Cecilia Nubola / Andreas Würgler (a cura di): Forme della comunicazione politica in Europa nei secoli XV - XVIII / Formen der politischen Kommunikation in Europa vom 15. bis 18. Jahrhundert. Suppliche, gravamina, lettere / Bitten, Beschwerden, Briefe (= Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts in Trient; Beiträge 14), Berlin: Duncker & Humblot 2004, 402 S., ISBN 978-3-428-11582-2, EUR 26,00
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Politische Kommunikation ist nun schon seit etlichen Jahren einer der beliebtesten und ertragreichsten Bereiche nicht nur der Frühneuzeitforschung. Im Jahr 1999 initiierte Cecilia Nubola vom Istituto storico italo-germanico in Trento das Forschungsprojekt "Petitionen, gravamina und Bittgesuche in der Frühen Neuzeit in Europa (14. bis 18. Jahrhundert)", das sie von 2000 bis 2003 zusammen mit Andreas Würgler vom Historischen Institut der Universität Bern weiter verfolgte und dessen Ergebnisse in insgesamt drei internationalen Kolloquien zusammengetragen wurden. Die erste und ein Teil der zweiten Tagung wurden bereits in einem Sammelband dokumentiert. [1] Der vorliegende Band enthält die verbliebenen Beiträge der zweiten Konferenz sowie die Referate der Dritten, die im Dezember 2000 in Trient stattfand.
Der Band versammelt neben dem Vorwort der Herausgeber sechzehn Beiträge (in italienischer, in deutscher und [einen] in englischer Sprache) zu unterschiedlichsten Formen des Bittens und Begehrens, die locker in drei große Themenblöcke gruppiert sind. Der erste Teil, der eng an den ersten Band anknüpft, behandelt "Suppliken an geistliche und weltliche Instanzen". Der zweite, umfangreichste Block widmet sich "Gravamina und Widerstandshandlungen", während der Dritte "Empfehlungsschreiben und Bittbriefe" in den Blick nimmt.
Der thematische Bogen des Sammelbandes ist weit gespannt: Geografisch sind die aragonesischen beziehungsweise spanischen Königreiche Sizilien und Sardinien, das päpstliche Rom, die Lombardei, das Trentino, das eidgenössische Bern, verschiedene süddeutsche Reichsstädte, aber auch das nördliche Deutschland bis nach Göttingen und Braunschweig einbezogen. Selbst Frankreich ist in einem Beitrag vertreten. Zeitlich spannt sich der Bogen von einem deutlichen Schwerpunkt im 15. und 16. Jahrhundert bis ins 18. Jahrhundert. Der Leser fragt sich, ob diese zeitliche Verteilung der Beiträge zufällig ist oder etwa einen Rückgang der Bedeutung von Bitten und Begehren in der politischen Kommunikation der späteren Frühen Neuzeit widerspiegelt.
Wie vielgestaltig auch die behandelten Gegenstände und die methodischen Ansätze sind, mag ein kursorischer Blick auf die einzelnen Aufsätze zeigen: Im ersten Teil zeigt Paolo Ostinelli am Beispiel der Diözese Como, wie die bischöflichen Behörden durch die Suppliken von Pönitenten an die päpstliche Pönitentiarie formal beiseite gedrängt wurden, aber dennoch einen indirekten Einfluss behielten. Christian Zendri behandelt den zeitgenössischen Versuch einer Theorie sowie Systematik des Supplikationswesens des ansonsten nicht weiter besonders bemerkenswerten französischen Juristen Pierre Rebuffi (1487-1557). Daneben stehen Beobachtungen von Peter Blastenbrei zu Petitionen um Begnadigung und Straferleichterung anhand zweier römischer Quellenbestände. Seine Beobachtungen legen "eine Einordnung, ja, feste Einbindung" der Suppliken "in den weiten Bereich der Gnade innerhalb der päpstlichen Strafjustiz nahe" (69). Für Augsburg im 16. Jahrhundert zeigt Carl A. Hoffmann, dass die Suppliken im reichsstädtischen Strafprozess einen wichtigen Faktor für die Urteilsbemessung darstellten, allerdings weniger im Sinne eines Aushandelns des Urteils, als dass das Gericht die Bereitschaft zeigte, Milderungsgründe gelten zu lassen, wenn das Einwirken des gesellschaftlichen Umfeldes des Delinquenten dessen soziale Reintegration wahrscheinlich erscheinen ließ. Maren Bleckmann untersucht an einem Fallbeispiel aus dem Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel Suppliken als eine Möglichkeit, einen Rangkonflikt auszutragen.
Im zweiten Teil schildert Pietro Corrao die "capitula impetrata" der Gemeinden des Königreichs Sizilien im 15. Jahrhundert als Ergebnisse des Aushandelns zwischen den städtischen Eliten und der Krone. In seiner knappen Skizze entwirft Diego Quaglioni ein Bild der Schwäche des sardinischen Parlaments gegenüber der spanischen Zentrale in der Zeit Philipps II. Ausführlich schildert Massimo Della Misericordia die politische Kultur der alpinen Gemeinden im Herzogtum Mailand und, vor dem Hintergrund der Konzeption des "pattismo", das Verhältnis dieser Gemeinden zur Zentralregierung der Visconti und Sforza. Heinrich Richard Schmidt ordnet "Gravamina, Suppliken, Artikel, Aktionen" in das Eskalationskontinuum der Reformation ein, betont den Zusammenhang der Suppliken mit den jeweils herrschenden politischen Ideen und fordert, sie "aus diesem Kontext je neu zu definieren" (233). Carlo Taviani untersucht die Haltung der Stadt Trient gegenüber dem Fürstbischof während des Bauernkriegs von 1525, und Cecilia Nubola schildert die "guerra delle noci" im Hochstift Trient in den Jahren 1579/1580. Dem Akt der Übergabe von Gravamina widmet sich Urs Hafner am Beispiel süddeutscher Reichsstädte, sowohl für die Übergabe kollektiver Beschwerden von Bürgern an die Stadtregierung wie für die Präsentation bürgerschaftlicher Gravamina beim Reichshofrat in Wien.
Der dritte Teil eröffnet mit den Ausführungen von Simon Teuscher zu Gesuchen und Bittschriften an den Rat des spätmittelalterlichen Bern, wobei er bei der Betrachtung der "Chains of Favor" seinen Blick auf die "social mechanisms of organizing support" und die cultural patterns of legitimizing individual claims" (328) richtet. Irene Fosi analysiert unterschiedlichste Formen der Empfehlung und Selbstempfehlung im päpstlichen Rom des 17. Jahrhunderts, wendet sich jedoch abschließend gegen jede Typologie, denn "l'analisi e la ormai lunga consuetudine con i carteggi confermano come, in antico regime ogni distinzione sia artificiosa ed in pratica si annulli nel rituale della parola" (349). Katia Pischedda untersucht die Korrespondenz des Fürstbischofs von Trient Cristoforo Madruzzo und nimmt dabei verschiedene Aspekte in den Blick, wie stereotype Formulierungen in den Empfehlungsschreiben, die Rolle Madruzzos als Vermittler (insbesondere beim Kaiserhof) sowie die Rolle von Frauen und der Familie. Auf der Basis einer elektronischen Datenbank wertet Stefan Hächler die Korrespondenz Albrecht von Hallers aus. Illustriert durch Grafiken quantifiziert er die unterschiedlichen Gegenstände der Bitten an Haller, die Funktionen, in der die Bittsteller ihn anschreiben, das Verhältnis der Bittsteller zu Haller sowie zu den von ihnen empfohlenen Personen und stellt eine Verbindung her zwischen der erbetenen Hilfe und den verschiedenen Funktionen Hallers.
Ausdrücklich zu begrüßen ist es, dass Forschungsprojekt und Sammelband deutsche, schweizer und italienische Historiker und Forschungsgegenstände versammelt und damit zugleich die Kommunikation zwischen nationalen Wissenschaftsgemeinschaften gefördert haben, die - schon aus sprachlichen Gründen - insgesamt noch immer viel zu wenig die Ergebnisse der anderen rezipieren, obwohl, wie der vorliegende Band nachdrücklich dokumentiert, nicht zuletzt auch in der Frühneuzeitforschung die Ansatzpunkte für vergleichende oder transnationale Forschung mannigfaltig wären. Wahrscheinlich wäre die gegenseitige Rezeption allerdings noch weiter angespornt worden, wenn man den Aufsätzen eine kurze Zusammenfassung in der jeweils anderen Sprache beigegeben hätte.
Das skizzierte, beeindruckend weite Themenspektrum des Bandes, das einerseits das Potenzial der behandelten Quellengruppe für weitere historische Forschungen unterschiedlichster Ausrichtung nachdrücklich dokumentiert, könnte andererseits aber zugleich auch als ein Schwachpunkt betrachtet werden, indem sich der Leser gelegentlich eine stärkere Konzentration auf ein enger begrenztes Themenfeld gewünscht hätte oder auch ein ausführlicheres Vorwort der Herausgeber, das die unterschiedlichen Stränge noch stärker miteinander verknüpft und ein ausführliches Fazit aus dem 2003 abgeschlossenen Forschungsprojekt gezogen hätte. Unbenommen bleibt den Initiatoren in jedem Fall das Verdienst, durch ihr Forschungsprojekt und die daraus hervorgegangenen Bände einen zentralen, aus heutiger Sicht eher "unmodernen" Bereich der politischen Kommunikation in Alteuropa in seinen verschiedenen Dimensionen erschlossen zu haben, der einer Forschung, die sich lange Zeit auf die Herausbildung des "modernen" Staates und damit auf Phänomene wie Herrschaftsverdichtung und Sozialdisziplinierung konzentrierte, entgangen ist. Insofern kann man sich dem resümierenden Schlusssatz des Vorworts nur anschließen: "Wer sich auf das Befehlen konzentriert, dem entgeht die Bedeutung, die der Kultur des Bittens in der politischen Kommunikation [der Frühen Neuzeit; M. S.] zukommt" (12).
Anmerkung:
[1] Cecilia Nubola / Andreas Würgler (Hg.): Suppliche e "gravamina". Politica, amministrazione, giustizia in Europa (secli XIV-XVII) (= Annali dell'Istituto storico italo-germanico in Trento, Quaderni; 59), Bologna 2002.
Matthias Schnettger