Rezension über:

Jörg Engelbrecht / Clemens von Looz-Corswarem (Hgg.): Krieg und Frieden in Düsseldorf. Sichtbare Zeichen der Vergangenheit (= Veröffentlichungen aus dem Stadtarchiv Düsseldorf; Bd. 10), Düsseldorf: Grupello Verlag 2004, 373 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-89978-003-1, EUR 24,80
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Rezension von:
Wulff Bickenbach
Meerbusch
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Wulff Bickenbach: Rezension von: Jörg Engelbrecht / Clemens von Looz-Corswarem (Hgg.): Krieg und Frieden in Düsseldorf. Sichtbare Zeichen der Vergangenheit, Düsseldorf: Grupello Verlag 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 4 [15.04.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/04/6654.html


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Jörg Engelbrecht / Clemens von Looz-Corswarem (Hgg.): Krieg und Frieden in Düsseldorf

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Der Sammelband erschien im Rahmen des Projektes "Krieg und Frieden der EUROGA 2002, einer wiederkehrenden Veranstaltung mit Ausstellungen und Projekten, die Regionen Nordrhein-Westfalens, aber auch grenzüberschreitend der Niederlande kultur- und kunstgeschichtlich portraitieren. Wer von diesem Buch eine geschlossene Geschichte von Krieg und Frieden in Düsseldorf erwartet, wie dies der etwas irreführende Titel suggeriert, wird zwar enttäuscht sein, dennoch ist die Lektüre sehr lohnend. Rechtzeitig zum 60. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges erschienen, stellen die hier vereinten Beiträge das Thema in einer ungewöhnlichen Perspektive dar. Zwar nennt Looz-Corswarem den Band in seinem Vorwort ein "Geschichtsbuch zu Krieg und Frieden in Düsseldorf" (11), aber es ist kein Geschichtsbuch im herkömmlichen Sinne: Die Geschichte Düsseldorfs in Krieg und Frieden wird nicht durchgehend chronologisch dargeboten. Dafür ist sie auch zu umfangreich und weit gefächert. Stattdessen werden von einer Vielzahl von Autoren unterschiedliche Aspekte des Themas in Auswahl vorgestellt und vertiefend behandelt. Der Leser kann sich bei der Lektüre also auf Einzelprobleme konzentrieren, oder er unterzieht sich der lohnenden Mühe, seine Leseeindrücke zu einem Gesamteindruck zu verweben.

Das Buch ist in sechs Hauptabschnitte eingeteilt. Mit vier Überblicksartikeln führt der einleitende Teil historisch in die Materie ein. Die Teile II und III beschäftigen sich anhand von Beiträgen über die Pfalz zu Kaiserswerth und Düsseldorf als Festungsstadt mit Zitadelle mit bau- und ereignisgeschichtlichen Gegebenheiten militärischer Verteidigung und ihrem Wandel in älterer Zeit. Mit dem Bau der Zitadelle wurde im ersten Drittel des 16. Jahrhundert begonnen, vollendet wurde er nie. Das Zitadell-Gelände wurde nach 1680 zivil bebaut und besiedelt. Der dritte, stärker mentalitätsgeschichtliche Teil beleuchtet das Thema unter dem Gesichtspunkt von Denkmälern in Düsseldorf. Die beiden letzten Hauptabschnitte befassen sich mit den beiden Weltkriegen und dem, was die Stadt davon bis heute prägt. Der Band ist reich mit zeithistorischen Darstellungen und Aufnahmen illustriert, die Bildunterschriften mit Quellenangaben und der gesamte wissenschaftliche Apparat finden sich mit ausführlichen Literaturangaben am Ende jedes Hauptabschnittes.

Im einleitenden Teil vermitteln vier Beiträge eine Vorstellung der militärischen Bedeutung Düsseldorfs. Jörg Engelbrecht führt detailreich durch die kriegerischen Ereignisse im Rheinland seit der erfolglosen Belagerung von Neuss durch Karl den Kühnen 1475 bis zur Wiedervereinigung. Die Einstellung der Düsseldorfer zu ihrer Stadt als Garnison analysiert Looz-Corswarem: Sie wandelte sich von der Wut über die hohen Kosten für die militärische Belegung im Jahr 1583 hin zum Stolz auf die Traditionen einzelner militärischer Verbände und die Pflege dieser Traditionen bis ins 20. Jahrhundert. Ergänzend beschäftigt sich Bernd Kortländer mit einem literarischen Beitrag zu Krieg und Frieden in Düsseldorf in der Mitte des 19.Jahrhunderts. Christian Leitzbach beleuchtet abschließend Düsseldorfs Rolle als Rüstungsstadt sowie besondere wehrtechnische Erfindungen, die in Düsseldorf gemacht wurden und sowohl für den Krieg als auch den Frieden wichtig wurden: das nahtlose Rohr und das Rohrrücklaufgeschütz.

Die Autoren von Teil II und III (zweimal Engelbrecht, Paul Clemen in einem Wiederabdruck eines Aufsatzes von 1909, Fritz Dross und Edmund Spohr) schildern den Bedeutungswandel militärischer Bauten in Düsseldorf im Verlauf der Jahrhunderte von kriegerischen, wehrhaften Anlagen zu zivilen Überresten. In dem etwas überdimensionierten vierten Hauptabschnitt, "Denkmäler und Mentalitäten", wird dargelegt, wie sich die Bestimmung der auf Krieg und Frieden bezogenen Denkmäler der Stadt wandelte: Susanne Brandt stellt die immer wieder öffentlich diskutierte Frage nach dem heutigen Sinn zeitgenössischer Denkmäler zum Ersten Weltkrieg. Deren Bedeutung liegt aber heute nur noch im Rituellen und Dekorativen, denn Bedeutung erhält ein Denkmal erst durch eine informelle Gemeinde, die trauert oder gedenkt. Diese kommt heute nur noch selten zusammen und bleibt in der Interpretation des Denkmals stumm. Wenn die Deutungen allerdings öffentlich kontrovers ausgetragen werden, wie nach dem Zweiten Weltkrieg die Diskussionen im Falle des Ulanendenkmals am Rhein und der beiden 39er-Denkmäler, dann vermitteln Denkmäler auch gewandelte Geschichtsdeutungen. Zu den öffentlichen Kontroversen nehmen ausführlich zwei weitere Beiträge Stellung (Looz-Corswarem und Gerd Krumeich). In den letzten beiden Hauptteilen werden der Verlauf beider Weltkriege in Düsseldorf und die direkte und indirekte Beteiligung seiner Bewohner sehr dicht und einprägsam dargestellt. Neben den unsichtbaren, zwar vorhandenen, aber immer noch weitgehend unterdrückten Erinnerungen sind es besonders zwei bauliche Zeugnisse beider Weltkriege, die friedlich in unsere Zeit hinein wirken: die Westdeutsche Kieferklinik und die Bunkerkirche in Heerdt. Bis auf einen Bombenangriff blieb Düsseldorf im Ersten Weltkrieg von direkten kriegerischen Einwirkungen verschont. Die anderen, wirksameren Auswirkungen des Krieges schildert Uta Hinz. Sie verweist zwar darauf, dass die These einer ungebrochenen kollektiven Kriegsbegeisterung im Jahr 1914 in der neueren Forschung relativiert werde, konstatiert im Falle Düsseldorfs aber doch eine beträchtliche "Reichweite der nationalistischen Mobilisierung" (239). Obwohl Düsseldorf nicht direkt vom Krieg betroffen war, konnte die Bevölkerung der Stadt die durch den Krieg am menschlichen Körper verursachten Zerstörungen unmittelbar erfahren. Bis 1918 kamen mehr als 113.000 Verwundete nach Düsseldorf und wurden hier behandelt. An den Krankenhäusern entstanden Spezialabteilungen, unter denen besonders die Abteilung für Kieferverletzungen hervorzuheben ist, die spätere Westdeutsche Kieferklinik: Sie ist heute eine medizinische Einrichtung der Unfallchirurgie mit internationaler Reputation und geht auf die Kiefer- und Gesichtschirurgie zurück (hierzu ein Beitrag von Albrecht-Alexander Geister). Ein weiterer Beitrag (Looz-Corswarem) befasst sich mit der finanziellen Kriegsunterstützung durch die Düsseldorfer Bevölkerung. Joachim Schröder zeigt im abschließenden Teil des Buches auf, dass es Düsseldorf während des Zweiten Weltkrieges nicht anders als den meisten anderen deutschen Städten erging: Die Stadt wurde durch 243 Luftangriffe gründlich zerstört: 234 Luftangriffe vernichteten 86.500 Wohnungen, Düsseldorf wurde zu 51% zerstört, 5.800 Menschen kamen dabei um. Goebbels schrieb 1943 nach einer Rundreise durch das Ruhrgebiet zum Thema Luftangriffe: Nur in Düsseldorf schien mir die Stimmung etwas gedrückt zu sein. Das liegt wohl am intellektuellen Charakter der Stadt" (303). Der Beitrag von Bruno Kamman über die Bunkerkirche in Heerdt schildert die Konversion eines Bauwerkes vom Schutzbau im Zweiten Weltkrieg zum Sakralbau im Frieden. Weitere Beiträge in diesem letzten Teil widmen sich dem "Wehrbezirkskommando Düsseldorf" (Frank Sparing) und der Ausstellung von Arbeiten des koreanischen Künstlers Yong-Chang Chung zum Thema "Krieg" in der Bunkerkirche in Heerdt.

Die Zeit von 1288, als Düsseldorf die Stadtrechte bekam, bis zur Belagerung von Neuss 1475 war wohl nicht sehr kriegerisch für Düsseldorf. Sie wird in dem Band nicht erwähnt. Im Rahmen des auf Düsseldorf beschränkten Themas die NATO (mit zum Teil falschen Daten) und ihre Strategien (mit einer im Sinn der Friedensbewegung der 1980er-Jahre fehlinterpretierten Strategie) zu erwähnen, erscheint zumindest unpassend (32-34). Betrachtet man alle Beiträge, so scheint "Krieg und Frieden" für Düsseldorf kein spezifisches Thema gewesen zu sein, da die Stadt niemals kriegsrelevante Strukturen wirklich prägenden Charakters ausbildete. Der Reiz des Buches liegt somit in der Zusammenstellung ausgesuchter Themen und ihrer ausführlichen Betrachtung, die sachlich wie methodisch über den lokalen Horizont der Stadt Düsseldorf hinausweisen.

Wulff Bickenbach