Horst Bredekamp / Christiane Kruse / Pablo Schneider (Hgg.): Imagination und Repräsentation. Zwei Bildsphären der Frühen Neuzeit (= Kulturtechnik), München: Wilhelm Fink 2010, 362 S., ISBN 978-3-7705-4591-9, EUR 39,90
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In dem Maße, in dem in den letzten Jahren die Forschung zur Wirkkraft der Bilder zugenommen hat, ist auch das Interesse an Theorien der Imaginationskraft gestiegen. Wie aber kommt man, bildtheoretisch gesprochen, von der Einbildungskraft zum faktischen Bild selbst? Die Herausgeber fragen nach den produktiven Prozessen, die etwas Ungeformtes oder Unsichtbares sichtbar und geformt werden lassen: nach jenem In-Beziehung-Setzen von 'Imagination' und 'Repräsentation', wie es im Titel heißt. Wie aber hat man sich deren Interaktionen vorzustellen?
Die Antworten dazu fallen erwartungsgemäß divers aus, und so ist eine Einteilung der Beiträge in 5 Themenblöcke vorgenommen worden: 1) Selbst- und Welterkenntnis, 2) Bildkonzept und Bilderfindung, 3) Bildwirkung, 4) Bildwelten und Textwelten, 5) Bildtechnik - auf die Praktikabilität einer solchen Einteilung komme ich noch.
Einen systematischen Einstieg bietet der Artikel Thomas Leinkaufs, der über den erkenntnistheoretischen Stellenwert des Imaginationsbegriffs bei Giordano Bruno reflektiert. In der dem Band vorangegangen Tagung hatte dieser Beitrag den Abendvortrag gebildet; im Band stiftet er die konzeptuelle Basis, nicht zuletzt, weil auf die Zusammenhänge der frühneuzeitlichen Diskussion zur "aktiven Funktion der Phantasie gerade auch für Platons und Aristoteles' Theorie der Erkenntnis" (18) hingewiesen und gezeigt wird, wie sie zur Voraussetzung von Brunos Theorie der "Verfertigung von Bildern, Zeichen und Ideen" werden konnte: Im Rückgriff auf Aristoteles kommt Bruno zu dem Schluss, dass "wir nichts [erkennen], wenn wir nicht die Phantasmata betrachten". Daran anschließend - und darüber hinausgehend - räumt Bruno der "Flexibilität, Produktivität und Reichhaltigkeit" (24) der menschlichen Imaginations- und Signifikationskraft einen ungewöhnlich hohen Stellenwert ein. [1] Auf welche Weise die frühneuzeitliche Anatomie an Fragen der menschlichen Imaginations- und Wahrnehmungskraft Anteil genommen hat, erläutert dann Tanja Klemm in ihrem Beitrag zu "Dryander, Beregario und Leonardo. Visuelles und taktiles Denken in der 'anatomia sensibilis'". Die Autorin kommt schnell auf den Punkt: "Signifikant ist zunächst, dass Dryander entgegen der überlieferten Wahrnehmungstheorie [...] die sinnlichen Vermögen des Menschen nicht seinen rationalen Fähigkeiten unterordnet. Im Gegensatz bettet er die 'ratio' auf neuartige Weise in den Verbund der Sinne ein." (37) Der Sprung zum nächsten Artikel von Viktoria Tkaczyk ist groß, aber in ihm geht es dann auch gerade um "fliegende Bilder und Gedanken". Ausgangspunkt der Überlegungen ist, mit einigen Autoren des 17. Jahrhunderts die Welt nicht als Bild, sondern als 'Theatrum' sich widerstreitender Bilder (57) zu verstehen, zu dem eine schöpferische Außenperspektive eingenommen werden kann. Tkaczyk greift auf den reichen Wortschatz von Flug- und Schwebemetaphern zurück, wie er u.a. durch die Publikationen sogenannter ars volandi-Literatur propagiert worden war, um diese im Weiteren als barocke Metaphern der Weltwahrnehmung und des Denkens zu verstehen. Zuletzt begegnen sich bei ihr auf diese Weise Descartes und Leibniz - der eine einem körper- und weltlosen Denken, der andere der dynamischen Vorstellung fliegender Gedanken zugetan. Schön wäre es deshalb gewesen, an dieser Stelle Marisa Anne Bass' Text zu "The hydraulics of imagination" zu lesen: "Fantastical fountains in the drawing books of Jacopo Bellini", in dem es noch einmal um flüssige und bewegte Bilder geht, wenngleich diese nicht durch die Luft, sondern im Wasser transportiert werden. Er ist jedoch an späterer Stelle platziert und zeigt dann auf, wie sich die Vorstellung eines belebenden spiritus oder Animalgeists sowohl durch optische wie physiologische Schriften zieht und wie sie sich in den Zeichnungen Bellinis bildhaft niederschlägt.
Dafür beginnt Kapitel II mit einer Diskussion der "Bildkonzepte und Bilderfindungen" bei Alberti (Gerd Blum), wobei der Blick durch geöffnete Türen und Fenster hier als epikureische Metapher der Eröffnung neuer Erkenntnis und 'Aufmerksamkeit' verstanden wird ("Alberti, Lukrez und das Fenster als Bild gebendes Dispositiv"). Er wird gefolgt von einem Beitrag von Peter Schmidt zur "Erfindung des vervielfältigten Bildes im 15. Jahrhundert", mit Betonung des Forschungsdesiderats bezüglich der "Prozesse, im Laufe derer sich die bildlichen Vervielfältigungsmedien ihrer Möglichkeiten bewusst werden und sich auf der Rezipientenseite die Vorstellungen von der Autorität der Bildmedien wandeln" (147)) sowie Matteo Burionis Analyse der perspektivischen Lenkung der Baukörper der Uffizien, die im "Wappen als Nullpunkt der Repräsentation" mündet oder von ihm ausgeht ("Der teleskopische Traum der Uffizien"). Einen Abschluss der eher lose aneinandergereihten Artikel bietet Christina Oberstebrinks Beitrag zur Imaginationstheorie "zwischen Tradition und Innovation" innerhalb der englischen Kunstkritik an der Schwelle zur Moderne. Hier wird die Imaginationskraft als künstlerisches Prinzip vor allem im Kontext poetologischer Kategorien verortet.
Kapitel III ("Bildwirkung") umspannt nur zwei Artikel: Christiane Kruses Diskussion der Theoreme "Imagination, Illusion, Repräsentation" am Beispiel von Marinos "Bildergalerie" sowie einen Beitrag Erika Fischer-Lichtes zur "Repräsentation und Erregung von Affekten. Techniken der Schauspielkunst und der Theatermaschinerie im 17. Jahrhundert". Beide widmen sich der Affekterzeugung via Bild, Text oder Theater. Kruse fragt nach der Reichweite unseres Verständnisses von Bildbetrachtung als Kulturtechnik und versucht darzustellen, wie Bilderkenntnis sich vor allem in der Beobachtung und Interaktion mit dem Gegenstand, d.h. als tatsächliche Erfahrung vollzieht. Auch für Fischer-Lichte ist Affekterzeugung eine Frage der 'Technik', nur richtet sich die Untersuchung in ihrem Fall nicht auf den Betrachter, sondern auf die Bühne und den Schauspieler, d.h. auf eine Semiotik des Theaters, die zur Erregung und zum Ausagieren der Affekte der Zuschauer führt bzw. von vorneherein darauf abzielt.
Kapitel IV ist dem Austausch von "Bildwelten und Textwelten" gewidmet, wenngleich die Überschrift in diesem Fall recht zufällig erscheint. Vielmehr hat Tanja Michalsky einen Beitrag zu "Pieter Bruegels Imagination von Metaphern" geliefert, der sich auf einer semiotischen oder bildpragmatischen Ebene ansiedeln lässt und viel mit der vorausgehenden Technikfrage gemein hat. Denn es wird gezeigt, wie es durch die Kombination verschiedener Sprichwörter und Bildsequenzen in Bruegels Werk zu formalen Analogien und metonymischen Verschiebungen kommt und Zwischenräume eröffnet werden, "in denen damals wie heute Rezipienten ihre Assoziationen entfalten und ihre Deutungen ausbreiten können." (245) Es schließt ein Beitrag Stefan Laubes zu den "Songes drolatiques und die Realität der Dinge" bei Rabelais und Bruegel an, und als letzter Text in diesem Kapitel erscheint Angela Meyer-Deutschs Beitrag zu den "Magnetische[n] Uhren bei Athanasius Kircher, Francis Line und Galileo Galilei", wahrscheinlich weil er sich auf eine Debatte bezieht und man diese als 'Text' versteht. Das erscheint ein wenig unglücklich und wird dem Artikel nicht gerecht, der sich mit der Glaubwürdigkeit empirischer Daten sowie der Frage auseinandersetzt, wie Hypothesen darstellbar seien, sich also auf eine veritable Repräsentationsfrage bezieht.
Im letzten Kapitel (V. "Bildtechnik") schreibt noch einmal Lucas Burkart zu Kircher, und zwar geht es in seinem Beitrag um "Bewegte Bilder - Sichtbares Wissen". Hier lassen sich Verknüpfungen zu den Flugtechniken und Theatermaschinen herstellen, von denen zu Anfang die Rede war, oder eben auch zu Fischer-Lichtes Text, in dem visuelle Effekte auf ihre geplanten Semiosen zurückgeführt werden. Ihm vorgelagert ist Paolo Sanvitos "Darstellung der Proportion und ihre Instrumente in der Kunst- und Harmonielehre des Cinquecento", in dem der architektonische Entwurf als gestaltgebendes Verfahren diskutiert wird, aber von Imagination nicht mehr die Rede ist, während Margarete Pratschkes Besprechung des Frontispiz' von Christoph Scheiners Traktat zum Pantografen, das programmatisch Auge und Hand in einem schwebenden Wolkenkörper zeigt, jene Wechselbeziehung zwischen Einbildungskraft und Repräsentation wieder aufgreift, die dem Band seinen Titel gegeben hat.
Während der Lektüre ist ersichtlich geworden, dass eine der Herausforderungen von Sammelbänden zu Bildkonzepten - nämlich ein ausgewogenes Verhältnis von Systematik und Fallstudien herzustellen - erneut zum Problem geworden ist. Nicht alle Autoren haben sich auf den doppelten Boden historischer und systematischer Fragestellungen begeben, und hier hätte vielleicht auch ein ausführlicheres Vorwort geholfen. Bei einigen Beiträgen hätte man sich eine stärkere Zuspitzung auf die eigentliche Thematik gewünscht sowie eine engere Verzahnung (zum Beispiel durch inhaltliche Querverweise) der Einzelbeiträge. So lohnt sich sicherlich die Lektüre der einzelnen Artikel, während das Feld der bildtheoretischen Fragen, mit wenigen Ausnahmen, seltsam unbestellt bleibt. Vielleicht ist dies aber auch nur ein Zeichen für den Klärungsbedarf, den wir angesichts solcher Königsbegriffe weiterhin haben, sodass man den Band als Einladung nehmen kann, die darin gestellten Fragen aufzugreifen und die beiden Bildsphären von Imagination und Repräsentation auf ihren (historisch wechselnden) Zusammenhang hin zu befragen.
Anmerkung:
[1] Giordano Bruno: De imaginum compositione, OL II/3, 91,12.
Karin Leonhard