Michael Kaiser / Andreas Pečar (Hgg.): Der zweite Mann im Staat. Oberste Amtsträger und Favoriten im Umkreis der Reichsfürsten in der Frühen Neuzeit (= Zeitschrift für Historische Forschung; Beiheft 32), Berlin: Duncker & Humblot 2003, 362 S., ISBN 978-3-428-11116-9, EUR 48,80
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Aufstieg und Sturz monarchischer Favoriten haben die Menschen von jeher fasziniert. Die Aura ihrer unerhörten Macht sicherte den berühmtesten unter jenen Grauen Eminenzen, Ersten Ministern und Mätressen das Interesse der Biografen über Jahrhunderte; Olivares, Richelieu, Mazarin, Buckingham und Madame Pompadour dürften sogar bekannter sein als "ihre" Monarchen.
Inzwischen freilich begreift die Geschichtswissenschaft die besondere Gestalt des Favoriten auch als ein Strukturphänomen monarchischer Herrschaft in der Frühen Neuzeit: Seit die Forschung die höfische Gesellschaft als ein relevantes Forschungsfeld erkannt und zugleich die Scheu davor abgelegt hat, Patronage- und Klientelverhältnissen auch in Politik und Verwaltung nachzuspüren, seit sie zudem das überkommene Bild vom "eigenständig" und "unabhängig" entscheidenden Herrscher als Fiktion entlarvt hat und schließlich auch von der Kabinettsregierung des 19. Jahrhunderts als Maßstab allen Regierens abgerückt ist, seither bestehen die Voraussetzungen dafür, das Vorhandensein eines Favoriten nicht einfach als Symptom der - womöglich persönlichen - Schwäche des Herrschers zu deuten. Heute sieht man denn auch die Konjunktur für besonders einflussreiche Erste Minister im Europa der Frühen Neuzeit im Zusammenhang mit der Entstehung neuzeitlicher Staatlichkeit. Der Favorit gehört demnach in jene Phase dieser Entwicklung, in der nicht wenige Bereiche von Politik und Regierung bereits der ständischen Mitsprache entzogen und im Umkreis des Herrschers konzentriert, wo nicht gar: in Behörden institutionalisiert waren, in der aber die Aufnahme in diesen Umkreis weiterhin in erheblichem Maße von der Gunst des Herrschers abhing.
Die hier anzuzeigende Aufsatzsammlung nimmt nun erstmals Günstlinge, Favoriten, Mätressen und Erste Minister im Umkreis der Fürsten des Alten Reichs in den Blick. Dabei kommen keineswegs nur die entsprechenden Personen am Kaiserhof und an den größeren Fürstenhöfen in München, Dresden und Berlin zur Sprache, sondern auch die Verhältnisse in eher kleinen Territorien wie Hessen-Kassel und Württemberg sowie in den geistlichen Kurfürstentümern Mainz und Köln. Der vergleichende Ansatz gewinnt zudem an Profil durch einen Beitrag über die Favoriten der spanischen, englischen und französischen Könige.
Selten hat man Gelegenheit, einen inhaltlich wie von der Machart her derart gelungenen Sammelband zu besprechen. Die im einleitenden Beitrag der Herausgeber entworfenen Vorhaben werden in den einzelnen Aufsätzen durchweg eingelöst; Verweise erleichtern die Orientierung. Die Bedeutung der einleitend nicht eigens explizierten Befunde allgemeinerer Art erschließt sich bei der Lektüre der außerordentlich ertragreichen Aufsätze zumeist durch scharfes Mitdenken.
Erfreulicherweise verzichten Herausgeber wie Autoren auf schematisierende Definitionsversuche des Favoriten. Stattdessen sprechen sie zurückhaltend vom "Zweiten Mann im Staate", dessen Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung sie klären möchten. Entschlossen stellen sie dabei das "Strukturphänomen persönlicher Einflussnahme" in den Mittelpunkt, das "durch einen Vergleich verschiedener einzelner Spielarten persönlicher Gunst" näher bestimmt werden soll (12). Zur Durchführung dieses Vergleichs werden drei Idealtypen persönlicher Einflussnahme unterschieden. Da ist zunächst der Typus des leitenden Amtsträgers, dessen Einfluss weniger auf exzeptioneller Nähe zum Herrscher als vielmehr auf besonderer Amtskompetenz beruht habe. Den zweiten Typus, den Favoriten, habe es in zwei Ausprägungen gegeben: zum einen in einer eher höfischen - hier habe der politische Einfluss auf der besonderen persönlichen, jedoch institutionell nicht abgesicherten Gunst des Herrschers gegründet -, zum anderen in einer Ausprägung, die durch eine besondere Vertrauensstellung und ein hohes Amt gekennzeichnet gewesen sei. Schließlich erkennen sie den Minister oder gar Reformminister als den dritten Typus des "Zweiten Mannes", wie er seit dem späteren 18. Jahrhundert in manchen Territorien anzutreffen gewesen sei. Sein Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung habe auf einer bereits rationalisierten Form der Nähe zum Herrscher beruht, nämlich auf einer umfassenden Amtszuständigkeit, die in der Eingabe grundlegender Denkschriften ihren Ausdruck fand.
Diese Typologie dient zunächst der systematischen Einordnung der in den Einzelstudien vorgestellten Zweiten Männer und Frauen. Darüber hinaus erkennen die Herausgeber in den Typen aber auch eine - wiederum bloß idealtypisch verstandene - zeitliche Abfolge: "Die einzelnen Typen entsprechen verschiedenen Formen der inneren Verfaßtheit der Territorialstaaten im Zuge des Staatsbildungsprozesses" (14). Diese Einsicht erlaubt es den Herausgebern, einige spezifische Bedingungen zu kennzeichnen, die der Etablierung eines Favoriten günstig waren. Vorrangig erscheint ihnen hier das Interesse des Landesherrn, in einer bestimmten Situation die Mitsprache der Stände zurückzudrängen und auch die Ratsgremien - in denen ja wiederum Mitglieder der Stände saßen - von der Entscheidung fern zu halten. Dazu hätten sich einige Fürsten eines besonders vertrauten Beraters, eben eines Favoriten bedient; der Kurkölner "premier ministre" Plettenberg, der eben in einer solchen Konstellation zum "favori" werden konnte, ist hier ein einschlägiges Beispiel, während der Mainzer Hofmeister Kronberg ein Jahrhundert zuvor ein solcher Favorit noch nicht wurde.
Die Herausgeber konstatieren ferner, dass das Phänomen des Favoriten an Fürstenhöfen des Reichs im westeuropäischen Vergleich relativ spät auftauche, nämlich erst im Verlauf des 17. Jahrhunderts. Auch seien reichsfürstliche Favoriten generell weniger abhängig von der Gunst ihres Fürsten gewesen als ihre spanischen, französischen und englischen Kollegen, weil sowohl ihre Verflechtung mit der Reichsaristokratie als auch ihre Kontakte zu anderen Reichsfürsten wie zum Kaiserhof absichernd gewirkt hätten. Ihre historische Bedeutung sei zudem geringer gewesen als die eines Lerma, Olivares oder Richelieu. Dies aber lag, wie deutlicher hätte betont werden können (11, 21), weniger an der Persönlichkeit der Ersten Minister im Reich als an dem überhaupt bescheideneren Zuschnitt der Politikmöglichkeiten schon der Reichsfürsten selbst.
Sehr zu Recht indessen betonen Herausgeber und Autoren, dass ebenso wie in den westeuropäischen Monarchien die Stellung eines Zweiten Mannes auch in einem Reichsterritorium entscheidend vom persönlichen Vertrauensverhältnis zum Fürsten abhing: Schwand die Gunst des Landesherrn, waren zumindest Entlassung und Abstieg, im Fall des Favoriten Sturz oder sogar Tod des vormals herausgehoben Begünstigten nur eine Frage der Zeit. Einen Herrscherwechsel überstanden Zweite Männer und Frauen in aller Regel nicht unbeschadet.
Leider können hier nicht annähernd alle bedeutsamen Ergebnisse des Buchs vorgestellt werden. Eine wichtige Folgerung, die sich aus der typologischen Differenzierung des Konzepts vom Zweiten Mann ergibt, sei aber doch betont: Anders als vor allem in Spanien, wo das valimiento im 17. Jahrhundert quasi institutionalisiert war und beinahe zum Amt wurde (Asch, "Lumine solis", 29), blieb der fürstliche Favorit ohne hohes Amt im Reich die große Ausnahme; lediglich Graf Althann, der Favorit Kaiser Karls VI., und die Mätressen können so bezeichnet werden (13). Nicht einmal lassen sich bestimmte Reichsterritorien als besonders "favoritenanfällig" kennzeichnen. Typisch für Reichsfürsten waren vielmehr der leitende Amtsträger (Jocher und Kreittmayr in Bayern, Schwerin in Brandenburg) und der Favorit mit hohem Hof- oder Regierungsamt (Lobkowitz bei Kaiser Leopold I., Schwarzenberg und Danckelmann in Brandenburg bei Georg Wilhelm respektive Friedrich III./I., Plettenberg bei Clemens August von Köln), wobei ja gerade zwischen diesen beiden Typen, das sei nochmals betont, die Übergänge fließend waren. Die Zweiten Männer im Reich haben wohl selbst vielfach auf eine institutionelle Einbindung ihrer Stellung gedrängt und eine "reine" Favoritenstellung zu vermeiden gesucht.
Abschließend sei eine These formuliert, die dazu beitragen könnte, die allgemeinen wie die je besonderen Bedingungen für das Aufkommen von Favoriten noch deutlicher zu erkennen. Offenbar nämlich bedurfte ein Fürst eines exklusiv Begünstigten, wenn seine politischen und Herrschaftsaufgaben so komplex wurden, dass er sie im Rahmen der bestehenden Institutionen alleine oder mit dem vorhandenen Personal nicht zu bewältigen vermochte. Einerseits scheint es subjektiv empfundene Überforderung - nicht einfach Schwäche - gegeben zu haben, wie es gewiss im Spanien des 17. Jahrhunderts, beim Kölner Kurfürsten Clemens August und beim jungen Kaiser Leopold I. der Fall war.
Andererseits sahen sich die Fürsten in der Frühen Neuzeit tatsächlich immer wieder einer Zunahme an politischer Komplexität ausgesetzt. Eine erste Phase war das frühe 17. Jahrhundert, als sich in vielen Territorien die latenten Konflikte mit den Ständen verschärften und mit den neuen außenpolitischen Fragen konfessioneller Prägung und europäischer Dimension verbanden; gerade in dieser Zeit sind denn auch die ersten Favoriten im Umkreis von Reichsfürsten nachweisbar, und zwar vor allem als Lenker der fürstlichen Bündnispolitik (zum Beispiel Wolfgang Günther bei Landgraf Moritz). Der Bereich der auswärtigen Politik - und eben das ist ja zumeist gemeint, wenn zeitgenössisch von "Arcana" die Rede ist - war zudem keineswegs schon der Mitsprache der Stände entzogen, sodass der Fürst gerade für seine auswärtige Politik eines besonders vertrauten Beraters bedurfte (konkrete Hinweise auf solche Zusammenhänge bei Gräf, 61 und 65, bei Leifeld, 85-89, bei Göse, 113 f., bei Kober, 241 und öfter). Der Aufstieg eines einzelnen Beraters in die exzeptionelle Stellung eines Favoriten war demnach auf das Engste mit seiner Fähigkeit zur Analyse der außenpolitischen Optionen eines Fürsten und der Ausarbeitung eines entsprechenden Konzepts für ihn verbunden - eine These, die der hier angezeigte Band auch für spätere Phasen besonderer außenpolitischer Herausforderung durchaus zu bestätigen vermag.
Den Herausgebern und Autoren ist es bereits im ersten Zugriff gelungen, mit einem definitorisch äußerst zurückhaltenden, gleichwohl überzeugend reflektierten begrifflichen Instrumentarium und mit kenntnisreichen, quellengesättigten und inspirierten Einzelbeiträgen - unter denen lediglich der Beitrag über Graf Brühl etwas abfällt - die Ersten Minister und Favoriten der Reichsfürsten in die politischen und sozialen Strukturen des Alten Reichs einzuordnen und ihnen damit die Aura des Mystischen zu nehmen. Mit der Thematisierung der allgemeinen wie der je besonderen Bedingungen für politische Entscheidungsfindung liefert dieses Buch einen wichtigen Beitrag zu einer verstärkt im Kommen begriffenen modernen Politikgeschichte.
Christine Roll