Michaela Follner: Österreich und das Heilige Römische Reich. Ausstellung des Österreichischen Staatsarchivs, Haus-, Hof- und Staatsarchiv 25. April - 22. Oktober 2006, Wien: Fassbaender 2006, 115 S., ISBN 978-3-900538-90-3, EUR 10,00
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Der hier vorzustellende Katalog dokumentiert die Ausstellung "Österreich und das Heilige Römische Reich", die vom 1. April bis 22. Oktober 2006 im Österreichischen Staatsarchiv zu sehen war. Den Anlass, das komplexe Verhältnis dieser beiden Reichsgebilde zueinander in einer Ausstellung zu thematisieren, bot den Archivaren des Haus-, Hof- und Staatsarchivs das 200-Jahrgedenken des Endes des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation im August 1806. In ihrer Fokussierung auf 1806 berührt sich diese Wiener mit der kulturhistorischen Reichsausstellung, die von August bis Dezember 2006 in Magdeburg und Berlin gezeigt wurde; die kleinere Wiener ging der großen Berliner Exposition "gleichsam als Präludium voran" [1].
Auf den ersten Blick erscheint auch der Anspruch der Wiener Ausstellung bescheidener. Lediglich soll, so Leopold Auer, das "komplexe und ambivalente Verhältnis" Österreichs zum Alten Reich dokumentiert und die Rolle Österreichs im Reich mit Archivalien aus dem Österreichischen Staatsarchiv veranschaulicht werden. Beide Vorhaben sind, das sei hier vorweggenommen, durch die Auswahl der Exponate wie durch die ausführlichen Erläuterungen auf das Anregendste gelungen, so dass die Ausstellung zugleich dokumentiert, wie ausdrucksstark die viel gescholtene "Flachware" sein kann und welche Schätze ein Archiv wie das Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv birgt. Zudem ist der Begriff "ambivalent" nicht einfach so dahingesagt, sondern er trägt im Grunde die Konzeption der Ausstellung: Schon früh habe sich, so Auer, bei den Habsburgern einerseits das Bewusstsein von einer auserwählten Stellung Österreichs innerhalb des Reichs entwickelt, wie es etwa unter Rudolf dem Stifter (1339-1365) in der Bezeichnung "Herz und Schild des Reichs" zum Ausdruck gekommen sei, ebenso in der Türkenabwehr des 16. und 17. Jahrhunderts. Andererseits aber sei, ebenfalls seit dem Spätmittelalter, eine gewisse Distanz des Herrschers Österreichs gegenüber dem Reich zu beobachten, die in der Frühen Neuzeit z.B. zu Ausnahmen im Verhältnis zu den Reichsinstitutionen führte. Der Facettenreichtum dieses ambivalenten Verhältnisses Österreichs zum Reich wird an insgesamt gut hundert Exponaten, geordnet in sechs thematischen Gruppen, vorgeführt, und das erscheint der Rezensentin als durchaus anspruchsvolle Konzeption.
In der ersten, umfangreichsten Abteilung geht es unter der Überschrift "Kaiser, Könige und Landesfürsten" um das rechtliche und dynastische Verhältnis der Herrscher Österreichs zu denen des Reichs. Dargeboten werden 30 Exponate aus der Zeit zwischen 1002 (Landschenkung Kaiser Heinrichs II. an den babenbergischen Markgrafen Heinrich) und 1766 (Denkschrift Kaiser Josephs II. über die Regierung des Reichs). Die ersten Objekte stehen im Kontext der frühen Geschichte der Habsburger in Österreich, insbesondere des Ausbaus ihres Territoriums wie ihrer Sonderstellung im Reich durch echte und gefälschte kaiserliche Privilegien im 13. und 14. Jahrhundert (Abschrift des Privilegium minus; gefälschtes "Privilegium maius", das die Gleichstellung des österreichischen Herzogs mit den durch die Goldene Bulle privilegierten Kurfürsten beweisen sollte; Siegel Rudolfs des Stifters). Die folgenden Stücke zeigen, wie die Habsburger im 15. und 16. Jahrhundert ihre Vorstellung von der Sonderstellung des Hauses Österreich mit dem Kaisertum verbanden (Devise Friedrichs III. "AEIOU"; Erzherzogshut; Beglaubigung des Maius durch Kaiser Friedrich III.), auf dynastischem Wege ihren Territorialbesitz weiter vergrößerten und über eine Neubestimmung der verfassungspolitischen Stellung der österreichischen Länder nachdachten (Plan einer Erhebung der Erblande zu einem Königreich, 1520). Solche Pläne haben aber wohl mit der Erbteilung zwischen Karl V. und seinem Bruder Ferdinand I. an Bedeutung verloren. Die letzten zehn Stücke dieser Abteilung kreisen um die Doppelstellung der Habsburger im 17. und 18. Jahrhundert als Kaiser und österreichische Landesherren sowie um die Schwierigkeiten, die daraus für ihre Politik resultierten. Erfreulicherweise setzen die Kuratoren hier einen besonderen Akzent auf das zumeist immer noch vernachlässigte Lehnswesen, indem sie - unter anderem - die eigenartige Situation dokumentieren, in der Kaiser Karl VI., der letzte männliche Habsburger, sich mit den österreichischen Erblanden selbst belehnen musste.
Die zweite Abteilung "Österreich in den Friedensschlüssen des Reiches" möchte in 15 Exponaten die völkerrechtlichen Aspekte der Doppelstellung der Habsburger und die Ambivalenz ihrer Interessen als Kaiser und Erzherzöge deutlich machen und dabei zeigen, wie sich allmählich die "Hauptsorge ... dem eigenen habsburgischen Gesamtstaat" zu- und vom Reich abwandte (Gerhard Gonsa, 55). Thematisch wird diese Entwicklung am Westfälischen Frieden (Unterhändlerinstrumente und Ratifikationen), den Friedensschlüssen von Rastatt und Baden, dem Frieden von Hubertusburg und schließlich den Verträgen von Lunéville und Pressburg nachgezeichnet. Spätestens bei der Lektüre der Beschreibungen der Friedensschlüsse von Rastatt und Baden aber vermisst die Rezensentin einen Hinweis auf Spanien. Im Grunde hätte es schon im Zusammenhang mit den Instruktionen für die Westfälischen Friedensverhandlungen einer kurzen Erläuterung der Rolle der spanischen Vettern im Dreißigjährigen Krieg bedurft; aber der Friede von Rastatt, der ja den Spanischen Erbfolgekrieg beendete und Karl VI. dazu zwang, wie zutreffend festgestellt wird, "seine Ambitionen auf den spanischen Thron aufzugeben" (60), erschließt sich dem Publikum ohne Erläuterung der Ansprüche der österreichischen Habsburger auf das spanische Erbe im Grunde nicht.
Dem Thema "Türkenabwehr und Reichstürkenhilfe" ist die dritte Abteilung gewidmet. Hier wird an 21 Stücken aus der Zeit zwischen 1532 und 1791 veranschaulicht, welch wichtige Rolle die Bedrohung durch die Osmanen - oder doch das Gefühl einer solchen Bedrohung - für die Habsburger Monarchie spielte, aber auch für deren spezifisches, eben: ambivalentes Verhältnis zum Reich. Leider kann die Entwicklung von der ersten Belagerung Wiens 1529 bis zum letzten Friedensvertrag eines römisch-deutschen Kaisers mit einem osmanischen Sultan 1791 hier nicht an den einzelnen Exponaten nachgezeichnet werden; man gewinnt indessen den Eindruck, dass die Verschränkung wichtiger Motive der österreichischen Geschichte - vom Selbstverständnis als "Bollwerk der Christenheit" über die militärische Leistungsbereitschaft, die Expansion nach Südosten, die barocke Frömmigkeit und die hohe Bedeutung Wiens bis hin zur mehrdeutigen Rolle des Reichs - in dieser von Ernst Petritsch gestalteten Abteilung am eindringlichsten sichtbar wird.
"Wien als Kaiserresidenz" bildet den vierten thematischen Schwerpunkt. Für diese Abteilung scheinen die größten Schätze aus den Depots gehoben worden zu sein. Aber nicht nur bislang eher weniger bekannte Abbildungen von der Stadt wie der Hofburg werden gezeigt, sondern auch Pläne für den Neubau der Reichskanzlei, an welchem finanziell mitzuwirken die Reichsstände wenig Neigung zeigten. Deutlich wird aber auch, wie sehr Wien durch das ausgeprägte höfische Zeremoniell des Hofs "zur Kulisse fortgesetzter Feste" wurde (Leopold Auer, 81). Schöne und selten gezeigt Miniaturen werden hier ausgestellt, z.B. ein Protokoll der Versammlung der Schauspieler am kaiserlichen Nationaltheater 1776, mit dem die "Gründung" des Burgtheaters verbunden ist.
Die fünfte Abteilung thematisiert anhand von 14 Exponaten den eigentlichen Anlass der Ausstellung: "Das Kaisertum Österreich und das Ende des Heiligen Römischen Reiches". Zunächst wird die unmittelbare Vorgeschichte des Reichsendes in den Blick genommen ("Der Untergang des Reiches erfolgte von 1792 bis 1806 in mehreren Etappen", Michael Göbl, 97) und mit einer Karikatur, die das Ringen um die Vorherrschaft im Reich als Glücksspiel im Hause Germania persifliert, wie mit einem Bericht über den zerrütteten Zustand der Reichsverfassung das Reich in seiner Endphase skizziert. Der Reichsdeputationshauptschluss bildet den Übergang zum Kaisertum Österreich, der wiederum dokumentiert wird durch das Patent Franz' II./I. über die Annahme des Titels und Wappens im August 1804, Abbildungen des Wappens wie des Siegelstempels und die eigenhändige Gratulation Napoleons. Das Ende des Reichs illustriert das Ultimatum Napoleons zur Niederlegung der Kaiserkrone - ein vom Kaiserhof der Öffentlichkeit lange vorenthaltenes Stück -, ferner die entsprechende Erklärung des Kaisers, die zugleich die Auflösung des Reichsverbandes verfügte, und schließlich die Diskussion über die Frage, ob nun auch die Schaffung eines österreichischen Hofstaats nötig sei.
Auf zwei der eindrucksvollsten Exponate - insgesamt sind leider nur 20 im Katalog abgebildet - sei hier besonders hingewiesen. Da sind einmal die "Wunderzeichen beim Regierungsantritt Maximilians I. im Reich" aus der "Historia Friderici et Maximiliani", eine Art Lehrbuch, das Maximilian um 1515 für seinen Enkel Karl anfertigen ließ (I/15, Abb. 4). Zu sehen ist ein Blatt, das Maximilian mit drei Astrologen zeigt, die ihm die am Himmel sichtbaren Wunderzeichen deuten - von Maximilian in der Endredaktion durchgestrichen! Zum anderen ist da der kolorierte Holzstich aus dem Jahre 1581 "Germania eilt der von den Osmanen gemarterten Hungaria zu Hilfe" (III/3, Abb. 7), eine allegorische Darstellung der Türkenabwehr, die der Öffentlichkeit im Reich die schwierige Lage Ungarns vor Augen führen und zum Krieg gegen die Osmanen mobilisieren sollte.
Dem Katalogteil des Bandes vorangestellt ist ein Überblick "Österreich und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation nach 1648" von Karl Otmar von Aretin (7-25). Aretin zeichnet hier als "Quintessenz" seiner großen Reichsgeschichte [2] in fünf Abschnitten die letzten eineinhalb Jahrhunderte des Alten Reichs nach. So instruktiv auch dieser Beitrag Aretins ist - er setzt doch andere Akzente als die Ausstellung. So spielt etwa der Verlust Schlesiens im Katalogteil keine Rolle, während Aretin die Rückgewinnung dieses Landes als das die Politik der Habsburger seit 1740 bestimmende Ziel identifiziert. Überhaupt markiert Aretin Wendepunkte sehr viel entschiedener als die Ausstellungsmacher, die stets eher die Ambivalenzen im Blick haben. Vielleicht war diese unterschiedliche Akzentuierung beabsichtigt, doch der Geschlossenheit des Bandes hätte eine genauere Abstimmung dieses Beitrags mit der Ausstellungskonzeption gut getan.
Insgesamt ist, wiewohl mit Spanien eines der "Prunkzimmer" des Hauses Österreich nahezu vollständig außer Acht bleibt, ein anregendes Kaleidoskop des spannungsvollen und komplexen Verhältnisses Österreichs zum Reich entstanden. Auch wenn man sich schon ein wenig auskennt, wird man auf vieles Neue aufmerksam, im Detail wie in der Deutung. So wird z.B. deutlich, dass das Reich seit der Wende zum 18. Jahrhundert auch für das Kaiserhaus seine Funktion als Legitimationsquelle für die Sonderstellung Österreichs immer mehr verlor - bis es in seiner Schlussphase nicht einmal mehr als Legitimationsquelle für das Kaisertum geschätzt wurde.
Anmerkungen:
[1] So Leopold Auer, der Direktor des Haus-, Hof- und Staatsarchivs, in seinen einleitenden "Gedanken zur Ausstellung", 3-5, hier 5.
[2] Das Alte Reich 1648-1806, 4 Bde., Stuttgart 1993-2000.
Christine Roll