Rezension über:

Vincenzo Lavenia: L'infamia e il perdono. Tributi, pene e confessione nella teologia morale della prima età moderna (= Ricerca), Bologna: il Mulino 2004, 424 S., ISBN 978-88-15-09611-1, EUR 30,00
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Rezension von:
Cornel Zwierlein
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Cornel Zwierlein: Rezension von: Vincenzo Lavenia: L'infamia e il perdono. Tributi, pene e confessione nella teologia morale della prima età moderna, Bologna: il Mulino 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 3 [15.03.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/03/8162.html


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Vincenzo Lavenia: L'infamia e il perdono

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Während die Ausdifferenzierung von forum internum (Beichte und Seelsorge) und forum externum (geistliche Gerichtsbarkeit) in der deutschen rechtshistorischen Forschung durchaus im Blick war (Peter Landau, Winfried Trusen), konzentrierte man sich später eher auf die Entwicklung im Bereich des forum externum, also insbesondere auf die Ausbildung des Inquisitionsprozesses (etwa Mathias Schmoeckel, Günther Jerouschek, dann die allgemeinhistorischen Studien zu den Hexenprozessen). Die auf das forum internum bezogene, moraltheologische beziehungsweise kanonistische Literatur fand demgegenüber im deutschen Sprachraum etwas weniger Beachtung, während in der italienischen Forschung, insbesondere seit der Studie von Miriam Turrini [1], seit nun gut 15 Jahren in der katholischen Kasuistik ein adäquater Quellenbestand gesehen wurde, um die (aus dem deutschen Sprachbereich von Pierangelo Schiera und Wolfgang Reinhard im- beziehungsweise exportierten) Heuristiken der Sozialdisziplinierung und später auch der Konfessionalisierung zu erproben.

Dieses derzeit um Paolo Prodi und Adriano Prosperi konzentrierte Forschungsfeld unterscheidet sich von allgemeineren mentalitätsgeschichtlichen (Delumeau) und solchen auf die Entstehung des modernen Gewissens konzentrierten Studien (Bossy, Kittsteiner) dadurch, dass es die Frage gerade auch nach dem forum internum in Zusammenhang mit den - kontrovers diskutierten - Staatsbildungs- und Säkularisierungsprozessen untersuchen will. Diese mit der "eretici"- und "eterodossi"-Forschung (von Delio Cantimori über Massimo Firpo bis zu Andrea Del Col) verbundene Fragestellung hat 1998 durch die viel beachtete Öffnung des Archivs der 1542 gegründeten römischen Inquisitionskongregation neuen Auftrieb erhalten, verallgemeinerte sich aber, insbesondere durch Paolo Prodis Publikation von 2000 (deutsch 2003) in Richtung auf eine "Geschichte der Gerechtigkeit". [2] In dieses dichte, wieder näher an ideen- und rechtsgeschichtlichen Ansätzen stehende Feld ist, nach den Vorgängen von Mahoney [3], Elena Brambilla [4] und Stefania Pastore [5], Lavenias Arbeit einzuordnen.

Er will anhand der Analyse von juristisch-theologischen Traktaten sowie Beichthandbüchern zeigen, dass sich die Entwicklungen in der katholischen Kasuistik im Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit als Reaktionen auf die Verstärkung der weltlichen und geistlichen Strafjustiz darstellen. Die Psychologisierung der Beichte sei darauf zurückzuführen, dass aufgrund des genannten, verstärkten jurisdiktionellen Zugriffs auf den einzelnen Untertanen die juristisch-theologisch geschulten Seelsorger und Beichtväter verstärkt über ihren eigenen Autonomiebereich, der mit dem geschützten Gewissensbereich der Anvertrauten korrespondierte, zu reflektieren hatten. Es galt Angeklagte und Sünder auseinander zu halten (17).

Was Lavenia behandelt, ist eigentlich jenseits des im Titel erscheinenden Infamie / Vergebung-Binoms die Geschichte des katholischen prä- und posttridentinischen Gesetzesbegriffes. Von Prodis Anregungen ausgehend, untersucht er nämlich gerade das komplizierte Verhältnis von "Gewissen" und "Gesetz" - nicht nur im engeren Zusammenhang der Beichte, sondern auch im Hinblick auf die (freilich hiermit verbundenen) Konfiskationsrechtslegitimationen der Inquisitionstribunale und zum Schluss im Hinblick auf die Interdiktdiskussion zwischen Sarpi und Bellarmin. Beinhalten menschliche Gesetze per se göttliches Recht, können und dürfen sie also auch die Seelen binden, dürfen Rechtsnormen mit der ipso-iure-Exkommunikationsfigur bewehrt sein, die göttliches und menschliches Recht, Vergehen, Urteil und Strafe in eins fallen lassen, sodass jeweils kein Raum mehr für eine getrennte seelsorgerische Mahnung, gegebenenfalls correctio und Absolution des Sünders oder gar Häretikers bleibt? - Diese zentralen Fragen beschäftigten die genannten Moraltheologen-Juristen immer wieder. Es ergeben sich im Wesentlichen zwei Traditionsstränge, bei der auf der einen Seite eine "liberale" Linie von Gerson und Erasmus über Vitoria zu Azpilcueta (dem "Navarrus") führt, auf der anderen insbesondere von Castro zu den "orthodoxen" Autoren der 1570er-Jahre eine "konfessionalistische".

Gerson wandte sich in De vita spirituali animae gegen den übersteigerten Anspruch der weltlichen und geistlichen (menschlichen) Gesetzgeber, dass ihre Gesetze gleich göttlichen zu behandeln seien. Die Verdammung sei allein Sache Gottes, und so könne kein weltlicher oder geistlicher (menschlicher) Gesetzgeber das Recht haben, direkt über die menschliche Seele zu richten. Die Trennung von culpa iuridica und culpa theologica nimmt hier einen Ausgangspunkt. Bei Erasmus findet sich in verschiedenen Schriften entgegen der radikalen protestantischen Kritik an der Beichte durchaus noch eine Wertschätzung, dies aber vor allem in ihrem Charakter als "Medizin" für die Seele des Sünders, kaum in ihrer forensischen Interpretation. Insofern verteidigt er gerade den Gewissensschutz gegen die jurisdiktionellen Mechanismen, insbesondere der casus reservati und der crimina excepta. Vitoria ging so weit, bei der Auslegung von Mt 18, 15-17, dem Ausgangspunkt der kanonistischen Konfessions- und Poenitenzregeln, zwischen der denunciatio des Sünders gegenüber der Öffentlichkeit und der correctio fraterna stets zu Gunsten der Letzteren dem Beichtvater sogar Dissimulation zur Bewahrung des sakramentalen "Siegels" der Beichte zu empfehlen. Von der Stoßrichtung her verwandt, wenn auch aufgrund ganz anderer Ausgangspositionen und Methoden, ist die humanistisch-juristische Kritik an den Rechtspraktiken der Güterkonfiskation der Inquisitionstribunale 1508 durch Guillaume Budé und ihm folgend im mos gallicus.

Gegen diese unterschiedlich argumentierende kritische Opposition von Theologen und Juristen gegenüber einem allzu undifferenzierten Zugriff der geistlichen wie weltlichen Obrigkeit auf den Menschen, gerade auch in seinem Gewissensbereich, ging radikal Alfonso de Castro vor (De iusta haereticorum punitione, 1549 und De potestate legis poenalis libri duo, 1551 und öfter). Er legitimierte die Konfiskationen mit der latae-sententiae-Rechtsfigur der Exkommunikation: Da der Häretiker schon vor dem gerichtlichen Ausspruch der Verdammung ipso iure seine Rechtsfähigkeit verloren habe, sei er nur noch Besitzer, nicht aber mehr Eigentümer seiner Güter. Ganz allgemein verdammte er die vorgetragenen Thesen zur Begrenzung der Wirkungsmacht menschlicher Gesetze, weil hiermit dem Ungehorsam unstatthaft Vorschub geleistet werde. Auch menschliche Gesetze seien letztlich immer göttlichen Ursprungs ("Praecepta humana iusta censentur esse divina", zitiert 197).

Gegen Castro vertrat einer der einflussreichsten Moraltheologen des 16. und 17. Jahrhunderts, Martin Azpilcueta, genannt Navarrus, vorsichtig noch bis ins letzte Viertel des 16. Jahrhunderts eher die inzwischen heterodoxieverdächtigen gersonianisch-erasmischen Positionen (Silvana Seidel-Menchi!) und bemühte sich um den heilend-pflegenden Charakter des Umgangs mit dem potenziellen Sünder in der Beichte - also um den Schutz des forum internum. Navarros Kommentare und Handbücher gingen insbesondere in der Frühzeit des Jesuitenordens in dessen Lehrprogramme ein, bevor die Exerzitienliteratur sie verdrängte. Dieser Breitenwirkung ist es zu verdanken, dass noch Paolo Sarpi sich auf Azpilcueta beruft, wenn er die Nichtbeachtung des Interdikts seitens Venedigs mit der nur begrenzten Wirkmächtigkeit menschlicher (und also auch päpstlicher) Gesetze gegen Bellarmin 1606/07 verteidigt. Lavenia deutet an, dass die konfligierenden Konzeptionen sich ideengeschichtlich letztlich auch jeweils als Konflikte zwischen Augustinismen und Thomismen begreifen lassen.

Als Kritik an Lavenias Arbeit kann nur das Detail bemängelt werden, dass die im Text genannten leges und canones nicht nach den üblichen Zitierweisen von Corpus iuris civilis und canonici aufgelöst werden, was das leichte Nachschlagen erschwert (eine "lex Sancimus im Corpus iuris civilis" gibt es natürlich mehrmals). Vom Aufbau her hätte die Vorschaltung eines kurzen systematischen Abrisses, wie abstrakt und idealtypisch Beichte, Häretikerdogmatik, Fiskalsystem, forum internum / externum, Inquisitionsprozess auf der einen Seite und die Diskussion um den Charakter und die Validität der (menschlichen, natürlichen, göttlichen) Gesetze zusammenhängen, den Zugang zu den dann folgenden vertieften Detailanalysen erleichtert. Ein für die deutschsprachige Forschungsdiskussion interessantes Nebenprodukt ist Lavenias Gebrauch des Begriffs "Konfessionalisierung" (etwa 173, 391): Im deutschsprachigen Zusammenhang leitete sich der Begriff natürlich von den öffentlich abgelegten und publizierten Glaubensbekenntnissen und der von ihnen ausgehenden interkonfessionellen Abgrenzung ab (zum Beispiel Confessio Augustana). Bei Lavenia, der die deutsche Diskussion hier nur vermittelt zu rezipieren scheint, ergibt sich im Argumentationsduktus immer eher ein Anschluss an den lateinisch-italienischen Begriff für das Sakrament und die Institution der Beichte: confessio / confessione. Wenn er von Castro schreibt, dass hier die "leges konfessionalisiert" werden sollen (173), so meint das ganz konkret die theoretische Ausformulierung und Legitimation der Verschmelzung der Bereiche von Beichte (confessio) und Inquisition, von forum internum und externum; es meint die Sakralisierung der weltlichen Gesetze im Anspruch, auch der weltliche Gesetzgeber könne den Menschen im Innersten binden. Ob es nun ein produktives Missverständnis oder eine bewusste Umdeutung ist: jedenfalls erscheint diese Begriffsfüllung fast tiefsinniger und trennschärfer an die historische Terminologie anknüpfend als die abstraktere Prozessbegrifflichkeit im Deutschen. Diesen Anspruch der "Konfessionalisierung" der Gesetze und Institutionen auf der Diskursebene wird für das konfessionelle Zeitalter niemand leugnen können - und mit der sozialgeschichtlichen Diskussion über Durchsetzung / Nichtdurchsetzung des Anspruches, die Gewissen normierend zu erfassen, muss sich Lavenia nicht auseinander setzen. Seine Untersuchung gerade auch der Traditionen, die sich diesem Ansinnen entgegenstellen, zeigt freilich zugleich, dass ein sozial- und kulturhistorischer Prozessbegriff, der beide konfligierenden Diskursebenen erfassen will, nicht einfach in einem eindimensionalen Begriff von "Konfessionalisierung" aufgehen kann. Ein solcher Begriff müsste vielmehr die Beobachterperspektive derjenigen Theologen und Juristen auf ihre Diskursoptionen, da sie hier theoretisch die Sakralisierung oder Nicht-Sakralisierung der Gesetze diskutieren, selbst beobachtend erfassen können.

Lavenia will mit seiner Studie einen "antistaatlichen" Traditionsstrang aufzeigen, der eben auch zu den Komponenten des neuzeitlichen Katholizismus gehöre (36), nicht nur die oft und gerade auch derzeit im Vordergrund stehenden direkt repressiven Tendenzen und Institutionen. Jenseits der etwas larmoyanten Wertverlust-Klage Prodis am Ende seiner "Geschichte der Gerechtigkeit" (der heutigen "eindimensionalen Norm" des rechtspositivistischen Staate fehle ein dem Recht vorgelagertes, mit diesem aber in einem "dialektischen Verhältnis" stehendes moralisches Normensystem), ist vielleicht Lavenias Wahl seines Untersuchungsgegenstandes vor dem Hintergrund einer berlusconisierten Staatsebene im derzeitigen Italien implizit auch ein verstecktes Zeugnis für die Attraktivität einer vom staatlichen Zugriff geschützten, durchaus aber normativen Ausgangsposition, von der aus im Zweifel gar Widerstand zu leisten ist (Sarpi). Ohne Lavenia diese brisante assoziative Horizontverschmelzung selbst unterschieben zu wollen, sei zum Schluss betont, dass diese Studie in ihrem komplexen und luziden ideengeschichtlichen Nachvollzug der divergenten Argumentationslinien, bei dem die konkreten politischen und verfassungsstrukturellen Kontexte immer hinreichend eingeholt werden, eine höchst anregende Lektüre ist.


Anmerkungen:

[1] Miriam Turrini: La coscienza e le leggi. Morale e diritto nei testi per la confessione della prima Età moderna, Bologna 1991.

[2] Paolo Prodi: Eine Geschichte der Gerechtigkeit. Vom Recht Gottes zum modernen Rechtsstaat. Aus dem Italienischen von Anette Seemann, München 2003.

[3] John Mahoney: The making of moral theology. A study of the Roman Catholic Tradition, Oxford 1987.

[4] Elena Brambilla: Alle origini del Sant'Uffizio. Penitenza, confessione e giustizia spirituale dal medioevo al XVI secolo, Bologna 2000.

[5] Stefania Pastore: Il Vangelo e la spada. L'Inquisizione di Castiglia e i suoi critici (1460-1598), Roma 2003.

Cornel Zwierlein