Włodzimierz Borodziej / Hans Lemberg (Hgg.): "Nasza ojczyzna stała się dla nas obcym państwem...". Niemcy w Polsce 1945-1950. Wybór dokumentów. Tom II: Polska Centralna. Województwo Śląskie. Auswahl und Bearbeitung der Dokumente Ingo Eser und Jerzy Kochanowski, Warszawa: Wydawnictwo Neriton 2000, 587 S., ISBN 978-83-86842-80-3
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Włodzimierz Borodziej / Hans Lemberg (Hgg.): "Unsere Heimat ist uns ein fremdes Land geworden...". Die Deutschen östlich von Oder und Neiße 1945-1950. Dokumente aus polnischen Archiven. Bd. 2: Zentralpolen. Wojewodschaft Schlesien (Oberschlesien) (= Quellen zur Geschichte und Landeskunde Ostmitteleuropas; Bd. 4/II), Marburg: Herder-Institut 2003, VIII + 768 S., 1 Karte, ISBN 978-3-87969-294-1, EUR 75,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
Micha Brumlik: Wer Sturm sät. Die Vertreibung der Deutschen, Berlin: Aufbau-Verlag 2005
Włodzimierz Borodziej / Claudia Kraft: "Unsere Heimat ist uns ein fremdes Land geworden...". Die Deutschen östlich von Oder und Neiße 1945 - 1950. Dokumente aus polnischen Archiven. Bd. 1: Zentrale Behörden. Wojewodschaft Allenstein, Marburg: Herder-Institut 2000
Ekaterina Makhotina / Ekaterina Keding / Włodzimierz Borodziej u.a. (Hgg.): Krieg im Museum. Präsentationen des Zweiten Weltkriegs in Museen und Gedenkstätten des östlichen Europa, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015
Hans Lemberg (Hg.): Universitäten in nationaler Konkurrenz. Zur Geschichte der Prager Universitäten im 19. und 20. Jahrhundert, München: Oldenbourg 2003
Włodzimierz Borodziej / Maciej Górny: Der vergessene Weltkrieg. Europas Osten 1912-1923. Aus dem Polnischen von Bernhard Hartmann, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2018
Im zweiten Band des polnisch-deutschen Editionsprojekts zu den Deutschen im Polen der Nachkriegszeit sind die Dokumentenauswahl und Darstellungen zu zwei Betrachtungsgebieten zusammengefasst, die sich durch einen besonders hohen Komplexitätsgrad der Nationalitätenbeziehungen auszeichnen. "Oberschlesien" im Sinne der Edition umfasst die vormalige autonome Wojewodschaft Schlesien der Zweiten Polnischen Republik, den ehemaligen Regierungsbezirk Oppeln sowie einige Kreise des Dąbrowa-Reviers, die 1945/46-1950 in der Wojewodschaft Schlesien zusammengefasst waren. Unter die Kategorie "Deutsche" fallen deshalb sowohl Angehörige des Deutschen Reiches, deren deutsche Nationalität entweder unstrittig war oder die als Polnischstämmige in der zeitgenössischen polnischen Diktion als "Autochthone" bezeichnet wurden, ebenso wie Personen, die vor Kriegsausbruch die polnische Staatsangehörigkeit besessen hatten und während der Besatzung in eine der vier Gruppen der Deutschen Volksliste eingetragen worden waren. Auch in den für die Dokumentenauswahl ausgesuchten zentralpolnischen Gebieten der Wojewodschaften Krakau, Lodz und Warschau befanden sich nach 1945 nicht nur alteingesessene Deutsche mit vor dem Krieg polnischer Staatsangehörigkeit, sondern ebenso Reichsdeutsche, die als Vertreter der Besatzungsverwaltung oder als Bombenevakuierte ins Land gekommen waren, sowie Volksdeutsche, die während des Krieges aus dem Baltikum, aus Rumänien, Bessarabien, der Dobrudscha, Bosnien, dem Elsass oder Ostpolen in die vom Deutschen Reich annektierten Gebiete umgesiedelt worden oder als Flüchtlinge dorthin gelangt waren. Diesen heterogenen deutschen Bevölkerungsgruppen stand eine ebenso gemischte polnische Bevölkerung gegenüber, die sich in Zentralpolen und Ostoberschlesien vorwiegend aus Einheimischen, ansonsten aus Umsiedlern sowie aus den von der UdSSR annektierten Ostgebieten der Zweiten Republik stammenden Zwangsaussiedlern zusammensetzte.
Die polnische Nationalitätenpolitik unterschied nach den beiden Gruppen der ehemaligen polnischen Staatsangehörigen und Mitgliedern der Deutschen Volksliste (DV), die sich einem gerichtlichen Rehabilitationsverfahren zu unterziehen hatten, und den "Autochthonen", die als Reichsangehörige eine nationale Verifizierung durchlaufen mussten, um ihre Zugehörigkeit zur polnischen Nation zu beweisen und damit einen Anspruch auf die polnische Staatsangehörigkeit zu erwerben. Die Volksdeutschen aus nichtpolnischen Gebieten wurden dagegen in der Regel den deutschen Reichsangehörigen gleichgestellt und zusammen mit diesen in die Besatzungszonen ausgesiedelt. Grosso modo lässt sich sagen, dass es eine Reziprozität zwischen der deutschen Nationalitätenpolitik während und der polnischen nach dem Krieg gab: Eine Einstufung in Gruppe I oder II der DV bedeutete nach dem Krieg fast sicher Enteignung und Aussiedlung, während Angehörige der Gruppen III und IV normalerweise problemlos rehabilitiert wurden. Allerdings gab es von diesem Muster zahlreiche Ausnahmen. Auch die Verifizierung folgte keinem allgemein verbindlichen Schema. Ingo Eser verweist zu Recht darauf, dass im Oppelner Gebiet ein Interesse daran bestand, eine möglichst große Anzahl von Polnischstämmigen zu verifizieren und dadurch den polnischen Anspruch auf das Gebiet ideologisch zu untermauern. Deshalb wurden in diesem Gebiet die Verifizierungskriterien relativ großzügig angewandt. In der Praxis jedoch unterlag die jeweilige Nationalitätenpolitik nur bedingt solchen politisch-ideologischen Vorgaben. So bestimmten in der Realität zahlreiche Faktoren den Verlauf von Rehabilitierung, Verifizierung und antideutschen Maßnahmen, die sich je nach Region unterschieden. Für die polnischen Behörden spielten dabei die Landreform und die Aufsiedlung eine kaum zu unterschätzende Rolle: Landarme Umsiedler aus Zentralpolen und besonders Aussiedler (Vertriebene) aus Ostpolen waren auf Kosten der Deutschen mit Wohn- und Arbeitsstätten und mit Inventar auszustatten.
Auf den Umgang der Polen mit den Deutschen hatten zudem die polnischen Kriegserfahrungen großen Einfluss. Hatten Polen besonders unter der deutschen Besatzungsherrschaft gelitten, wurde ihre Verhaltensweise oft von Rachegelüsten geleitet, was besonders im Zusammenhang mit den Atrozitäten in einigen der für Deutsche eingerichteten Sammel- und Arbeitslagern nachweisbar ist. Die nationale Verifizierung beziehungsweise Rehabilitierung und die Ansprüche der Um- und Aussiedler gerieten des Öfteren in Konflikt. Vor allem gegen Ende der massenhaften Aussiedlungen schob sich der Bedarf an deutschen Fach- und Arbeitskräften in den Vordergrund und verhinderte eine reibungslose Fortsetzung der Aussiedlungen.
Die Dokumentenauswahl folgt dem im ersten Band festgelegten Prinzip einer innerhalb des jeweiligen Betrachtungsgebiets chronologischen Anordnung bei breitestmöglicher Streuung der Quellen nach Typen sowie behördlicher und geografischer Provenienz. Diesem Auswahlgrundsatz ist geschuldet, dass die Lektüre der Dokumente selten die Rekonstruktion eines größeren Zusammenhanges ermöglicht, sondern eher Schlaglichter auf einzelne Aspekte der Thematik wirft (vielleicht mit Ausnahme der Dokumente 171-180, 182 und 185, die eine zusammenhängende, nur durch das Chronologieprinzip durchbrochene Reihe bilden). Die unvermeidliche chronologische und thematische Begrenzung der Dokumentenauswahl hat zur Folge, dass die historischen Kontexte - die in die weitere Vergangenheit zurückreichende demografische und nationalitätenpolitische Situation der Betrachtungsgebiete, Krieg und Besatzung, nicht zuletzt auch der Gesamtzusammenhang der volkspolnischen Gesellschaftspolitik nach 1945 - in der Dokumentenauswahl außen vor bleiben.
Um so größere Verantwortung liegt bei den Bearbeitern, die in ihren Einleitungen die fehlenden Kontexte rekonstruieren müssen. Das gelingt für die Zeit bis zum Kriegsende auf der Grundlage der reichhaltigen Forschungsliteratur recht gut, für die Zeit nach 1945 nur mit gewissen Einschränkungen. Insbesondere werden die Siedlungspolitik und der gesellschaftspolitische Umbau des Landes zwar gestreift, aber ihr Einfluss auf die Minderheitenpolitik der Lubliner Polen und deren konkrete Ausgestaltung in den neuen Territorien nicht gebührend herausgearbeitet. Es ist auffällig, dass die Einleitungen kaum auf einzelne Dokumententexte der Edition selbst verweisen. Dies verdeutlicht möglicherweise ein grundsätzliches Problem des Projekts: Handelt es sich doch um eine Auswahl aus seriellen oder Massenquellen, deren Aussagekraft sich weniger anhand des einzelnen Textes erschließt als vielmehr in der synthetisierenden Auswertung größerer Quellengruppen oder -reihen.
Gleichwohl gilt: Der Versuch, sich mit dem schwierigen Thema mithilfe einer Dokumentenedition auseinander zu setzen, dabei wissenschaftliche Positionen beider Länder zu überprüfen und womöglich einander anzunähern, ist unbestritten verdienstvoll. Die Dokumentation ersetzt weder die Kenntnis der in den vergangenen Jahren erfreulicherweise auf beiden Seiten der Oder beachtlich angewachsenen Fachliteratur zum Thema noch eine selbstständige, vertiefende Arbeit an den archivalischen Quellen, aber sie bietet einen Fundus an Einblicken zu bislang eher vernachlässigten Aspekten des Themas und vielfache Anregungen für die weitere Forschung. Sie kann bei unvoreingenommener Lektüre gewiss auch zur Versachlichung der neuerdings wieder unerwartet kontrovers geführten Diskussion über Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg beitragen. Dies macht die Dokumentation zum Ausgangspunkt jeder zukünftigen ernsthaften Beschäftigung mit den deutsch-polnischen Beziehungen nach 1945.
Abschließend sei dennoch eine kritische Anmerkung zur Qualität von Übersetzung und Redaktion erlaubt. Wenn in einzelnen Fällen die Übersetzung so unverständlich ist, dass erst der Griff zum Original den Sinn erschließt, ist das kein gutes Zeichen. [1] Die Benutzung quellennaher, zeitgenössischer Begriffe wie "Volksmacht" (władza ludowa) im Darstellungstext mag ja Gepflogenheiten der polnischen Geschichtswissenschaft entspringen, bedarf aber in der deutschen Übersetzung dringend der Erläuterung. Überhaupt sollte die Übersetzung syntaktisch und lexikalisch nicht so eng am Original kleben, selbst wo bei den Dokumenten eine genauestmögliche Übersetzung anzustreben ist. Hier wäre eine sorgfältigere Endredaktion und Glättung des Übersetzungstextes notwendig. Schließlich: Die Entscheidung der Herausgeber, durchgehend polnische und deutsche Ortsnamen abzudrucken, ist mehr als unglücklich. Spätestens bei der soundsovielten Wiederholung von "Warszawa/Warschau" fragt sich der geneigte Leser: Was soll das? Zudem ist die Verwendung von erst durch die NS-Verwaltung ersonnenen treudeutschen Ortsnamen ärgerlich und verkehrt die political correctness in ihr Gegenteil. Das auch als Namenskonkordanz fungierende Ortsregister wäre zum Zwecke der Identifizierung und Auffindung von Orten in beiden Sprachen völlig ausreichend gewesen.
Anmerkung:
[1] Siehe zum Beispiel den falschen relativen Anschluss im Quellenzitat auf Seite 21: "Dagegen folgen die unteren Schichten blind der Propaganda [...] um seine antipolnischen Schritte zu realisieren" mit der Parallelstelle in der Originalfassung (23); Seite 48, deutsche Fassung, Wechsel in Konjunktiv I innerhalb der direkten Rede; Seite 26 "Majorek" statt "Madajczyk" und andere.
Andreas R. Hofmann