Uwe Grieme / Nathalie Kruppa / Stefan Pätzold: Bischof und Bürger. Herrschaftsbeziehungen in den Kathedralstädten des Hoch- und Spätmittelalters (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte; Bd. 206), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004, 318 S., ISBN 978-3-525-35858-0, EUR 45,00
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Die Herrschaft der mittelalterlichen Bischöfe über ihre Kathedralstädte war fast durchweg umstritten: Das meist adlig besetzte Domkapitel behauptete seine Ansprüche, die Bürgerschaft der Städte pochte auf ihre Eigenständigkeit gegenüber Bischof und Domkapitel, und vollends der regionale Adel konnte sich zum Widerpart nicht nur des Bischofs, sondern auch des Domkapitels und der Kathedralstädte entwickeln. Diese undurchsichtige Gemengelage einander widerstreitender Interessen hat seit jeher das Interesse der Forschung auf sich gezogen. Dabei ging und geht es im Kern nach wie vor um Einzelstudien, während Vergleichendes nur selten gewagt wird, obwohl vergleichbare Vorgänge allenthalten mit Händen zu greifen sind.
In diesen Zusammenhang gehört der vorliegende, durchweg gelungene Sammelband, dem lediglich eine sachliche Zusammenfassung und ein Register fehlen. Die Zusammenfassung hätte die Chance geboten, das Vergleichbare herauszuarbeiten und stärker zu akzentuieren, als es ein jeweils einzeln stehender Beitrag vermag. In gewisser Beziehung übernimmt der einleitende Beitrag Helmut Flacheneckers über die Rolle der Bischofsstädte die Funktion der Klammer um die folgenden Einzelstudien.
Behandelt werden vorwiegend nord- und mitteldeutsche Bistümer und Bischofsstädte, ergänzt einige wenige weiter entfernt liegende Beispiele: Paderborn (Sascha Käuper), Minden (Nathalie Kruppa), Bremen (Elke Freifrau von Boeselager), Verden (Arend Mindermann), Hildesheim (Stefan Petersen), Lübeck (Christian Ratdke), Halberstadt (Uwe Grieme), Magdeburg (Stefan Pätzold), Breslau (Ewa Wółkiewicz), Płock (Leszek Zygner) und Ermland (Marc Schmidt). Stichwörter aus den Aufsatztiteln beschreiben die behandelten Gegenstände näher. Da ist von "Aufstand" und "Emanzipation" die Rede, von "Macht" und "Kirchenkampf", von "Auseinandersetzungen" und "Konflikten", aber auch - weniger spektakulär - von "Beziehungen" oder "Stellung und Rolle". Sollte es also unterschiedliche "Beziehungsmodelle" gegeben haben?
Schaut man etwas näher hin, dann wird man schnell der Gemeinsamkeiten gewahr, die die recht konsequent durchgehaltene Themenstellung für die einzelnen Aufsätze mit sich bringt. Die eingangs erwähnten unterschiedlichen Interessen unterschiedlicher Gruppen zu einem immer wieder neu zu bestätigenden Ausgleich zu bringen, ist das durchgehende Thema aller Aufsätze. Der Ausgleich gelingt unterschiedlich gut und ist unterschiedlich haltbar. Immer haben die Ausgleichsversuche Kompromisscharakter und schaffen deswegen nicht selten in sich bereits den Ausgangspunkt für eine nächste Auseinandersetzung. Stichworte müssen genügen: Die Emanzipation der Stadt vom Stadtherrn, einschließlich der Gewährung eines Rates, des Rückzuges des bischöflichen Stadtherrn beziehungsweise seines Vogtes aus dem Rat, das Aufkommen eines Siegels, das Befestigungsrecht und so weiter sind ein wichtiges Problemfeld. Ein anderes betrifft die Organisation der Seelsorge und des Schulwesens innerhalb der Kathedralstädte und den Einfluss des Bischofs, aber auch des Domkapitels darauf. Die Frage, ob solcherlei Konflikte am Orte oder - nach Kirchenrecht - gegebenenfalls am Papsthof entschieden werden sollten, zeigt das Aufeinandertreffen verschiedener Rechtspraktiken und -auffassungen.
Wie jeder gut gelungene Sammelband weist auch dieser über sich hinaus. Desiderate werden deutlich, was angesichts der vermeintlich gut durchforschten Gegenstände überraschend sein könnte, wenn man darin nicht eine durchaus sinnvolle Veränderung von Forschungsansätzen sehen könnte. Der außerordentlich klar strukturierte Beitrag von Pätzold über Magdeburg zeigt, dass auch in den Auseinandersetzungen von Bischof und Bürgern ein wesentlicher Anlass für die Verschriftlichung von Geschichte zu suchen ist. Andere Beiträge zeigen, dass gleiche Auseinandersetzungen anderen Ortes vor allem das Prozessschrifttum massiv vermehren. Zu suchen wäre - ohne dass das in diesem Band systematisch geschehen kann - deswegen wohl auch nach Ansätzen einer Intensivierung juristischer Bildung in Kreisen der jeweiligen Stadträte, aber auch des Domkapitels und der bischöflichen Beamten. Werden im Konflikt graduierte Juristen im Stadtrat oder im Domkapitel gebraucht? Intensiviert sich die Tätigkeit der bischöflichen Gerichte? Wann tritt der Typ des kirchenrechtlich gebildeten, nicht notwendig theologisch herausragenden Bischofs deutlich in den Vordergrund? Wie verhält es sich angesichts der Konfrontationen mit dem Vordringen Bürgerlicher in die Domkapitel? Das sind Fragen, die über das Thema des Sammelbandes hinausweisen. Sie machen aber gleichzeitig die Qualität dieses Bandes deutlich: neue Fragen aufzuwerfen, indem er einige ältere überzeugend beantwortet. Die Arbeit des Langfristprojektes Germania Sacra am Max-Planck-Institut für Geschichte hat wieder einmal ein sehens- und lesenswertes Resultat hervorgebracht.
Thomas Vogtherr