Rezension über:

Evonne Levy: Propaganda and the Jesuit Baroque, Oakland: University of California Press 2004, 353 S., 105 s/w-Abb., ISBN 978-0-520-23357-7, GBP 36,95
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Rezension von:
Herbert Karner
Kommission für Kunstgeschichte, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Herbert Karner: Rezension von: Evonne Levy: Propaganda and the Jesuit Baroque, Oakland: University of California Press 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 11 [15.11.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/11/6604.html


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Evonne Levy: Propaganda and the Jesuit Baroque

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Evonne Levy von der University of Toronto hat die Ergebnisse ihrer jahrelangen Beschäftigung mit jesuitischer Kunst in einem lang erwarteten Buch präsentiert. Dessen prägnanter Titel besteht aus zwei provokanten Behauptungen, jener von der Existenz eines jesuitischen Barock und jener von dessen engem Verhältnis zur Propaganda. [1] Eine erste Aufregung verursacht die "Introduction", die das Thema mit kurzen Ausführungen zur Nazi-Architektur und deren Verwandtschaft mit Modellen der katholischen Barockarchitektur einleitet. Levy räsoniert über Äußerungen Hitlers zur Jesuitenarchitektur und spinnt solcherart einen überraschenden und gleichzeitig nahe liegenden Faden zu den genannten Schlüsselwörtern ihrer Untersuchung. Doch ist dieser nur vermeintlich unnötige Umweg gerechtfertigt, macht er doch deutlich, wie negativ der Begriff der Propaganda in der Kunstgeschichte besetzt ist. Es wäre, mutmaßt sie, nicht schwer, eine Verbindung zwischen dem Anti-Jesuitismus des 19. Jahrhunderts und der Ablehnung des Nazismus des 20. Jahrhunderts aus eben diesem Grund herzustellen.

Dieser Anti-Jesuitismus und seine Auswirkungen auf die Kunstgeschichtsschreibung ist Thema des ersten Hauptkapitels "The Jesuit Style". Es rekonstruiert die Genese des Begriffs vom Jesuitenstil. Diese begriffsgeschichtliche Klärung ist wichtig, weil sie nachdrücklich die Einflussnahme realpolitischer Ereignisse und kulturpolitischer Stimmungen auf die zeitgleiche historische Arbeit und - für uns besonders wichtig - auf die "Erfindung" kunsthistorischer Begrifflichkeiten aufzeigt. Wer weiß schon, dass es Jacob Burckhardt gewesen war, der den Begriff in der entsprechenden Eintragung in der "Allgemeinen deutschen Real-Enzyklopädie" 1845 für die damals noch jungen Kunstwissenschaften als künftigen Topos etabliert hat?

Der Definition des Jesuitenstils lag das Verständnis von Architektur als System der Überredung (persuasio) zu Grunde, wonach die gebauten Formen Ausdruck der manipulativen Methoden der Jesuiten gewesen seien. Dass dieses Modell die Propaganda gegenüber der Rhetorik bevorzugt hat, der zweiten und noch dazu klassischen Kategorie der persuasio, die gerade von den Jesuiten systematisiert worden war, hat klare Gründe. Propaganda besitzt den Vorteil, direkter angelegt und in der Wirkung effizienter zu sein - im Gegensatz zur Rhetorik, einem vielschichtigen, auf langen Traditionen basierenden System. Zentrales Anliegen der Untersuchung ist die Etablierung von Propaganda als wertfreie Kategorie und deren Gewinn bringende Erschließung für die Jesuitenforschung und in weiterer Folge für die Kunstgeschichte. Der Weg zu dieser Neudefinition ist bestimmt durch drei Aspekte, die für die jesuitische Ordenskunst charakteristisch erscheinen und von Levy als essenzielle Kriterien der Propaganda erkannt werden: "Propagandist", "Message" und "Diffusion".

Gerade die überkommene Meinung, das "Jesuitische der jesuitischen Architektur" [2] wäre nur in einem Einheitsstil als einer überpersönlichen Kategorie ("jesuit corporate authorship") zu erkennen, die nicht auf individuell aufgefassten Entwürfen basiere, habe den Blick auf das wahre jesuitische Moment in der Kunst der Gesellschaft Jesu verstellt. Im Versuch, diesen Weg frei zu räumen liegt vielleicht der entscheidende intellektuelle Ehrgeiz der Autorin. Die Kernthese basiert auf der jüngeren (auch der eigenen), ausführlich referierten kunsthistorischen Jesuitenforschung, welche die Entstehungsprozesse der Architektur des Ordens freigelegt haben. Die Autorschaft an jesuitischer Architektur war häufig alles andere als anonym und einer "corporate identity" untergeordnet. So hat Luciano Patetta auf namhafte nicht-jesuitische Architekten wie Ammanati, Tibaldi, Ricchini, Juvarra oder Bernini hingewiesen, die für den Orden gearbeitet haben, ohne ihren persönlichen Ausdruck und ihre künstlerischen Eigenheiten aufgegeben zu haben. Wichtig für Levy und von ihr auch mehrfach hervorgehoben, sind die Publikationen von Richard Bösel, der wiederum eine Identität stiftende architektonische Kultur der Gesellschaft Jesu nachgewiesen hat, die weniger auf Einzelpersonen als auf typologischen Verbindlichkeiten basiert hat. Solche Positionen vereint die Autorin, indem sie zwei Aspekte der Autorschaft hervorhebt: Jesuitische Autorschaft als eine propagandistisch wirkende Aktivität, welche die Interessen der Gesellschaft Jesu fördert, und der Entwurf des Künstlers, welcher der Förderung dieser Interessen zu dienen hatte. "Erfolg" ist das Schlüsselwort dieser Interessen, so Levy. Erfolg seiner Bauprojekte hätte der Orden vor allem angestrebt, Erfolg als öffentliche Ambition zur Steigerung von Reputation und Akzeptanz.

"The Jesuitness of jesuit architecture lies in the process in which design takes place" (84), nicht im Entwurf als solchem liege das Unverwechselbare, sondern in der Art und Weise von dessen Zustandekommen. Das Werk wird über das Werken definiert. Dies lässt sich an der reich dokumentierten Entstehungsgeschichte der Kapelle des Hl. Ignatius in Il Gesù in Rom exemplifizieren, welche die Autorin seit ihrer Dissertation beschäftigt. Der Entwurfsprozess, in dessen Mittelpunkt Andrea Pozzo als Entwerfer gestanden war, avancierte absichtsvoll zu einem öffentlichen Unternehmen. Wie dabei die Person Pozzos vollkommen in den Hintergrund gedrängt worden und gemeinsam mit dem Werk zum Produkt des Prozesses geworden ist, hat Levy aus dem spirituellen Kontext der Gesellschaft Jesu heraus verständlich gemacht.

Die auf viele Quellen gestützte Rekonstruktion der Genese der Ignatiuskapelle, immerhin neue und offizielle Grabstätte des Ordensgründers, und deren Interpretation ist überzeugend. Eine andere Sache ist es aber, wenn dieser eine Fall - ohne Zweifel ein Sonderfall - als pars pro toto gelten soll. Levy baut auf ihm, der noch dazu Altarbau und Innenausstattung betraf, nicht aber Architektur im Großen, ein Modell auf, das für den Umgang der Jesuiten mit Architektur generell Gültigkeit haben möchte. Lässt sich dieses Modell, so die zweifelnde Frage, auch auf beispielsweise vollkommen unspektakuläre Kirchenbauten übertragen, deren Archivalien gar nichts über öffentliche Diskurse, sondern lediglich über Bauplatzprobleme, Streitigkeiten mit der Nachbarschaft und ökonomisch bedingten Pragmatismus bei Planung und Bau des Gotteshauses berichten?

Der Propaganda immanent ist die "Message": Was kommuniziert jesuitische Architektur und bildende Kunst? Die dahinter stehende Botschaft bezweckt eine "subject formation"; die gezielte Ausrichtung auf und Beeinflussung von Personen ist das Ziel. Methodisch innovativ unternimmt es die Autorin, Elemente jener Ideologie-Theorie, die der französische Marxist Louis Althusser in "Ideologie und ideologische Staatsapparate" beschrieben hat, auf die jesuitische Propaganda zu übertragen. Ein zentrales Moment dieser Theorie, die "interpellation", die Anrufung des Subjektes, entspricht für Levy der jesuitischen Formung des Subjektes.

Wirkung und Ausmaß der Anrufung durch Kunst könne an der entsprechenden Verbreitung ("diffusion") der Botschaft abgelesen werden. Was die Bildende Kunst und besonders die Architektur anlangt, könne man sich dem Phänomen der Verbreitung auf zwei Wegen nähern. Man müsse Architektur auf seine Wirksamkeit hin prüfen, ihren Einfluss auf die Mehrung des spirituellen Eifers der Gläubigen evaluieren. Nur, fragt die Autorin zu Recht, wie misst man diese Wirkung? An welchen Indikatoren liest man ab, wie und in welchem Ausmaß ein Kirchengebäude Subjekt formierend sein kann? Die Autorin nennt diese Fragen, verfolgt sie klarerweise aber nicht weiter, da deren Beantwortung jenseits kunsthistorischer Instrumentarien liegt.

Nachgegangen wird hingegen der andere Weg der Verbreitung, nämlich jener des Werkes selbst: Wie wurde jesuitische Architektur innerhalb der Gesellschaft Jesu rezipiert - eine für die Bildung jesuitischer Identität mittlerweile unbestritten wichtige Praxis -, und welche Verbreitung fand sie außerhalb des Ordens? Welche Rolle spielt überhaupt die Vorlage eines jesuitischen Entwurfs zum Zeitpunkt seiner Imitation? Mit diesen Fragen begeht die Autorin ein noch sehr offenes Terrain der Architekturforschung. Die Gründe der Neigung des Ordens zur Wiederholung architektonischer Typen sind noch nicht umfassend ausgelotet, eine konsequente Interpretation der Mechanismen der Verbreitung jesuitischer Entwürfe in nicht jesuitischen Anlagen fehlt bis heute nahezu völlig.

Die von Levy gebotene Analyse der Hintergründe der Rezeption des Ignatiusaltares gibt eine Vorstellung von den Möglichkeiten. Sie hebt dessen einzigartige Verbreitung in Polen stellvertretend heraus und skizziert auch hier eine gewinnende These: Bei der Konsolidierung der polnischen Identität im 17. Jahrhundert (gegen den politischen Druck des orthodoxen Russlands im Osten, der lutheranischen Gebiete im Westen und der Schweden im Norden) spielte der Katholizismus eine prägende Rolle. Dessen wichtige und sichtbare Ausdrucksform wurde zunehmend die Architektur. Vermittelt durch Pozzos Architekturtraktat hatten seine Altarformen auf Grund ihrer römischen und katholischen Wurzeln leichtes Spiel, im frühen 18. Jahrhundert zum visuellen Äquivalent für den Katholizismus zu werden.

Thesenreich, spekulativ im positiven Sinn und methodisch originell sind jene Attribute, die nach Lektüre des Buches zu allererst in den Sinn kommen. Überzeugend sind die kenntnisreichen Analysen einiger weniger jesuitischer Kunstwerke (Ignatiuskapelle, Corridoio di S. Ignazio, Ausmalung der Kirche S. Ignazio), die allesamt große Bedeutung für den Orden haben. Sie repräsentieren aber auch Werke, die nicht dem Medium der Großarchitektur zugehören, sondern Altarbau, Skulptur und Fresko sind. Ob diese Objektgruppe ausreichen wird, die über weite Strecken einsichtig und bisweilen hinreißend argumentierte Theorie der Propaganda auch auf die riesige nicht genannte Gruppe der Sakralbauten, Kollegien, Professhäuser etc. anwendbar zu machen, kann an dieser Stelle nicht beurteilt werden.


Anmerkungen:

[1] Siehe auch die Rezension: Werner Telesko: Christliche Kunst in der frühen Neuzeit. Glorie, Propaganda und Narration: Beobachtungen zu drei kunsthistorischen Neuerscheinungen, in: Frühneuzeit-Info 15 2005 H. 1+2, 79-86, bes. 81 f.

[2] Zu diesem Thema siehe auch in deutscher Sprache: Evonne Levy: Das Jesuitische der jesuitischen Architektur, in: Herbert Karner / Werner Telesko (Hg.), Die Jesuiten in Wien (Tagung 2000). Wien 2003, 232-242.

Herbert Karner