurienarbeit nicht weiter. Vergleichbares lässt sich für jede Zeit aus jedem Dikasterium melden - das bringt eine absolute (Wahl-)Monarchie mit sich! Mit den Autoren ist deutlich festzuhalten, dass die Erforschung der römischen Kurie nach wie vor ein Forschungsdesiderat ist, das, auf den Fall Ranke bezogen, Antworten auf noch offene Fragen über letzte Impulsgeber und personale Zusammenhänge erwarten lässt. Die etwas unvermittelt zusammengefügten Teile des Buches dokumentieren in ihrer Gesamtheit, wie simpel die Verurteilung von Rankes "Päpsten" durchgeführt wurde und als wie wenig wirksam sich schließlich das Verbot innerhalb Deutschlands und seiner katholischen Historiografie erwies. Schon für die Zeitgenossen galt Ranke als Klassiker der modernen deutschen Geschichtswissenschaft, die wiederum im 19. Jahrhundert zur Leitdisziplin aller Wissensgebiete wurde. Die Studie legt den Finger in die Wunde des Konflikts zweier Wissenskulturen: Rankes Postulat der Objektivität markiert den Wahrheitsanspruch der modernen Geschichtswissenschaft, der mit demjenigen der "endzeitlichen" religiösen Größe Kirche als Trägerin der "höchsten Objektivität" kollidierte. Auf Seiten der Kirche vermochte man diesen Fundamentalkonflikt, der die gesamte Kirchengeschichte durchzog, erst im 20. Jahrhundert zu lösen.
Stefan Samerski