Horst Bredekamp / Volker Reinhardt / Philipp Zitzlsperger u.a. (Hgg.): Totenkult und Wille zur Macht. Die unruhigen Ruhestätten der Päpste in St. Peter, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2004, 255 S., 42 s/w-Abb., ISBN 978-3-534-17224-5, EUR 49,90
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Peter Burschel / Mark Häberlein / Volker Reinhardt (Hgg.): Historische Anstöße. Festschrift für Wolfgang Reinhardt zum 65. Geburtstag am 10. April 2002, Berlin: Akademie Verlag 2002
Horst Bredekamp: Leibniz und die Revolution der Gartenkunst. Herrenhausen, Versailles und die Philosophie der Blätter, Berlin: Wagenbach 2012
Volker Reinhardt: Die Geschichte der Schweiz. Von den Anfängen bis heute, München: C.H.Beck 2011
Die jüngste Publikation über die Grabdenkmäler der neuzeitlichen Päpste kleidet sich in das Gewand eines spannenden Kriminalromans. In angenehm niedrigschwelliger Form werden fundierte Erkenntnisse des Forschungsunternehmens "REQUIEM - Die römischen Papst- und Kardinalsgrabmäler der frühen Neuzeit" präsentiert: Papstgrabmäler als Spielsteine, die auf dem Schachbrett der Macht nach bestimmten Strategien verschoben werden.
Seit 2001 sind die Anstrengungen zur Erforschung der Papstgrabmäler beträchtlich vermehrt und in zwei Forschungsprojekten gebündelt worden: Während sich das Aachener Projekt dem Korpus anhand von Einzelstudien nähert und dabei den memorialen Aspekt der Kunstwerke betont [1], nimmt das REQUIEM-Projekt nicht nur die frühneuzeitlichen Grabmäler der kurialen Würdenträger selbst, sondern die gesamte soziale Situation von Kunden und Produzenten dieser "Ware" in den Blick. [2] Nicht so sehr die theologischen Implikationen des Grabmales als (Ge-)Denkmal stehen im Vordergrund der Betrachtung, vielmehr die Wirkung des strategisch eingesetzten Kunstwerkes auf das umgebende soziale Gefüge: Monumente erschaffen die Identität der Gruppe, die sie zu erinnern vorgeben, Kunstwerke sichern den Status und die Legitimation der auftraggebenden Partei. [3]
Über Ziel und Anspruch informiert die ausführliche und lesenswerte Einleitung der Herausgeber: Das Werk möchte nicht in erster Linie neue Forschungsergebnisse präsentieren, sondern dem interessierten Publikum die Grundzüge des Projekts in Form essayistischer Einzelstudien nahe bringen. Dem trägt bereits optisch die Verwendung von End- statt Fußnoten Rechnung, wobei die Ausführlichkeit des wissenschaftlichen Apparates schwankt. Allein die spärliche Bebilderung steht zu der sonst gelungenen Präsentation in grobem Kontrast.
Dreizehn Beiträge von elf verschiedenen Autorinnen und Autoren analysieren vierzehn Papstgrabmäler aus vier Jahrhunderten, von denen sich nur die Hälfte tatsächlich in St. Peter befindet.
Der erste Beitrag von Philipp Zitzlsperger erkundet mit der "Sehnsucht nach Unsterblichkeit" nicht nur das Grabmal Sixtus' IV., sondern auch ein grundsätzliches Dilemma, das der Kunstgattung des Papstgrabmals eingeschrieben ist: Durch welche Darstellungsformen lässt sich das Skandalon der Vergänglichkeit selbst des Stellvertreters Christi auf Erden entschärfen? Am Grabmal des Rovere-Papstes lenken die Reliefbilder der Artes Liberales wie auch die Liegefigur durch ihre Bezüge auf neapolitanische und französische Lösungen den Blick hin zum unvergänglichen Amt - Antonio Pollaiuolo schuf hier eher eine monumenthafte Effigies denn ein Grabmal. Dennoch darf die ungewöhnliche Form eines frei aufgestellten Denkmales nicht über den memorialen Kontext hinwegtäuschen, in den das Grabmal einst in der Marienkapelle der alten Peterskirche eingebunden war.
Eine weitere Kapelle im Petersdom sollte ursprünglich auch das Grabmal für Julius II. beherbergen - oder doch nicht? Zwei Beiträge nähern sich von unterschiedlichen Seiten der Kontroverse um das Juliusgrabmal, die vor allem auf widersprüchliche Angaben der Künstlerbiografen Vasari und Condivi zurückgeht. Die beiden Studien von Bram Kempers und Horst Bredekamp sind ein Paradebeispiel dafür, welch unterschiedliche Ergebnisse die Interpretation desselben Befundes bei unterschiedlicher Gewichtung der Quellen zeitigt: Während Kempers die Idee von Michelangelos ursprünglich geplanten, gigantischen Freigrabmal durch die Frühdatierung einer Wandgrabmal-Skizze als Erfindung der Künstlerbiografen zu entlarven versucht, stützt Bredekamp die traditionelle Deutung der kontinuierlich minimalisierten und in S. Pietro in Vincoli zu Ende gebrachten Grabmalslösung unter anderem durch eine überzeugend vorgetragene Spätdatierung der besagten Zeichnung, aber auch durch die Berücksichtigung der Quellenperspektive: Die paganen Elemente des Grabmals treten umso deutlicher vor dem römischen Milieu der Jahrhundertmitte hervor, dem Entstehungszeitpunkt der Michelangelo-Viten.
In eine ähnliche Richtung deutet die amüsant zu lesende Analyse des Grabmals Papst Pauls III. durch Philipp Zitzlsperger und Andreas Gormans: Auch hier werden in der eingehenden Beschreibung und Deutung der Pluvialereliefs an der Sitzfigur des Papstes die imperialen Bezüge herausgearbeitet. Einen Sonderfall stellt das Grabmal für Hadrian VI., dessen akribisch recherchierte Hintergründe Jutta Götzmann präsentiert. Seine Errichtung hatte sich der niederländische Papst angesichts der desaströsen Finanzlage der Urbs und aus eigenen asketischen Neigungen heraus verboten. Der Kardinalnepote Enckenvoirt erkannte diese Anweisung als massive Verletzung der von einem Papst zu erwartenden mäzenatischen Tätigkeit und vergab folgerichtig selbst den Auftrag für das Grabmal seines Gönners in S. Maria dell'Anima, nicht ohne durch die Wahl der Form und des Materials einen engen Bezug zum eigenen Grabmal in der gleichen Kirche herzustellen.
Der folgende Beitrag Daniel Büchels zum Grabmal Pauls IV. stellt die chronologische Reihenfolge wieder her - und den Papst und seine Familie als mafiös agierende Bande interessegeleiteter Machthaber dar. Doch gerade die bunt schillernde Darstellung der Familiengeschichte lässt umso nachhaltiger den gesellschaftlichen Graben erahnen, den ein Grabmal zu überbrücken vermochte. Das Monument für Paul IV. wurde erst durch einen Nachfolger im Amt, Pius V., in der römischen Dominikanerkirche S. Maria sopra Minerva vollendet, wo es vor allem die Bemühungen des Papstes um die Förderung der Inquisition betont. Auch die Papstgrabmäler in S. Maria Maggiore haben das Ziel, ihre durch Statuen und Reliefs verewigten Päpste als Vorkämpfer für den Glauben anzupreisen, auch hier wurden die Grabmäler in Auftrag gegeben oder vollendet durch einen Nachfolger im Papstamt, der sein eigenes Grabmal in eine enge Beziehung zu dem des Vorgängers setzte. Volker Reinhardt spürt diesen Beziehungen am Beispiel der Grabmäler Sixtus V. und Pius V. in der Cappella Sistina nach, Michail Chatzidakis nimmt die Monumente für Paul V. und Clemens VIII. in der Cappella Paolina in den Blick. Die absichtliche Kontrastierung zwischen der demütig-wohl-wollend wirkenden Papsteffigies und deren kleinteilig geschilderten, doch monumental-überzeitlich komponierten Arbeitszeugnissen in Stein erhellt der erste Beitrag, während Chatzidakis die um das wundertätige Bild der Salus Populi Romani kreisende Einbindung der Monumente als ein mariologisches Ensemble entschlüsselt.
Von der Rehabilitierung der Barberini, zu der das Grabmal für Urban VIII. von der Hand Berninis den Anstoß gab, berichtet der mitreißende Beitrag von Carolin Behrmann. Das erste der neu errichteten Grabmäler in der vollendeten Peterskirche zeigte seine rhetorische Wirkung bei Innozenz X., dem Nachfolger des Barberini-Papstes: Hier wurde mit künstlerischen Mitteln ein Status inszeniert, den die Aufsteigerfamilie der Barberini vor der Amtszeit Urbans nicht besaß; die im Exil lebenden Nepoten wagten nach der gelungenen "Vernissage" des Kunstwerks die Rückkehr nach Rom. Bernini war auch der Schöpfer des Grabmals für Papst Alexander VII., das noch während der Amtszeit dieses Papstes und unter Berücksichtigung seiner formalen und ikonographischen Vorstellungen vollendet wurde. In seiner Analyse zeichnet Arne Karsten die Transformation, ja Sublimierung der Ereignisse einer unglücklichen, von Krisen geprägten Amtszeit in den selten gewählten Allegorien des Monuments nach.
Ähnlich wie im Beitrag zu Hadrian VI. beschäftigen sich auch die folgenden beiden Aufsätze mit Auftraggebern aus dem Umfeld der Päpste: Während Alexander VIII. einer der letzten nepotistisch agierenden Päpste seiner Zeit war, wie es das "Familienbild mit Papst" am Sockel seines Grabmals in St. Peter suggeriert, so lehnte Benedikt XIV. ein halbes Jahrhundert später rigoros die Ressourcen verschlingende Praxis der Verwandtenförderung ab, verbildlicht in der Abwendung der Allegorie der Uneigennützigkeit von der teuflischen Versuchung des Geldes. Aufschlussreich zeichnen die beiden spannenden Aufsätze von Arne Karsten und Almut Goldhahn nach, wer hier ein Interesse an der jeweiligen Darstellung hatte: Während das Monument für Alexander von seinem Neffen Kardinal Pietro Ottoboni in Auftrag gegeben wurde, dessen Porträt im erwähnten Sockelbildnis ebenfalls auftauchte, war im Fall Benedikts ein Kollektiv aus Kardinälen und Diplomaten tätig, die das Monument zu einem Fanal gegen die Politik des Folgepapstes Clemens XIII. gerieten ließen.
In wenigen Fällen spielte die Beauftragung eines bestimmten Künstlers eine derart wichtige Rolle wie beim Grabmal Pius' VII., das dem dänischen Protestanten Thorwaldsen anvertraut wurde. Volker Reinhardt zeichnet in lebhaften Farben die politischen Hintergründe nach: Die Amtszeit des Papstes war geprägt durch imperiale Übergriffe Napoleons und durch zunehmende Erosion der Macht des Kirchenstaats. In seiner gewollten Schlichtheit sollte das Monument den reformbereiten Rückbezug des Nachfolgers Petri auf die einenden Grundlagen des Christentums suggerieren.
Die Gesamtheit der Beiträge ergibt eine interdisziplinär verwertbare Sammlung größtenteils beeindruckend fundierter Studien, die sich vor allem interessierten Laien dank der lebendigen und anschaulichen Darstellung unmittelbar erschließen dürfte, aber auch ein wissenschaftliches Publikum durch einen wohltuend erfrischenden, stellenweise jedoch zu grellen Schreibstil zu fesseln vermag. Auf den breiten Adressatenkreis, an den sich der Band in erster Linie richtet, ist wohl auch das Fehlen eines Registers zurückzuführen; unverständlich bleibt in dieser Hinsicht der leicht überhöhte Preis des Bandes bei dürftiger Bebilderung. Symptomatisch ist schließlich der Verzicht auf eine Zusammenfassung der Ergebnisse am Ende des Bandes: Bei einem Sammelband dieser Programmatik müsste ein solches Resümee in einen Ausblick münden, der sich einer Wertung der Situation kaum entziehen könnte - ein Unterfangen, das bekanntlich bereits Gregorovius besorgte.
Anmerkungen:
[1] "Die Papstgrabmäler - Strategien apostolischen Gedächtnisses. Zu Geschichte und Formen der päpstlichen Sepulkralkunst" am Institut für Kunstgeschichte der RWTH Aachen wird geleitet von Andreas Beyer und gefördert von der Fritz Thyssen Stiftung; vgl.http://www.papstgrabmaeler.de
[2] "REQUIEM - Die römischen Papst- und Kardinalsgrabmäler der frühen Neuzeit" am Kunstgeschichtlichen Seminar der Humboldt-Universität zu Berlin und dem Historischen Institut der Universität Fribourg/Schweiz steht unter der Leitung von Horst Bredekamp und Volker Reinhardt und wird gefördert von der Fritz Thyssen Stiftung; vgl. http://www.REQUIEM-projekt.de
[3] Zu diesem Aspekt dürfen die Ergebnisbände einer im letzten Jahr stattgefundenen Tagung am Kasseler Museum für Sepulkralkultur mit Spannung erwartet werden; vgl. vorerst http://www.rodrun.de/creating-identities/page.html
Sylvie Tritz