Martin Kohlrausch: Der Monarch im Skandal. Die Logik der Massenmedien und die Transformation der wilhelminischen Monarchie (= Elitenwandel in der Moderne; Bd. 7), Berlin: Akademie Verlag 2005, 536 S., ISBN 978-3-05-004020-2, EUR 59,80
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Martin Kohlrausch / Katrin Steffen / Stefan Wiederkehr (eds.): Expert Cultures in Central Eastern Europe. The Internationalization of Knowledge and the Transformation of Nation States since World War I, Osnabrück: fibre Verlag 2010
Die herausragende politische Bedeutung der Medien ist in einer Zeit, in der Wahlkämpfe in "Fernseh-Duellen" gipfeln, längst ein Allgemeinplatz. Nicht zuletzt deshalb hat die Geschichtswissenschaft in den letzten Jahren ihren Begriff des Politischen zunehmend um die Dimension des Medialen erweitert. [1] Eine Zäsur hat man dabei für die Zeit um 1900 ausgemacht, der Begriff der "Medienrevolution" soll diesen grundlegenden Wandel einfangen: In eben jenen Jahrzehnten kristallisierte sich der "politische Massenmarkt" (Hans Rosenberg) heraus, dessen Entstehung mit der explosionsartigen Expansion des Zeitungsmarktes untrennbar verknüpft war. Die bei weitem exponierteste und folglich meist diskutierte Figur dieser durchbrechenden Mediengesellschaft war Wilhelm II. Obgleich sich ihm die Kaiserreichforschung auch in den letzten Jahren intensiv widmete, blieb die mediale Dimension seiner Herrschaft jedoch bisher weitgehend ausgeblendet. [2] Dies ist umso erstaunlicher, da sich Wilhelm II. wie kein Monarch vor ihm in der Öffentlichkeit exponierte.
In diese Lücke stößt Martin Kohlrauschs Dissertation, die in Berlin bei Heinz Reif entstand. Kohlrausch interessiert sich dafür, "was mit Monarchie und Monarchen geschah, als sie mit den Massenmedien konfrontiert wurden, aber ebenso, welche Funktion die traditionelle Institution für den politischen Diskurs der Massenpresse ausfüllte" (11). [3] Dazu analysiert er den medialen Diskurs über Wilhelm II. anhand prominenter Skandale, in die der Monarch verwickelt war. In ihrer chronologischen Reihenfolge geben diese auch die Gliederung der Untersuchung vor: die Caligula-Affäre 1894, der Eulenburg-Skandal 1906/09, die Daily Telegraph-Affäre 1908 sowie die "Kaiserflucht" von 1918, die in der Weimarer Republik intensiv diskutiert wurde. Die Beschränkung auf jene Skandale ist dabei nicht nur arbeitsökonomisch begründet, sondern basiert zugleich auf der grundlegenden Annahme, dass gerade die Skandale massive Veränderungen in der Deutung des Monarchen bewirkten.
Es geht dem Autor aber nicht nur darum aufzuzeigen, wie das Sprechen über den Monarchen stufenweise enttabuisiert wurde, und wie sich die öffentliche Meinung allmählich gegen den Monarchen kehrte, um somit das beinahe geräuschlose Ende der Monarchie 1918 plausibler machen zu können. Vielmehr legt er der Darstellung die Hypothese zu Grunde, dass der Monarchiediskurs unter den Bedingungen einer revolutionierten Medienöffentlichkeit zunehmend plebiszitäre Forderungen aufnahm und - so die pointierte Folgerung - die Transformation der Monarchie damit in direktem Zusammenhang mit Diskussionen um Führerkonzepte stand. Kohlrausch will mithin aus dem medialen Diskurs über den Monarchen weiter reichende politische Leitvorstellungen ableiten, die sich im demokratischen Mobilisierungsprozess herausbildeten.
Diesem ambitionierten Programm kommt der Autor in seiner quellengesättigten Studie auf anregende Weise nach. Auf der Grundlage von über hundert überregionalen, wichtigen regionalen und Parteizeitungen sowie anderer Massenpublizistik wie Pamphleten und Zeitschriften konstatiert er einen allmählichen Wandel der Deutung von Monarch und Amt, deren Paradigmen sich schon bei der Caligula-Affäre 1894 in Umrissen abzeichneten. Der Monarch wurde nicht mehr nach tradierten monarchischen Tugenden beurteilt, vielmehr gestand man ihm individuelle Eigenschaften zu. Dass diese bei Wilhelm II. besonders auffällig ausgeprägt waren, bewertete die Presse zunächst positiv und trug damit zur Charismatisierung Wilhelms II. bei. Diese Umdeutung war aber nicht nur der neuen Interpretation des Kaiseramts durch den eitlen, zur Selbstdarstellung neigenden Herrscher, sondern vor allem auch dem Bedürfnis der Medien nach Personalisierung abstrakter Strukturen und Vorgänge geschuldet. Die Entwicklung unterwarf die Monarchie aber zwangsläufig einem an bürgerlichen Normen ausgerichteten Leistungs- und Tugendkatalog, was sich durch die Entlassung Bismarcks noch zusätzlich verstärkte. Dass Quiddes Caligula-Text eine umfangreiche, wochenlange Diskussion über den Monarchen nach sich ziehen konnte, war nicht zuletzt Ergebnis einer enttäuschten hohen Erwartungshaltung.
In der Debatte tauchte schließlich auch ein Topos auf, der für die weitere Monarchiediskussion entscheidend werden sollte: Die Problematisierung der Monarchie wurde in zahlreichen Presseartikeln durch Störungen in der Kommunikation zwischen Herrscher und Volk erklärt. Einige Presseorgane etwa bemängelten, dass die Ratgeber den Kaiser einseitig informierten - etwa durch tendenziöse Auswahl von Pressetexten - und über die Meinung des Volkes täuschten. So ließen sich die Irritationen um kaiserliche Handlungen und Reden erklären. Hierbei handelte es sich keineswegs nur um eine Sprachregelung, die von den persönlichen Schwächen des Kaisers ablenken sollte. Vielmehr waren mit der Forderung nach ungehinderter Kommunikation des Volkes - und das konnte praktisch nur heißen: der Medien - mit dem Monarchen Partizipationsansprüche verbunden.
Nicht zufällig entspann sich der nächste große kaiserliche Skandal um genau diese Thematik: Die Eulenburg-Affäre enthüllte die Existenz der bereits vermuteten Kamarilla. In der empörten Diskussion dieses in seiner Bildhaftigkeit extrem medientauglichen Topos offenbarte sich dann - so eine zentrale These des Autors - das politische Idealbild einer cäsaristischen Monarchie, in der Herrscher und Volk über die Medien direkt miteinander kommunizierten. Der Monarch solle demnach konsistente politische Visionen formulieren, die das Volk via Presse diskutieren würde. Auf diesem Wege seien plebiszitäre Strömungen auf das monarchische System projiziert worden.
Hier konnten, so Kohlrausch, innerhalb der Monarchie Führerkonzepte ansetzen. Dieser Begriff bleibt leider etwas schwammig: Als Charakteristika der Führerkonzepte lassen sich neben einer vollständig personalisierten Politikwahrnehmung nur die Vorstellungen einer plebiszitären Bindung der Herrschaft und die damit verbundenen Leistungsforderungen des Volkes an den Herrscher festmachen. Die stetige Diskreditierung Wilhelms II. in weiteren Skandalen führte dazu, dass sich diese Führererwartungen zunehmend von der Person des Monarchen lösten. Im Eulenburg-Skandal und in der Daily Telegraph-Affäre waren Tabus im Sprechen über den Monarchen zunehmend weggefallen, nicht zuletzt auch wegen der Eigendynamik der am ökonomischen Erfolg ausgerichteten Presse: Wer Zeitungen verkaufen wollte, durfte in der Kommentierung des Monarchen an Schärfe nicht hinter den Konkurrenten zurückbleiben. Hier kehrte sich die Individualisierung der Monarchie nun gegen Monarchen selbst: Seine persönlichen Eigenschaften wurden von Skandal zu Skandal ungehemmter diskutiert. Die vermeintlich starke Individualität des Kaisers wurde nun zunehmend weniger als Stärke im Sinne bürgerlicher Normen, sondern als Problem erkannt. Endgültig diskreditierte sich der Kaiser mit seiner "Flucht" ins holländische Exil. Diese Verengung der Diskussion auf persönliche Eigenschaften hatte schließlich den Effekt, dass sämtliche Fehlentwicklungen einzig mit der Persönlichkeit des Kaisers erklärt werden konnten, die zu Grunde liegenden Strukturen der autoritären Staatsform aber gerade nicht hinterfragt werden mussten. Zugleich beförderte der mediale Monarchiediskurs das "Einüben" einer personalisierten Politikwahrnehmung, und dies wiederum begünstigte Führerkonzepte.
Kohlrausch versteht es in seiner gedankenreichen Studie einerseits, der Relevanz des mediengeschichtlichen Blickwinkels auf die Epoche besonderen Nachdruck zu verleihen, indem er überzeugend nachweist, wie stark die "Eigenlogik" der Medien den politischen Diskurs und damit ein gutes Stück weit die politische Entwicklung bestimmte. Am sichtbarsten wird dies in der so genannten Flucht des Kaisers nach Doorn. Anstatt den abstrakten staatsrechtlichen Vorgang der Abdankung zu diskutieren, griff die Presse das bildhafte Ereignis der Flucht auf. Andererseits kommt Kohlrausch durch seinen mediengeschichtlichen Blick auf die Monarchie zu sehr pointierten Schlussfolgerungen: Aus seiner Perspektive erscheint der mediale Monarchiediskurs als der Ort, der die demokratischen Tendenzen der Zeit auffing. Die politische Diskussion habe sich aus dem Parlament in die Presse verlagert, die sich spätestens seit der Daily Telegraph-Affäre als einheitlich handelnde politische Macht begriff. So könne man auch erklären, "warum Parlamentarisierungsforderungen so schwach blieben, ohne auf das analytisch äußerst unbefriedigende Argument einer generellen Autoritätshörigkeit ausweichen zu müssen" (298). Dass die Presse als zentrale Partizipationsinstanz wahrgenommen wurde, erklärt Kohlrausch mit den praktischen Erfolgen, die im Monarchiediskurs erreicht wurden: der Entlassung Eulenburgs 1906 sowie der "Unterwerfungserklärung" im November 1908, in der Wilhelm II. künftige Zurückhaltung gelobte. Diese Argumentation erscheint nicht nur deshalb fragwürdig, weil diese Erfolge doch recht dürftig erscheinen, zumal sich das öffentliche Gebaren des Kaisers auch künftig wenig änderte und die vermeintliche "Kapitulation" gegenüber der öffentlichen Meinung kaum längerfristig als solche empfunden werden konnte. Auch wäre zu prüfen, ob das Modell einer direkten Kommunikation zwischen Volk und Monarch noch als ungebrochen viel versprechend erschien, als sich der Medienverbund gegenüber der Exekutive als ohnmächtig erwies, etwa in der Zabern-Affäre 1913. Bei der Formulierung solch weit reichender Thesen erscheint die Einschränkung auf Skandale eher verzerrend, schließlich schwächten diese die Position des Monarchen kurzfristig ganz entschieden - und stärkten damit umgekehrt die Position der Medien für den Moment.
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Darstellung: Obwohl es sprachlich-stilistisch nichts zu beanstanden gibt, fällt es doch mitunter schwer, der Argumentation des Autors zu folgen. Die facettenreiche Untersuchung wäre einfacher zu bewältigen, wenn etwa die jeweiligen Fragestellungen oder Thesen der Unterpunkte explizit formuliert worden wären. So wird dem Leser eine recht hohe Abstraktionsleistung abverlangt, um bei den zahlreichen Verästelungen der Darstellung den Überblick zu behalten, umso mehr, als Bezüge bisweilen unklar bleiben und manche Widersprüchlichkeit unaufgelöst bleibt: zum Beispiel über die Eindrücke der Besucher in Doorn: "Augenzeugenberichte waren fast immer positiv" [...] selbst unter jenem letzten monarchistischen Aufgebot [...] überwog auf der Rückfahrt die Enttäuschung" (402, 404). Diese Kritik soll aber nicht die Gesamtleistung des Autors schmälern, sowohl der Diskussion um das demokratische Potenzial und die Entwicklungsfähigkeit des monarchischen Konstitutionalismus als auch der Debatte um die Fundamentalpolitisierung in inhaltlicher wie methodischer Hinsicht neue Impulse verliehen zu haben.
Anmerkungen:
[1] Ein gutes Beispiel dafür ist der 2001 eingerichtete Bielefelder Sonderforschungsbereich 584 "Das Politische als Kommunikationsraum in der Geschichte". Erste Ergebnisse sind veröffentlicht in: Ute Frevert / Wolfgang Braungart (Hg.): Sprachen des Politischen. Medien und Medialität in der Geschichte, Göttingen 2004.
[2] Der zweite Band der monumentalen Biografie John C.G. Röhls etwa schenkt der kaiserlichen Medienpolitik fast keine Beachtung; John C.G. Röhl: Wilhelm II. Der Aufbau der persönlichen Monarchie 1888-1900, München 2001.
[3] Diese Rezension wurde auf der Grundlage der Fahnen geschrieben. Die Seitenangaben beziehen sich auf diese Zählung.
Dominik Petzold