Radosław Gaziński / Paweł Gut / Maciej Szukała (Bearb.): Staatsarchiv Stettin. Wegweiser durch die Bestände bis zum Jahr 1945. Aus dem Polnischen übersetzt von Peter Oliver Loew (= Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa; Bd. 24), München: Oldenbourg 2004, 672 S., 10 Abb., ISBN 978-3-486-57641-2, EUR 69,80
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Das hier zu besprechende Werk stellt die deutsche Übersetzung der zwei Jahre zuvor unter dem Titel "Przewodnik po zasobie archiwalnym. Akta do 1945 roku. Archiwum Państwowe w Sczcecinie" veröffentlichten Bestandsübersicht des Staatsarchivs Stettin bis zum Stichjahr 1945, mithin also der deutschen Bestände, dar. Das herausgebende Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa mit Sitz in Oldenburg setzt damit die Veröffentlichung von Bestandsübersichten zu den ehemaligen preußischen Staatsarchiven, die heute der polnischen Archivverwaltung unterstehen, fort. Bereits erschienen sind solche Übersichten zu den Staatsarchiven Danzig und Breslau. Für Stettin, das ehemalige Staatsarchiv der preußischen Provinz Pommern, löst der vorliegende Führer die nur auf polnisch erschienene Übersicht von 1964 ab, die zudem eine Reihe von Lücken aufwies.
Archive bieten bekanntlich dem Historiker, aber auch vielen anderen an der Geschichte Interessierten, für ein in der Regel genau abgestecktes Gebiet, archivfachsprachlich Sprengel genannt, die Quellengrundlage, zumindest was Schriftquellen angeht. Um diese Quellen dem Nutzer in angemessener Weise zugänglich zu machen, bedienen sich die Archivare verschiedener Typen von Hilfsmitteln. Für den ersten Einstieg und groben Überblick über den Inhalt des Gesamtbestandes eines Archivs oder Teile desselben werden Bestandsübersichten beziehungsweise -führer wie der vorliegende Band erstellt. Eine Ebene darunter sind die Findhilfsmittel zu den Einzelbeständen angesiedelt. Das können Karteien, ungedruckte oder gedruckte Findbücher und neuerdings auch Datenbanken sein. Letztere werden zunehmend im Internet präsentiert, nicht selten gleich in einer entsprechend verknüpften Form als Bestandsübersicht dienend. Hinzu kommen schließlich noch die für bestimmte Themenbereiche bestands- oder mitunter auch archivübergreifend angefertigten Spezialinventare. Ein solches ist für die Bestände des Staatsarchivs Stettin gerade für die - vereinfacht gesagt - Archivalien, die die Beziehungen Pommerns zu den skandinavischen Staaten in der Frühen Neuzeit dokumentieren, in Arbeit.
Die nun herausgegebene Bestandsübersicht zum Staatsarchiv Stettin ist in doppelter Weise verdienstvoll und für den mit der Geschichte Pommerns sich beschäftigenden Historiker unentbehrlich. Erstens wird damit die auch bei deutschen Historikern immer mehr in Vergessenheit geratende Zugehörigkeit der ehemaligen deutschen Ostgebiete, hier in Gestalt des größten Teils der früheren Provinz Pommern und ihrer territorialen Vorgänger, zum Reichsverband und zu Preußen bis 1945 anhand der präsentierten Überlieferung nochmals verdeutlicht. Zum anderen ist gerade Pommern hinsichtlich der heutigen Überlieferungssituation für die Bestände bis 1945 besonders problematisch und häufig unübersichtlich. Dies ist in erster Linie der Auslagerungspraxis während des Zweiten Weltkrieges und der Grenzziehung des Jahres 1945 geschuldet, die anders als bei den anderen Ostprovinzen einen relativ großen Teil der ehemaligen Provinz bei Deutschland beließ, der zusammen mit Mecklenburg das durch die Sowjetunion im Sommer 1945 ins Leben gerufene Land Mecklenburg-Vorpommern ausmachte. Je nachdem, auf welcher Seite der Grenze von 1945 die Bestände während des Krieges ausgelagert wurden, kamen sie später entweder in das von Polen übernommene Stettiner Archiv oder die eigentlich nur als Provisorium gedachte Außenstelle des Schweriner Staatsarchivs in Greifswald, aus dem dann das heutige Landesarchiv Greifswald hervorging. Dieser Riss durch die Bestände, der häufig auch mitten durch die Bestände selbst geht, wird in der Bestandsübersicht sehr gut verdeutlicht, denn es werden jedes Mal Angaben gemacht, wenn Teile eines Bestandes sich heute in Greifswald befinden.
Die Übersicht selbst gliedert sich, ähnlich wie entsprechende deutsche Übersichten auch, nach der Herkunft und Stellung der als Bestandsbildner fungierenden Behörden und Einrichtungen in die Bereiche Staatsverwaltung, Selbstverwaltung, das heißt kommunale Selbstverwaltung, Institutionen der Rechtssprechung, Religionsgemeinschaften und Schulen, Stiftungen, kulturelle, wissenschaftliche und gesellschaftliche Institutionen, wirtschaftliche Institutionen und Familien- und Gutsarchive sowie Nachlässe. Auf eine chronologische Gliederung etwa nach Herzogtum, brandenburgische beziehungsweise schwedische Herrschaft und preußische Provinz ab 1815 wurde laut Vorwort der Bearbeiter wegen des "schlechten Erhaltungszustandes der Archivalien aus der zweiten Hälfte des 17. und aus dem 18. Jahrhundert" verzichtet. Hier scheint mir jedoch eine missverständliche Übersetzung vorzuliegen, denn gemeint ist sicher nicht der schlechte Erhaltungszustand der Archivalien, sondern die Tatsache, dass sich die Bestände des genannten Zeitraumes zum weitaus größten Teil im Landesarchiv Greifswald befinden. Mithin ist hier wohl eher von schlechter Überlieferungslage als von schlechtem Erhaltungszustand zu sprechen. Auf weitere Probleme bei der Übersetzung wird noch zu kommen sein.
Innerhalb der genannten Sachgruppen wird immer mit den ältesten Beständen begonnen, so also bei der Gruppe der Staatsverwaltung mit den im späten 15. beziehungsweise 16. Jahrhundert einsetzenden Archiven der herzoglichen Verwaltungen in Stettin und Wolgast, vor 1945 die Reposituren 4 und 5. Dies setzt sich für die folgende Zeit der schwedischen und brandenburgischen Verwaltung fort, dort allerdings mit der bereits gemachten Einschränkung hinsichtlich des Überlieferungsumfanges. Den größten Raum nehmen in dieser Gruppe, wie auch in den meisten folgenden, die Bestände aus der Zeit der preußischen Provinz Pommern ein, also aus dem Zeitraum 1815 bis 1945.
Die Angaben zu den einzelnen Beständen folgen einem einheitlichen Muster. Einer laufenden Ordnungsnummer dieser Übersicht folgen die Bestandsnummer, dann die deutsche Bestandsbezeichnung, in Klammern die, falls vorhanden, vor 1945 gültige Bestandssignatur und die polnische Bestandsbezeichnung. Weiterhin angegeben sind die Laufzeit des Bestandes und sein Umfang in Anzahl der Archivalieneinheiten (AE) sowie in laufenden Metern. Den Hauptteil machen dann eine Beschreibung des Bestandsbildners und stichpunktartige Angaben zu den Hauptinhalten mit der Angabe der dazu jeweils überlieferten Archivalieneinheiten aus. Am Ende der Bestandsbildnergeschichte werden auch Hinweise zur Übernahme ins Archiv und zu eventuell ergänzenden beziehungsweise parallelen Überlieferungen in anderen Archiven, hauptsächlich im Landesarchiv Greifswald, gegeben. Den Schluss bilden jeweils die Angabe des vorhandenen Findhilfsmittels und ein Verzeichnis der weiterführenden Literatur.
Gerade hier offenbart sich das einzige grundsätzlich zu bemerkende Manko des Bandes: Die Literaturverzeichnisse geben recht gut den deutschen Forschungsstand bis 1945 und den polnischen Forschungsstand wieder. Bei der neueren deutschen Literatur ergibt sich allerdings eine ganze Reihe von Lücken. Insbesondere gilt dies auch für auf Pommern durchaus anzuwendende verwaltungsgeschichtliche Arbeiten allgemeinerer Natur. Dementsprechend sind die Bestandsbildnergeschichten nicht immer auf dem neuesten Stand. Zum Bestand NSDAP-Gauleitung Pommern etwa nur eine allgemeine polnische Veröffentlichung zur Sozialgeschichte des Dritten Reiches von 1987 anzuführen, geht eigentlich nicht an, da gerade für diesen Bereich in jüngster Zeit Forschungen von deutscher Seite, insbesondere von Kyra T. Inachin aus Greifswald, vorgelegt wurden. Die Beispiele ließen sich ohne weiteres fortsetzen. Den Texten merkt man zudem an, dass sich die deutsche Übersetzung sehr eng an die polnische Vorlage anlehnt. Dadurch kommen zahlreiche begriffliche Ungenauigkeiten zu Stande, da es gerade bei der Bezeichnung von Behörden oder anderen Begriffen aus der Verwaltung im Deutschen doch feste "termini technici" gibt. Hier wäre es schon ratsam gewesen, wenn der Übersetzer an der einen oder anderen Stelle einen Beständeführer eines deutschen Archivs zur Hand genommen hätte, um den richtigen Begriff zu wählen. So liest sich manches doch etwas eigenartig.
Jedoch sollen diese wenigen kritischen Anmerkungen keinesfalls darüber hinweg täuschen, dass es sich bei der vorliegenden Publikation um ein insgesamt sehr nützliches Nachschlagewerk handelt, dessen Veröffentlichung man nur begrüßen kann. Noch schöner wäre es allerdings, wenn in absehbarer Zeit als Ergänzung dazu auch das Landesarchiv Greifswald seine Bestände bis 1945 in ähnlicher Weise präsentieren würde.
Dirk Schleinert