Janos Hauszmann: Ungarn. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart (= Ost und Südosteuropa. Geschichte der Länder und Völker), Regensburg: Friedrich Pustet 2004, 312 S., 15 S. s/w-Abb., ISBN 978-3-7917-1908-5, EUR 24,90
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Der Kölner Osteuropa-Experte János Hauszmann hat mit seinem Band "Ungarn. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart" eine neue Gesamtdarstellung der bewegten Geschichte des Landes vorgelegt, das in Europa stets eine Sonderstellung einnahm und doch Anteil an der allgemeinen Geschichte des Kontinents hatte. Der Band ist im Rahmen der von Horst Glassl und Ekkehard Völkl herausgegebenen Reihe "Ost- und Südosteuropa. Geschichte der Länder und Völker" erschienen. Im Mittelpunkt steht nicht eine neue wissenschaftliche Analyse oder Neubewertung der ungarischen Vergangenheit. Der Band richtet sich vielmehr an breitere Leserschichten und schildert, an frühere Veröffentlichungen anknüpfend [1], die Geschichte des Landes und seiner Einwohner.
Beginnend mit den Ursprüngen der vorungarischen Stämme am Ural und der Besiedelung des Karpatenbeckens 896 ("Landnahme") folgt Hauszmann chronologisch den zentralen Stationen der ungarischen Geschichte. Folgerichtig schließt der Band mit der Darstellung des Zusammenbruchs des sozialistischen Regimes, der Gründung eines demokratischen Staates 1990 und dem EU-Beitritt Ungarns 2004, den Hauszmann als Weg "zurück nach Europa" (272) bezeichnet. Der Autor bemüht sich insgesamt, den Stand der historischen Forschung sachlich und differenziert wiederzugeben, wiederholt wendet er sich gegen einseitige Urteile oder verfestigte Mythen.
Seinem Versprechen, sich nicht mit einer "bloßen Darlegung ereignisgeschichtlicher Zusammenhänge" zu begnügen, sondern auch die wichtigsten "Züge der politischen, wirtschafts- und kulturhistorischen Entwicklung des Landes" (12) vorzustellen, wird Hauszmann dagegen nur zum Teil gerecht. So beschränkt sich das Kapitel über das mittelalterliche Königreich überwiegend auf eine Beschreibung der unterschiedlichen Erbfolgekonflikte. Erst in den folgenden Kapiteln räumt der Autor anderen Geschichtsfeldern etwas mehr Raum ein. Ausführlich geht Hauszmann zum Beispiel auf die "Nationalitätenfrage" im 19. Jahrhundert ein. Durch die aufkeimende Freiheits- und Nationalbewegung wurde damals die Brüchigkeit des Vielvölkerstaates unter österreichischer Vorherrschaft augenfällig. Der Autor verweist aber mit Recht darauf, dass vor allem nach der gescheiterten Revolution von 1848/49 und dem österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 auch das Konfliktpotenzial zu Tage trat, das die großen Minderheiten im ungarischen Königreich selbst bildeten, die mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmachten. Diese Minderheiten wehrten sich ihrerseits gegen die Hegemonie ungarischer Eliten und forderten ebenfalls die Anerkennung ihrer politischen Rechte als autonome Nationalitäten ein.
Mit dem verlorenen Ersten Weltkrieg zerfiel die Donaumonarchie endgültig. Nun drehte sich die Politik Ungarns vor allem um die ungarischen Minderheiten in den Nachbarstaaten: Denn auf Grund des Friedensvertrages von Trianon büßte das Land zwei Drittel seiner Fläche und fast die Hälfte der Bevölkerung ein. In der Hoffnung, eine Revision des Friedensvertrages zu erreichen, banden sich die wechselnden Regierungen unter dem Reichsverweser Horthy immer enger an das nationalsozialistische Deutschland. Hauszmann überschreibt das Kapitel zur ungarischen Geschichte zwischen 1918 und 1945 unvollständig mit "Ungarn in der Zwischenkriegszeit" (214). Entsprechend knapp schildert er die Kriegsbeteiligung Ungarns an der Seite Deutschlands (249 f.) und verschweigt die Verstrickung ungarischer Truppen und Polizeieinheiten in deutsche Massenmorde: die Erschießung von etwa 4.000 angeblichen "Partisanen" in der Batschka und die Abschiebung von 18.000 "staatenlosen" Juden aus der an Ungarn angeschlossenen Karpatho-Ukraine, von denen der größte Teil im deutsch-besetzten Galizien ermordet wurde. Der Autor geht auch nur am Rande auf die Verstrickung des Landes in die deutsche Vernichtungspolitik in Ungarn selbst ein, die sich - wie jüngere Studien nachweisen [2] - nicht allein darauf beschränkte, dass die ungarische Gendarmerie an der Gettoisierung und Deportation der ungarischen Juden in die Vernichtungslager mitwirkte (252).
Verhältnismäßig ausführlich schildert Hauszmann die "Demokratischen Gehversuche" (255) Ungarns nach der Befreiung durch die Rote Armee 1945, die jedoch 1948 endgültig scheiterten, als Mátyás Rákosi mit sowjetischer Unterstützung eine stalinistisch geprägte Diktatur installierte. Drei Jahre nach Stalins Tod musste Rákosi zwar auf Druck der Sowjetunion zurücktreten. Doch den ungarischen Volksaufstand von 1956 schlugen Truppen der Roten Armee ebenfalls brutal nieder, und die sowjetische Führung setzte János Kádár als neuen Generalsekretär der Partei ein. Gemessen an der vorhergehenden Darstellung geht Hauszmann nur relativ kurz auf die nun folgende über dreißigjährige ambivalente Phase des spezifisch ungarischen Sozialismus ein: durch wirtschaftliche Verbesserungen und vorsichtige Liberalisierungen wollte Kádár eine höhere Akzeptanz in der Bevölkerung erreichen, hielt dabei jedoch stets an der kommunistischen Staatsdoktrin fest.
Ärgerlich ist die eigenwillige Zitierweise Hauszmanns. Zwar ist es verständlich, dass die Herausgeber auf Fußnoten und Anmerkungen verzichten wollten und Zitate historischer Persönlichkeiten lediglich mit dem in Klammern gesetzten Nachnamen belegt wurden. Aber es wirkt äußerst verwirrend, wenn der Autor auf diese Weise auch viele Historiker zitiert, die nicht einmal in dem knappen Literaturverzeichnis auftauchen und sich in den betreffenden Zitaten oft auch eher allgemein und nicht explizit zur ungarischen Geschichte äußerten. So erschließt sich einem Lesepublikum außerhalb der Fachkreise wohl kaum, dass zum Beispiel mit "Möller" (241, 247) beziehungsweise "Gramml [sic!]" (238) die Münchner Zeit-Historiker Horst Möller und Hermann Graml gemeint sind, die beide im Übrigen mehr als nur ein Werk zu verzeichnen haben.
Hauszmanns Versuche, die Lesbarkeit des Buches durch lockere Redewendungen aufzuwerten, wirken erzwungen und überflüssig: "Nun mag der Leser nicht zu Unrecht nach der Beschaffenheit des politische [sic!] Lebens im Ungarn des ausgehenden 16. Jahrhunderts fragen." (102). Der Autor hätte stattdessen besser daran getan, einige seiner langen Schachtelsätze umzuformulieren: "Auch Andreas III. reihte sich nahtlos in die Reihe der berühmten Ahnen ein, nachdem er 1296 in zweiter Ehe Agnes, die Tochter des Herzogs Albrecht geheiratet und zwei Jahre später seine kleine Tochter Elisabeth aus der ersten Ehe mit dem gleichnamigen 13-jährigen Sohn des Königs von Böhmen, Wenzel II. (1283-1305), in Wien feierlich verlobt hatte, ohne dass die Vermählung je vollzogen worden wäre." (74).
Hilfreich sind die Karten, ein eigener Bildteil, das Verzeichnis "historischer Stätten" (298) und eine Zeittafel, die den Band illustrieren. Außerdem wird das Buch durch einen Anhang mit Kurzbiografien ergänzt, doch leider beschränken sich die Lebensläufe allein auf - männliche - Persönlichkeiten, die auch für die Politikgeschichte des Landes eine wichtige Rolle spielten. Ausgemachte Kulturgrößen wie den sicherlich bekanntesten Komponisten Ungarns, Béla Bartók, oder eine für die Frauenbewegung Ungarns wichtige Persönlichkeit wie die Erzieherin und Künstlerin Gräfin Blanka Teleki sucht man im Verzeichnis vergeblich.
Insgesamt betrachtet gibt das Buch Hauszmanns denjenigen Lesern, die sich zum ersten Mal eingehender mit der Geschichte Ungarns befassen, sicherlich einen allgemeinen Überblick. Der Autor macht deutlich, wie viele Verbindungen zwischen der ungarischen Landesgeschichte und der gesamteuropäischen Entwicklung bestanden. Leider versäumt es Hauszmann dabei aber an vielen Stellen, die zahlreichen einzelnen Ereignisse der ungarischen Geschichte in einen Gesamtzusammenhang zu stellen und durch gezielte Fragestellungen klare Leitlinien seiner Darstellung zu entwickeln.
Anmerkungen:
[1] Zum Beispiel Holger Fischer: Eine kleine Geschichte Ungarns, Frankfurt am Main 1999.
[2] Vergleiche die entsprechenden Aufsätze in: Brigitte Mihok (Hg.): Ungarn und der Holocaust. Kollaboration, Rettung und Trauma, Berlin 2004.
Dirk Riedel