Igor J. Polianski: Die Kunst, die Natur vorzustellen. Die Ästhetisierung der Pflanzenkunde um 1800 und Goethes Gründung des botanischen Gartens zu Jena im Spannungsfeld kunsttheoretischer und botanischer Diskussionen der Zeit (= Minerva. Jenaer Schriften zur Kunstgeschichte; Bd. 14), Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König 2004, 383 S., 21 Farb-, 56 s/w-Abb., ISBN 978-3-88375-867-1, EUR 48,00
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Diese sehr umfangreiche kunsthistorische Dissertation bewegt sich in einem interdisziplinären Bereich zwischen Wissenschafts-, Philosophie- und Kunstgeschichte. Im Mittelpunkt der Arbeit steht gleichwohl ein botanisches Thema, nämlich die Geschichte der Klassifikation der Pflanzen, insbesondere das von Karl Batsch (1761-1802) [1] entwickelte Natürliche System. Dieses unterschied sich nicht nur von Linnés Künstlichem, sondern auch von Jussieus bekannterem Natürlichen System, dadurch dass es "enthierarchisiert" war (288). Wichtigste Personen sind Goethe und der von ihm protegierte Botaniker Batsch, wichtigster Ort ist der von Batsch aufgebaute herzogliche Botanische Garten zu Jena.
Bei Gründung des Jenaer Gartens 1794 tobte ein heftiger Kampf zwischen Anhängern des älteren Künstlichen und des neueren Natürlichen Systems (11), der in Deutschland zuerst in Jena zu Gunsten des letzteren entschieden wurde. Goethe nahm eine kritische Haltung zu Linné ein, was von der Goetheforschung bisher nicht genügend berücksichtigt wurde. Das Natürliche System dürfe aber nicht unbedingt als "modern" betrachtet werden, indem seine Anhänger "von antiquierten metaphysischen Prämissen ausgingen," während seine Kritiker im aufklärerischen Geiste argumentierten und Kant herangezogen hätten (12).
Die Kritik an der Künstlichkeit von Linnés System ging einher mit der Kritik an der Künstlichkeit des Barockgartens. Der Aufschwung des Natürlichen Systems, auf dessen ästhetische Grundlagen Polianski verweist, sei durch denselben Geschmackswandel in der Ästhetik bedingt gewesen, der den landschaftlichen Garten hervorbrachte (15). Der herzogliche Botanische Garten zu Jena wäre daher zum Pendant des Weimarer Ilmparks geworden, die beide als Modelle einer natürlichen Ordnung zu gelten hätten (287).
Der Autor tritt dafür ein, die Geschichte der Botanik nicht ausschließlich aus der heutigen Perspektive der Disziplin, sondern unter Berücksichtigung der um 1800 noch in Bewegung begriffenen Grenzen der Disziplinen zu betrachten. Neben der Botanik der Hochschulen habe es eine Botanik vor allem der Liebhaber gegeben, welche von der Ästhetik beeinflusst gewesen sei und in der Tradition der Physikotheologie William Derhams (1713) und anderer gestanden hätte. Diese Botanik habe nicht ausschließlich als Wissenschaft gegolten, sondern wie Gartenkunst, Naturlyrik und Landschaftsmalerei als eine Form der Naturrepräsentation.
Diese historische Ausprägung der Botanik dürfe von der Wissenschaftsgeschichte weder gering geschätzt noch ignoriert werden. Polianski öffnet neue Sichten nicht nur auf Batsch, sondern auch etwa auf Linné (er habe "nicht das Verdienst, prinzipiell neue Erkenntnisse in die Historia naturalis eingeführt zu haben" und hegte ein veraltetes, "mystisch anmutendes" Weltbild, 129). Wir können an dieser Stelle Polianskis Arbeit nicht aus Sicht der Botanik beurteilen. Vermutlich werden die heutigen Botaniker eine Rehabilitation von Goethe, Batsch & Co. verweigern. Zweifellos jedoch trägt Polianski wesentlich dazu bei, das Verständnis der damaligen Strömungen zu erleichtern. Die Ästhetisierung betrachtet Polianski nicht als Verirrung der Botanik, sondern als zukunftsweisenden Beitrag zu ihrer Etablierung als "eine zum Selbstzweck zu betreibende eigenständige Beschäftigung." (289) Somit ergäbe sich das Paradoxon, das zur Verwissenschaftlichung führte, was eigentlich unwissenschaftlich war.
Der Autor benutzt ein weites Spektrum von Primärquellen, die er umsichtig interpretiert. Trotzdem hat er einige wichtige ausgelassen. Der Catalogus Plantarum des Jenaer Botanischen Gartens von Johann Theodor Schenck 1659 wird nicht verwendet, sondern nur der beigefügte Kupferstich mit eigenen Worten beschrieben, wobei Polianski Wesentliches entgeht: "Es ist nicht klar ersichtlich, nach welchen Kriterien die Pflanzen geordnet waren." (72). Richtig ist, dass Schenck im Vorwort ebendies ausführlich beschreibt. [2] Es fehlt Carl Gottlob Rössigs Handbuch für Liebhaber Englischer Pflanzungen (1796) - Polianski zitiert diesen Autor mit einer anderen Schrift fälschlich als "D. Rössig" (148), es fehlen die zum Thema ergiebigen, frühen Schriften John Claudius Loudons, von A treatise on the Improvement proposed for Scone (1803) über die Observations on the Formation and Management of Useful and Ornamental Plantations (1804) bis zu den Designs for Laying out Farms (1812), es fehlt selbst Johann Samuel Schröters Die Aesthetik der Blumen oder ihre Philosophie (Weimar 1803), ganz zu schweigen von mancher Sekundärliteratur. Offenbar wurden auch nicht alle in dem 35 Seiten umfassenden Literaturverzeichnis aufgeführten Quellen wirklich benutzt.
Aus gartenhistorischer Sicht ist manches zu bemängeln. Im Kapitel über Landschaftsgärten behandelt Polianski deren physikotheologische Funktion während des 18. Jahrhunderts, verirrt sich aber in zahlreichen Ungereimtheiten. Wenn er behauptet (31), der Landschaftsgarten wäre in Deutschland erst nach 1770 eingeführt worden, so gibt er den Forschungsstand von 1930 wieder. Bei Schilderung der Entwicklungsphasen des Landschaftsgartens übersieht er den Unterschied zwischen Landschaft und freier Natur als Vorbild und übergeht die Genese der ästhetischen Kategorie des Erhabenen. Unverständlich ist, warum es bei Archibald Alison, einem der gründlichsten Theoretiker des Landschaftsgartens, ein "Theoriedefizit" geben soll (36).
Brauchbare Aussagen über die Struktur älterer botanischer Gärten fehlen fast völlig. Die Anordnung der Pflanzen im Botanischen Garten Padua kann schwerlich als "geographisches System" (72) bezeichnet werden. [3] Die von Schenck 1659 bei seiner Beschreibung des Jenaer Renaissancegartens verwendeten Bezeichnungen (vinea, fruticetum corylinum, nemus carasium, area, pulvillus) dürfen nicht willkürlich durch französische Termini des 18. Jahrhunderts ersetzt werden (83: "Boskett" und parterre de pièces coupées).
Polianski gibt als seine These aus, "daß die durch Alexander von Humboldt begründete pflanzengeographische Tradition ihre Wurzeln in gartenkünstlerischen und pflanzensystematischen Diskussionen hatte und mit den Intentionen Goethes und Batschs aufs engste zusammenhing." (146) Dies wurde jedoch bereits früher dargestellt. Auch ist Polianskis Annahme widerlegt worden, in Harbke und Hohenheim wären "geobotanisch geprägte Naturbilder" (147) inszeniert worden. [4]
Umfang, Sprache und Gliederung stellen hohe Anforderungen an den Leser (1629, oftmals lange Fußnoten). Die zentralen, zweifellos wichtigen und interessanten Aussagen drohen in einer Flut der Worte unterzugehen, während doch manche Aspekte unterbelichtet bleiben. Die DFG förderte den Druck.
Anmerkungen:
[1] http://batsch.tisma.de/chronik/august.html
[2] Auszugsweise Übersetzung aus dem Lateinischen in Clemens A. Wimmer: Bäume und Sträucher in historischen Gärten, Dresden 2001, 18.
[3] Lucia Tongiorgi Tomasi: Projects for Botanical and Other Gardens : a 16th-Century Manual, in: Journal of Garden History 3 (1983), 1-34; Wimmer 2001, 15-19.
[4] Wimmer 2001, 201-208
Clemens A. Wimmer