Mischa Meier: Justinian. Herrschaft, Reich und Religion, München: C.H.Beck 2004, 128 S., 11 Abb., 2 Karten, ISBN 978-3-406-50832-5, EUR 7,90
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Mischa Meier hat mit seiner Habilitationsschrift über das "andere Zeitalter Justinians" Furore gemacht, [1] in der er herausarbeitete, welche Bedeutung die Erfahrung von Katastrophen für die Entwicklung der Herrschaft Justinians hatte. Nun legt er in der bewährten Reihe 'Beck Wissen' ein schmales Buch vor, das einen biografischen Abriss zu Justinian vermittelt. Dabei entwirft er mit kräftigen Zügen ein pointiertes Bild der Herrschaft dieses Kaisers, ohne sich dazu verführen zu lassen, allein die These seines großen Buches ins Zentrum zu rücken.
Das erste Kapitel umreißt das Selbstverständnis Justinians und ordnet es in die Geschichte des christlichen Kaisertums ein. Nachdrücklich betont es das Gefühl des Kaisers, allein von Gott mit der Herrschaft betraut worden zu sein. Dies leitet Meier im zweiten Kapitel bereits aus der Herkunft des Kaisers ab, der, aus einer bäuerlichen Familie des Balkans stammend, einen märchenhaften Aufstieg bis zum römischen Kaiseramt vollzog, ein Aufstieg, der nicht anders als durch Gottes Wirken erklärbar zu sein schien. Ein Zwischenkapitel erörtert eindringlich die Endzeitstimmung, die viele Zeitgenossen Justinians erfasst hatte. Unter der Überschrift "Der Schlafloseste aller Kaiser" skizziert Meier sodann die Dynamik der ersten Regierungsjahre des Kaisers; ein eigenes Kapitel widmet er dem Nika-Aufstand, den er als eine Inszenierung des Kaisers deutet - damit unterstellt Meier Justinian ein extrem gewagtes Spiel, was den Rezensenten nicht überzeugt. Die Zerstörungen des Aufstandes erlaubten dem Kaiser, insofern ist Meier Recht zu geben, eine großzügige Baupolitik im Zentrum der Hauptstadt, die in diesem Zusammenhang behandelt wird. Wieder ein eigenes Kapitel gilt Theodora, deren Rolle der Autor wohltuend nüchtern schildert. Ebenso überzeugend ist es, wenn Meier das Ausgreifen Ostroms in den Westen nicht als Ergebnis eines vorgefassten Planes schildert, vielmehr den Restaurationsgedanken als Ergebnis der Erfolge der Dreißigerjahre deutet. Nachdem Meier daraufhin die inneren Reformen der Dreißigerjahre erörtert hat, wendet er sich den für ihn entscheidenden Jahren seit 540 zu, als schwere Katastrophen - allen voran die Pest - das Reich heimsuchten. Diese Ereignisse führten dazu, dass der Kaiser, der sich bisher von Gott geschützt gefühlt hatte, seinen Optimismus verlor. Er wurde, wie Meier es sehr pointiert ausdrückt, zum Theologen. Besonders wichtig ist dabei, dass das abgegriffene Bild des kaiserlichen Zickzackkurses in der Religionspolitik aufgegeben wird. Meier kann eine durchaus erkennbare Linie nachzeichnen, mit einer Verhärtung unter dem Eindruck der Katastrophe. Eng aufeinander bezogen sind die folgenden Kapitel ("Ostrom in der Defensive", "Der Kaiser in der Defensive"): Nachdem Meier zunächst die militärischen Rückschläge und die Probleme in den eroberten Gebieten, aber auch die begrenzten Erfolge gewürdigt hat, macht er deutlich, wie angreifbar Justinian aufgrund der vielen Misserfolge war und wie sehr jetzt eine Religionspolitik forciert wurde, die auf eine religiöse Durchdringung des gesamten Lebens abstellte und die auch die Rolle des Kaisers sakralisierte (und damit wiederum sicherer machte). Dies mündet in ein eigenes Kapitel, das die Liturgisierung des Lebens in Konstantinopel während der spätjustinianischen Zeit illustriert. Im Schlussteil wird das Zeitalter Justinians - Meier setzt die Wendung bewusst in Anführungszeichen - als eine Transformationsphase hin zu Byzanz charakterisiert, die gerade keine Kohärenz aufweise, auch wenn ein Herrscher so lange regiert habe.
Eine bibliographie raisonnée rundet das Bändchen ab. Elegant werden verschiedentlich längere Erläuterungen etwa zur Stadt Konstantinopel (16 ff.) oder zu den religiösen Streitigkeiten (31 ff.) eingeflochten, die sich indessen nicht verselbstständigen, sodass der Leser stets einen roten Faden verfolgen kann. Es ist bemerkenswert, welche Fülle an Informationen Meier in das Bändchen zu bringen weiß, ohne dass dies in Faktenhuberei ausartet; die neuen Ergebnisse der Forschung etwa zur Außenpolitik finden Eingang in diese Darstellung, ohne dass davon viel Aufhebens gemacht wird.
Die von Meier vorgelegte Interpretation ist in einem hohen Maße personalisiert: Sie unterstellt Justinian breite Handlungsspielräume und misst der persönlichen Entwicklung Justinians für die Geschichte der Epoche eine wesentliche Bedeutung bei. Ein solches Vorgehen war lange als biografistisch verschrien, erscheint aber in diesem Fall durchaus plausibel. Die formal uneingeschränkte Gewalt des kaiserlichen Amtes und die Rivalität der verschiedenen gesellschaftlichen und religiösen Gruppen sowie die zeitweilige Schwäche anderer Herrschaftsbildungen verliehen Justinian ungewöhnliche Handlungsmöglichkeiten. Es wird indes zu diskutieren sein, ob man bei einer mikrohistorischen Analyse tatsächlich von einer so starken Macht des Kaisers ausgehen darf, ob er nicht an vielen Punkten - etwa in den Auseinandersetzungen nach dem Tod Papst Agapets 535/6 - eher der Getriebene war. Aber Meiers Ansatz ist gut durchdacht und plausibel dargelegt; die Kritiker werden sehr gute Argumente benötigen, um diese Position ins Wanken zu bringen.
Es gibt noch eine weitere deutschsprachige Justinian-Biografie aus jüngerer Zeit, die weitaus umfänglichere (natürlich auch erheblich teurere) von Otto Mazal. [2] Dieses aufgeblähte und streckenweise aus zweiter Hand gearbeitete Werk bietet indes weniger als das schmale, zupackende Bändchen, das Meier vorgelegt hat. Denn dieses ist zur Einführung geeignet, vermittelt aber auch den Mitforschern einen Ansporn für die Diskussion.
Anmerkungen:
[1] Mischa Meier: Das andere Zeitalter Justinians. Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung im 6. Jahrhundert n. Chr. (= Hypomnemata; 147), Göttingen 2003.
[2] Otto Mazal: Justinian I. und seine Zeit. Geschichte und Kultur des Byzantinischen Reiches im 6. Jahrhundert, Köln / Weimar / Wien 2001.
Hartmut Leppin