Rezension über:

Angelica Goodden (ed.): The Eighteenth-Century Body. Art, History, Literature, Medicine, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2002, 188 S., 7 Abb., ISBN 978-3-906768-50-2, EUR 36,20
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Rezension von:
Dagmar Bussiek
Fachbereich 05, Universität Kassel
Redaktionelle Betreuung:
Holger Zaunstöck
Empfohlene Zitierweise:
Dagmar Bussiek: Rezension von: Angelica Goodden (ed.): The Eighteenth-Century Body. Art, History, Literature, Medicine, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2002, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 3 [15.03.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/03/6169.html


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Angelica Goodden (ed.): The Eighteenth-Century Body

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Die Rolle des menschlichen Körpers in der Literatur, Kunst, Wissenschaft und Medizin des 18. Jahrhunderts stand im Mittelpunkt einer Tagung, die am 27. und 28. Juli 2001 im St. Hilda's College / Oxford statt fand. Der von Angelica Goodden (Oxford) herausgegebene Band "The Eighteenth-Century Body" enthält ausgewählte Beiträge, die aus diesem Anlass von britischen, US-amerikanischen und französischen Wissenschaftlern verfasst wurden. Dabei setzen die Autoren ein außerordentliches Maß an Wissen über die europäische Geistes- und Kulturgeschichte im Zeitalter der Libertinage voraus, sodass der Sammelband keinesfalls als einführende Lektüre zu empfehlen ist. Die Aufsätze bewegen sich durchgehend auf einem hohen Abstraktionsniveau.

Im ersten Beitrag des Bandes "The Body as Fiction; Eighteenth-Century Tales of the Orient" befasst sich Ros Ballaster (Oxford) mit der Rolle des Körpers in den beliebten "orientalischen Erzählungen" des späten 17. und 18. Jahrhunderts. Er unterscheidet drei prägnante Figuren: Der versklavten, zugleich aber auch in Luxus schwelgenden Frau der türkischen, chinesischen und indischen (Hof-)Gesellschaft stellt er den - westliche Gesellschaften auf obskure Weise faszinierenden - Typus des Eunuchen gegenüber; schließlich gilt seine Aufmerksamkeit dem "wiedergeborenen Körper", der als Produkt der Seelenwanderung ein nach den Wünschen des Autors oder Lesers formbares Fantasiegebilde sei. Elena Russos (John Hopkins University) Abhandlung "The Burlesque Body in Diderot's Les Bijoux indiscrets" kann in diesem Kontext als anregende Ergänzung gelesen werden: Diderot erzählt die Geschichte des despotischen Sultans Mangogul, der die Frauen seines Hofes mit magischen Mitteln zwingt, ihre sexuellen Erlebnisse, Träume und Geheimnisse preiszugeben - ein Experiment, das für den Sultan weniger zu einer erregenden als vielmehr zu einer frustrierenden Erfahrung wird.

Im Roman der Libertinage, der sich zwischen 1730 und 1750 als Genre konstituiert, spielt der weibliche Körper eine Schlüsselrolle. In ihrem Beitrag "La Sémiotisation du corps féminin dans le roman libertin du XVIIIe siècle" kommt Anne Deneys-Tunneys (New York University) unter anderem anhand ihrer Analysen von Werken von Marivaux und Diderot zu dem Schluss, dass der weibliche Körper in der Libertinage als begehrenswert erscheine, Ideen und Bilder produziere und Zeichen übermittele; gleichzeitig widersetze er sich einer klaren Interpretation, weil im Vergleich zu der perfekt lesbaren Oberfläche des klassizistisch gestalteten Körpers in der Libertinage der Weg geöffnet werde zu einer Ästhetik des Mehrdeutigen, Unentscheidbaren - und damit letztlich zur Moderne. Michel Delon (Université de Paris-Sorbonne / Paris IV) ergänzt diese Überlegungen in seinem Aufsatz "Les Couleurs du corps: roman pornographique et débats esthétiques aux XVIIIe siècle" um geistreiche Hinweise zur Bedeutung der Farben, insbesondere der Farbe Rot als Sinnbild für Erotik. Am Beispiel der Gegenüberstellung der weltberühmten Memoiren der Fanny Hill von Cleland und einer französischen Adaption dieses Werkes von Fougeret de Monbron arbeitet er zwei unterschiedliche Gestaltungsweisen heraus: Im Vergleich zu den ebenso farbenfrohen wie sinnlichen literarischen Werken der Libertinage konstatiert er für den Klassizismus einen mit dem Verlust von Erotik bei gleichzeitiger Idealisierung des menschlichen Körpers einhergehenden Prozess des Zurückweichens oder gar der Ächtung der Farbe.

Marivaux' 1725 uraufgeführtes Stück "L'Ile des esclaves" wird von Guy Callan ("indepedent scholar") unter besonderer Beachtung der Bedeutung des Rituals und - damit eng verbunden - der Maskierung analysiert und interpretiert. Callan bezieht sich auf die Theorien Victor Turners, der zwischen Ritualen der Statusverbesserung und der Statusumkehrung unterscheidet. Die rituelle Vernichtung des alten Selbst, durch die der Platz für die neue Person und Rolle geschaffen wird, vollziehen bei Marivaux meist maskierte Figuren. Der Autor bescheinigt dem Stück eine immense moralische Tiefgründigkeit.

Unter dem Titel "Priapic Passages and 'Trading in Trifles': Penis and Pornography in the Eighteenth Century" beschäftigt sich George Rousseau (De Montfort University) mit der symbolischen und anatomischen Betrachtung des männlichen Geschlechtsorgans in unterschiedlichen kulturellen Traditionen, etwa im antiken Griechenland und der Renaissance. Rousseau arbeitet die Bedeutung des Penis als Symbol nicht nur für männliche Fortpflanzungsfähigkeit, sondern auch für materielle Potenz heraus. Das geradezu besessene Interesse des 18. Jahrhunderts an diesem Thema schlug sich demnach insbesondere in der Verbreitung erotischer Publikationen durch Ärzte unter dem Vorwand der "medizinischen Forschung" nieder.

Im Mittelpunkt von Anne C. Vilas (University of Wisconsin-Madison) Beitrag "The Scholar's Body: Health, Sexuality and the Ambiguous Pleasures of Thinking in Eighteenth-Century France" steht der Konflikt zwischen Intellektualität und Sexualität, zwischen dem Wunsch nach geistiger Selbstverwirklichung und ehelicher Erfüllung am Beispiel der französischen Intellektuellen im 18. Jahrhundert. Obwohl die Gelehrtenexistenz - zumindest in Frankreich - teilweise als höchste Form des menschlichen Daseins zelebriert wurde, lebte der Intellektuelle gleichzeitig mit dem Stigma, sozial unausgeglichen und eingeschränkt zu sein und eine ausgeprägte Neigung zur Hypochondrie zu besitzen. Medizinische und moralische Bedenken gegen die Sozialkompetenz des intellektuell tätigen Mannes kulminierten Anfang des 19. Jahrhunderts in ärztlichen Enthaltsamkeits-Empfehlungen.

Nicht nur Erotik und Sexualität, sondern auch die Zubereitung und der Genuss von Speisen begründen jene Sinnlichkeit, die das Geistesleben des 18. Jahrhunderts - trotz der fortbestehenden kirchlichen Moralvorstellungen - feierte. Unter dem Titel "You Are Not Necessarily What You Eat" thematisiert Beatrice Fink (University of Maryland) die zeitgenössische Diskussion über den Einfluss bestimmter Nahrungsmittel auf den Körper, den angeblichen Zusammenhang zwischen Essen und Temperament (zum Beispiel in der hippokratischen Medizin) und die Vorstellung einer aphrodisierenden Wirkung bestimmter Speisen.

Die beiden letzten Beiträge des Sammelbandes richten den Blick auf kunsthistorische Themen. Angelica Goodden beschäftigt sich mit dem Werk der zeitgenössischen Malerin Angelika Kauffmann, deren Vorliebe für fließende und runde Formen, für "sanfte", "weibliche", spielerische Motive von der Kritik gern als Beleg für das angeblich limitierte und stereotype weibliche Auffassungsvermögen zitiert wurde. Susan L. Siegfried (University of Michigan) analysiert unter dem Titel "Reinventing Relics and Napoleon's Regal Body" das Bild "Napoleon I on his Imperial Throne" von Ingres; darüber hinaus untersucht sie die Rolle von Relikten, denen politische Bedeutung und symbolische Kraft beigemessen wurde, zur Legitimation der napoleonischen Kaiserherrschaft.

Fazit: Das Buch bietet einen breit gefächerten Einblick in die literarische, künstlerische, philosophische und wissenschaftliche Welt des 18. Jahrhunderts. Dabei liegt der Schwerpunkt auf den Debatten um Körper und Körperlichkeit in Frankreich und - in zweiter Linie - im angelsächsischen Sprachraum. Wer sich unter historischer Perspektive Einblicke in das Alltagsleben beziehungsweise den alltäglichen Umgang mit dem menschlichen Körper, mit Erotik und Sexualität, Geburt und Tod, Gesundheit und Krankheit, Essen und Hungern, kurz: mit Körperlust und Körperleid einer vergangenen Epoche erhofft, wird das Buch enttäuscht aus der Hand legen. Für die literatur-, kunst- und im weitesten Sinne kulturwissenschaftliche Diskussion liefert es gleichwohl wertvolle Anstöße.

Dagmar Bussiek