Jörg Engelbrecht / Stephan Laux (Hgg.): Landes- und Reichsgeschichte. Festschrift für Hansgeorg Molitor zum 65. Geburtstag (= Studien zur Regionalgeschichte; Bd. 18), Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2004, 448 S., ISBN 978-3-89534-518-0, EUR 34,00
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Wie können Landes- und Reichsgeschichte miteinander vermittelt werden? Diese Frage schwebt unausgesprochen über den 18 Beiträgen der Festschrift, die Hansgeorg Molitor zur Emeritierung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf gewidmet wurde. Die Herausgeber haben diesen Titel gefunden, der die beiden Ebenen historischen wie historiographischen Handelns additiv nebeneinander setzt, weil die "wissenschaftliche[n] Interessen" des zu Ehrenden "stets zwischen Landes- und Reichsgeschichte oszillieren" (9). Welche methodische Konsequenzen erwachsen aus der Verbindung beider "Räume" [1], und wie wirkt sich das in der Forschungspraxis aus? Solche Frage drängen sich auf - im Nachgang der Diskussion über das Verhältnis von Struktur- und Alltags-, von Makro- und Mikrogeschichte. [2] Allzu selten wird über die Art und Weise, wie die Ebenen einander beeinflussen, systematisch reflektiert. Deshalb wäre eine Auswertung unter dem Titel des Bandes [3] dergleichen zu erwarten oder zu erhoffen gewesen. Leider haben sich die Herausgeber dieser Mühe nicht unterzogen oder unterziehen können. So bleibt es dem Leser nicht erspart, aus dem reichen empirischen Material der Beiträge selbst eine Antwort auf die oben gestellten Fragen zu finden.
Jörg Engelbrecht behandelt einleitend das Rhein-Maas-Gebiet als grenzüberschreitenden Kulturraum, indem er den Einwirkungen der "großen Politik" zwischen frühem Mittelalter und Ostererweiterung der EU 2004 auf die Region nachgeht. Heinz Finger zeigt auf, wie sich der Adventus ("Blijde Inkomst") der Grafen von Brabant verfassungsrechtlich interpretieren lässt. Auf der Grundlage eines Heiratsvertrags aus Kempen 1546 analysiert Leo Peters machtpolitische Fragen der Reformationszeit, indem er die Viten der Unterzeichner skizziert.
Horst Rabe entwirft ein Panorama der geistlichen Reichsstände in den Jahren 1548 bis 1551. In seinem Beitrag sind die Bezüge zwischen Reichs- und Landesgeschichte am deutlichsten zu greifen, denn kleine Kurskorrekturen in der jeweiligen landesherrlichen Haltung zur Konfessionsfrage hingen von der Stellung zum Kaiser ab. Im Übrigen wird an Rabes Beitrag auch deutlich, warum es so schwer fällt, die beiden Ebenen gleichermaßen im Blick zu haben. Der Beitrag zeichnet sich durch eine umfassende Kenntnis der Literatur auf beiden Ebenen aus. Dergleichen ist heute nicht immer zu erwarten. Einen Dunkelmännerbrief zum Regensburger Religionsgespräch 1601 wertet Paul Münch als Quelle zur Konfessionalisierung aus.
Olaf R. Richter schildert die Implikationen des Konfessionswechsels von Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm 1614. Der längste Beitrag des Bandes stammt von Thomas Brockmann, der auf 52 Seiten die Stellung des Protestantismus im Erzherzogtum Österreich 1619/20 untersucht. Auch hier liegt wiederum die Beschränkung auf einer kurzen Zeiteinheit und auf ein Territorium vor. Johannes Burkhardt geht der zählebigen Legende von der landesherrlichen Souveränität nach 1648 nach. Die Hochzeit der Dorothea von Pfalz-Neuburg im Spiegel eines Reisetagebuchs ist Gegenstand des Beitrags von Barbara Schildt-Specker. Clemens von Looz-Corswarem stellt die kurzzeitige Präsenz der Trappisten in Düsseldorf bis 1803 dar.
Ein seltsames Phänomen behandelt Fritz Dross: den Düsseldorfer "Blitzableiter-Aufruhr" 1782/83. Dahinter verbirgt sich das Aufeinandertreffen von moderner Technik und Volksglauben im Spiegel aufgeklärter Publizistik. Ottfried Dascher geht dem Schicksal der Düsseldorfer Gemäldegalerie in der Säkularisationszeit nach. Christine Roll und Heide Stratenwerth edieren aus der gleichen Zeit Briefe des A. F. von Wessenberg. Aufmerksamkeit verdient Stephan Laux für den Beitrag über das Napoleon-Patrozinium in Neersen bei Mönchengladbach zwischen 1803 und 1856. Makro- und Mikrogeschichte gehen hier gekonnt eine Symbiose ein. Die Ereignisse in Neersen werden in größere Zusammenhänge eingereiht und auch mit anderen Orten in der französischen Einflusssphäre verglichen. Herbert Schmidt dokumentiert, wie Landesbaurat Prager in Düsseldorf von NS-Größen denunziert wurde und wie schwer es ihm fiel, nach 1945 seine Peiniger zur Rechenschaft zu ziehen. Kurt Düwell entwirft auch anhand biografischer Details eine Skizze der Flüchtlings- und Vertriebenenpolitik in Nordrhein-Westfalen nach 1946.
Lehren für die Vermittlung der Ebenen Reichs- und Landesgeschichte können aus den vorliegenden Beiträgen mittelbar gezogen werden. Erstens drängt sich das "Exemplum" auf. Am Beispiel eines Ereignisses, Sachphänomens oder einer Gemeinde lässt sich die Verschränkung am besten aufzeigen. Zweitens: wahrscheinlich spricht manches dafür, kurze Zeitabschnitte für solche exemplarische Betrachtungen zu wählen. Drittens wird der Rezensent die Vermutung nicht los, dass alle Autoren eher unterschwellig eine Option für die eine oder andere Seite mitbringen. Das Pendel schlägt dabei vor allem für frühere Epochen leichter zu Gunsten der Makroebene aus. Dies hat viertens wahrscheinlich damit zu tun, dass Reichsgeschichte (beziehungsweise Nationalgeschichte) klarer definiert ist als Landesgeschichte. Diese schwankt von der Territorial- bis zur Orts-, sogar Ortsteilgeschichte. Je kleiner die betrachtete Einheit ist, umso schwerer fällt die Rückbindung an die Makrogeschichte. Umso höher ist daher Laux' Beitrag zu bewerten.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Michael Maurer (Hg.): Aufriß der Historischen Wissenschaften, Bd. 2: Räume, Stuttgart 2001.
[2] Jürgen Schlumbohm (Hg.): Mikrogeschichte - Makrogeschichte. Komplementär oder inkommensurabel? (= Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft; Bd. 7), Göttingen 1998.
[3] Der Titel scheint sich für Festschriften besonders gut zu eignen, denn 1995 erschien die Festschrift für Alois Gerlich unter dem selben Titel: Wilfried Dotzauer / Wolfgang Kleiber / Michael Matheus / Karl-Heinz Spiess (Hg.): Landesgeschichte und Reichsgeschichte. Festschrift für Alois Gerlich zum 70. Geburtstag (= Geschichtliche Landeskunde; Bd. 42), Stuttgart 1995.
Wilfried Reininghaus