Luisa Accati: Das Monster und die Schöne. Vater- und Mutterbilder in der katholischen Erziehung der Gefühle, Berlin: trafo 2006, 355 S., ISBN 978-3-89626-550-0, EUR 39,80
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Es war einmal ein Kaufmann, der musste zu einer Reise aufbrechen und fragte seine drei Töchter, was er ihnen mitbringen solle. Die beiden älteren Mädchen wollten mit reichen Gaben bedacht werden, die jüngste jedoch bat nur um eine Rose. Auf dem Heimweg verirrte sich der Kaufmann und fand in einem scheinbar unbewohnten Schloss Zuflucht. Am nächsten Morgen pflückte er im Garten des Schlosses eine Rose für seine jüngste Tochter. Da erschien ein grässlicher Tiermensch, gab sich als Besitzer von Schloss und Garten zu erkennen und warf dem Kaufmann vor, ihm die Rose gestohlen zu haben. Als Strafe müsse er sterben oder ihm eine seiner Töchter anvertrauen. Als der Kaufmann seine Erlebnisse zu Hause erzählte, bestand die jüngste Tochter darauf, sich dem Monster zu opfern, und fuhr mit ihrem Vater zum Schloss. Das Monster fragte die Schöne, ob sie aus freiem Willen gekommen sei, und sie antwortete mit Ja. Mit gebrochenem Herzen kehrte der Vater nach Hause zurück. Drei Monate lang lebte die Schöne unter angenehmsten Umständen im Schloss. Jeden Abend erschien der Tiermensch und fragte sie, ob sie ihn heiraten wolle, aber sie lehnte stets ab. Als sie erfuhr, dass ihr Vater krank geworden war, bat sie das Monster um Erlaubnis, das Schloss verlassen und ihn pflegen zu dürfen. Traurig ließ das Monster sie ziehen. In der Ferne jedoch merkte die Schöne, wie sehr sie den Tiermenschen lieb gewonnen hatte. Sie kehrte ins Schloss zurück und brachte es endlich über sich, ihn zu küssen. Da verwandelte sich das Monster in einen wunderschönen Mann ... und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
Es ist alles Freundlichkeit in jenem berühmten Märchen, dessen Titel Luisa Accati ihrer Untersuchung voranstellt: Der Vater ist der Tochter in Liebe zugetan, das Mädchen kann seine Entscheidungen frei von emotionalem Druck treffen, und hinter der Fassade des Monsters verbirgt sich ein liebenswerter Mann. Für den Psychoanalytiker Bruno Bettelheim ist die Erzählung eine Parabel auf die gelungene Lösung der ödipalen Bindung des Kindes an das gegengeschlechtliche Elternteil: Wenn die natürliche Liebe des Mädchens zum Vater (des Jungen zur Mutter) nicht fixiert, sondern im Zuge des Reifeprozesses auf eine(n) (potenziellen) Sexual- und Beziehungspartner(in) übertragen wird, schafft sie die Voraussetzung zur gelungenen Paarbildung. Wie anders, so beobachtet Accati, gestalte sich die ritualisierte Zusammenführung von Mann und Frau vor dem Traualter einer katholischen Kirche: Zwar sei auch hier die Braut die Hauptfigur der Zeremonie, so wie die Schöne die Hauptfigur des Märchens sei, zwar führe auch hier der Vater die Tochter wie in einem Opfergang ihrem künftigen Gatten zu, der hier wie dort das tierische Element, nämlich die Macht der Sexualität, verkörpere, aber anders als im Märchen finde im traditionellen Akt der Trauung keine Erlösung statt, trete doch die Institution Kirche mit ihren Deutungsmustern und Machtansprüchen zwischen die (künftigen) Liebespartner: "Das Monster, also der in sexuellen Beziehungen stehende Mann, ist eine Bestie, die Sexualität bleibt mit einem negativen Urteil belegt." (60)
Die Szenerie in der Kirche kreise nur vordergründig um die Braut und beschreibe tatsächlich "eine Auseinandersetzung unter Männern, zwischen unverheirateten Klerikern und verheirateten Laien, bezüglich der Frauen." (60) Die Schöne vor dem Altar sei dabei ebenso zur Passivität verurteilt wie jene andere Schöne, die von ihrem erhabenen Platz über dem Altar dem Ritual beiwohne: die Madonna. An dieser Stelle stoßen wir zum Kern von Accatis Studie vor: Vorgelegt wird eine Darstellung und Bewertung der sozialen Folgen des katholischen Marienkultes für Individuum und Familie, Kirche, Gesellschaft und Staat. Es geht um eine Auseinandersetzung mit der Idee der Anbetung einer jungfräulichen Mutter, die ihren Höhepunkt mit der Verkündigung des Dogmas von der Unbefleckten Empfängnis im Jahre 1854 fand. Accati zufolge steht die Madonnenverehrung im katholisch geprägten Teil Europas in engem Zusammenhang mit einer Konzentration auf das Mutter-Sohn-Verhältnis in der Familie, während der Protestantismus der Vater-Mutter-Beziehung die höchste Aufmerksamkeit beimesse. Wie Josef für die Geschichte von Maria und dem Jesuskind von untergeordneter Bedeutung sei, so eliminiere der Katholizismus den Vater aus dem Familienleben - mit fatalen Folgen: Wo die Mutter dem Sohn als einzige dominante Bezugsperson entgegentrete, sei der doppelten Furcht des Jungen vor dem verschlingenden Weiblichen einerseits und dem fernen und dadurch bedrohlichen Männlichen andererseits Tür und Tor geöffnet. Der Marienkult wiederum sei ein Produkt der zölibatär lebenden katholischen Kirchenmänner, die ihre wichtigste leibliche Erfahrung mit der eigenen Mutter gemacht hätten. Wenn diese Männer das Privileg für sich in Anspruch nähmen, die weibliche Symbolfigur Maria zu definieren, so sei die "Auslöschung" (12) der Frau als Subjekt vorgezeichnet.
Leichte Kost ist es nicht, die Luisa Accati, Professorin für Neuere Geschichte am Institut für Geschichte und Kunstgeschichte der Universität Trieste, ihren Leserinnen und Lesern bietet. Ihre Studie stelle, so verspricht der Klappentext des Buches, "einen Beitrag zu den Versuchen dar, psychoanalytische Modelle für das Verständnis historischer und sozialer Prozesse fruchtbar zu machen." Dieser Ansatz wäre, so muss der Einwand lauten, vielversprechender gewesen, wenn die Autorin nicht in gar zu eklektizistischer Freizügigkeit geschichts-, kunst- und religionswissenschaftliche Zugangsweisen mit anthropologischen und psychoanalytischen Betrachtungen verschmolzen hätte. In methodischer Hinsicht erscheint manches fragwürdig: So hat Accati die Ergebnisse einer von ihr durchgeführten "Feldforschung" im italienischen Udine integriert, wo sie zwischen 1978 und 1988 "biographische Informationen einer Gruppe von Frauen" sammelte, "die entweder Lehrerinnen oder Hausfrauen sind und der Mittelschicht angehören." (13) Es bleibt unklar, welche Vorgehensweise dieser Untersuchung zugrunde lag; mehr noch: Wenn Accati feststellt, dass die Biografien der Frauen beständig "gezeichnet [waren] von einem Zusammenfallen von Mutterschaft und Leiden" (175), so drängt sich die Frage nach der Zeit-, Raum- und Milieugebundenheit auf. Würden wir im Jahre 2007 die Frauen einer bestimmten Stadt, Schicht oder Berufsgruppe im chronisch geburtenschwachen Italien nach ihren prägenden biografischen Erlebnissen befragen - würden wir nicht womöglich andere Antworten erhalten? Wir dürfen weiter fragen: Lässt sich aus der Tatsache, dass die katholische Kirche dem Priester das Zölibat vorschreibt, grundsätzlich folgern, dass ihm die Frau als Sexualpartnerin fremd ist? Und welcher Stellenwert kann heute noch der Freud'schen Psychoanalyse eingeräumt werden?
Aller Kritik zum Trotz ist Luisa Accati eine intellektuell ebenso fordernde wie anregende Studie gelungen. Herausragend sind insbesondere jene Kapitel, in denen sie die kirchliche Diskussion über die Unbefleckte Empfängnis Marias vom 12. bis zum 19. Jahrhundert bündelt und die bildlichen Umsetzungen dieses Themas bei Tiepolo, Giotto, Leonardo, Bellini, Tizian und anderen Künstlern analysiert; farbige Abbildungen der entsprechenden Werke ergänzen den Text. Ihr Buch, so betont Accati, "maßt sich nicht an, etwas zu beweisen", sondern stelle "einen möglichen Interpretationsvorschlag für einige die Mutterschaft betreffende religiöse Symbole [dar]." (13) Unter dieser Prämisse sei dem Werk weite Verbreitung gewünscht; es bietet zahlreiche Anregungen für Diskussionen über die Grenzen der wissenschaftlichen Disziplinen hinaus.
Dagmar Bussiek