Elmar Schwertheim: Kleinasien in der Antike. Von den Hethitern bis Konstantin, München: C.H.Beck 2005, 128 S., 12 Abb., 2 Karten, ISBN 978-3-406-50848-6, EUR 7,90
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Jean-Christophe Couvenhes / Henri-Louis Fernoux: Les Cités grecques et la guerre en Asie Mineure à l'époque hellénistique, Tours: Presses Universitaires François-Rabelais 2004
Isabelle Maupai: Die Macht der Schönheit. Untersuchungen zu einem Aspekt des Selbstverständnisses und der Selbstdarstellung griechischer Städte in der Römischen Kaiserzeit, Bonn: Verlag Dr. Rudolf Habelt 2003
Die Geschichte Kleinasiens in der Antike auf wenig mehr als 100 Seiten darstellen zu wollen, ist ein Wagnis, und dessen ist sich der Autor bewusst. Aber es ist Schwertheim gelungen, eine im Ganzen gute und nützliche Einführung in dieses Thema zu schreiben, die vor allem auch für Studenten verständlich ist. Dabei scheint hauptsächlich an Althistoriker gedacht zu sein, denn die Epochen des Hellenismus und der römischen Kaiserzeit nehmen mit deutlich mehr als der Hälfte des Umfangs den größten Raum ein (55-123), und wenn man die Perioden der griechischen Kolonisation und der Perserherrschaft noch hinzunimmt, kommen noch einmal ca. 20 Seiten dazu. Ein Begriff zieht sich jedoch mit Recht durch das ganze Buch und alle Epochen, der Begriff des "Brückenlandes", welches Kleinasien als Vermittler zwischen dem Osten und Griechenland darstellt.
Nach Vorwort und Einleitung ("Kleinasien - Raum und Zeit") beginnt Schwertheim entgegen der Aussage des Untertitels das Buch mit der vorhethitischen Zeit (11-18), was aber durchaus berechtigt ist, denn ohne die Verhältnisse vor dem Reich der Hethiter zu kennen, ist die folgende Geschichte schwerer zu verstehen. Was allerdings im Laufe der Darstellung sicher nützlich gewesen wäre, ist, immer wieder darauf hinzuweisen, dass vieles von dem, was auch in den von der griechischen Kultur geprägten Epochen noch wichtig war, aus alten, teilweise vorhethitischen Kulturen überkommen war; als Beispiel sei nur die "Muttergottheit" genannt, die noch in römischer Zeit so gut wie überall bezeugt ist (und der dementsprechend auch ein eigenes Kapitel gewidmet wird, welches aber fast ausschließlich auf die Epochen des Hellenismus und der Kaiserzeit konzentriert ist; 100-103).
Im weiteren Text bedingt die gebotene Kürze, dass vieles nur anhand von Beispielen verdeutlicht werden kann. So sind von den zahlreichen Völkern Kleinasiens des 1. Jahrtausends v. Chr. stellvertretend nur die Phryger und Lyder behandelt (23-32), die uns aufgrund der Quellenlage besser bekannt sind als die meisten anderen; zudem haben sie, besonders aufgrund ihrer weite Räume umfassenden Reichsbildungen, Kleinasien sehr stark geprägt. In dieselbe Zeit fällt die griechische Kolonisation (33-43). Nach einem kurzen beschreibenden Teil wird ihre Bedeutung für die Entfaltung der griechischen Kultur im Allgemeinen dargelegt, für die Entwicklung der Philosophie, der Geschichtsschreibung, der Dichtung; mit Recht wird ebenfalls auf die nicht zu unterschätzende Rolle der griechischen Kolonien für die Ausbildung der Polis verwiesen. Was die griechischen Städte an den Küsten Kleinasiens angeht, musste der Autor wieder zu einer beispielhaften Auswahl greifen, und er hat Ephesos und Milet gewählt: Zum einen gehörten sie zu den "Großstädten" ihrer Zeit, zum anderen sind sie durch Ausgrabungen gut erforscht - gerade der letzte Punkt muss betont werden, zeigt er doch, dass die Unausgewogenheit unserer Kenntnis der Antike (das gilt natürlich nicht nur für Kleinasien) zu einem gewissen Teil durch den Stand der Forschung bedingt ist.
Die Zeit der Perserherrschaft über Kleinasien (43-54) und damit auch über die dort lebenden Griechen ist durch intensive Berührungen zwischen den beiden Völkern geprägt, die allerdings allzu oft die Form kriegerischer Auseinandersetzungen annahmen, andererseits aber auch entscheidend zu einer Verstärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls der Griechen beitrugen. Das Ende dieser Epoche ist gleichzeitig der Beginn des für unsere westliche Kultur wichtigsten Abschnitts, der hellenistischen Zeit.
Der Hellenismus (55-81) ist in klassischer Manier zunächst in die Epochen Alexanders des Großen und der Diadochen unterteilt. Danach wird die chronologische Anordnung allerdings durchbrochen und durch eine thematische ersetzt mit den Schwerpunkten: Stadt und Herrscher, Herrscherkult, die Galater, Kommagene. Die beiden Ersten gehören zu den noch bis in die römische Zeit wichtigsten Themen; mit den beiden letzten greift Schwertheim wieder beispielhaft zwei Komplexe heraus, wobei Kommagene auf den ersten Blick sehr abgelegen scheint, aber dennoch ein gutes Beispiel für ein hellenistisches Königreich als "Brückenland" ist. Die römische Vorherrschaft (82-96) wird anschließend in chronologischer Ordnung mit Abschnitten zu Rom und Pergamon, Mithradates VI. und Pompeius sowie Caesar, Antonius und Augustus abgehandelt.
Bei der Behandlung der römischen Epoche wird im Kapitel "Zur Kultur- und Religionsgeschichte Kleinasiens" (97-103) mit Recht betont, dass viele Elemente der Kultur vorangehender Zeiten erst zurückblickend bekannt werden bzw. verständlich sind (97) - für viele fehlen uns die Quellen aus früheren Zeiten, doch durch ihr Weiterwirken (aber auch ihre Weiterentwicklung!) in der an Quellen reichen Kaiserzeit kann man (vorsichtige) Rückschlüsse auf ihre Ursprünge und Entwicklung ziehen. Auch das wird notwendigerweise wieder an zwei gut gewählten Beispielen verdeutlicht, nämlich durch den Mithraskult und den Kult der Göttermutter, die schließlich beide über Kleinasien hinausgewirkt haben.
Die Kaiserzeit (104-123) ist durch Kapitel über die Städte, Hellenismus und Romanisierung, das 3. Jahrhundert (mit der äußeren Bedrohung durch Parther, Sassaniden und Goten), Christentum, Diokletian sowie Konstantin und die Gründung von Konstantinopel vertreten. Wichtig ist dabei vor allem die Bemerkung, dass sich die Hellenisierung Kleinasiens erst durch die römische Herrschaft vollendete (110).
Insgesamt hat Schwertheim mit diesem Buch also eine gelungene Einführung in die Geschichte eines wichtigen Landes vorgelegt. Allerdings dürfen, gerade im Hinblick auf den Nutzen für Studenten, die Fehler und Ungereimtheiten in Details nicht verschwiegen werden, die die Abhandlung durchziehen. So scheint der Autor, wenn es um Sprachen und Schriftsysteme geht, sich nicht immer sicher zu fühlen. Auf Seite 26 behauptet er z. B., dass Phrygisch in der Kaiserzeit nicht mehr gesprochen wurde - wie sind aber dann die neuphrygischen Inschriften (bzw. die neuphrygischen Abschnitte in ansonsten griechischen Inschriften) zu interpretieren, die zu stark voneinander abweichen, als dass sie erstarrte Formeln darstellen könnten, die niemand mehr verstand? Außerdem berichten die Kirchenväter über lebendige einheimische Sprachen noch im 5. Jahrhundert. [1] Auf Seite 36 schreibt Schwertheim im Zusammenhang der Entwicklung des griechischen Alphabets von einer "Umwandlung phönikischer Konsonanten in Vokale", meint aber sicher, dass die Griechen Zeichen für (Halb-)Konsonanten benutzt und weiterentwickelt haben, um Vokale wiederzugeben. Auf Seite 37 muss es heißen: das (nicht der) Marmor Parium. Unglückliche Formulierungen finden sich im Bereich der Religionsgeschichte: Der Autor behauptet, dass der Gott Sabazios "sogar in dem christlich überlieferten Sabaoth wieder aufscheint" (27); "Sabaoth" ist aber ein hebräisches Wort mit der Bedeutung "Heerscharen" und hat mit Sabazios nichts zu tun. Dass in der Antike bisweilen eine Beziehung zwischen beiden Bezeichnungen gesehen wurde, bedeutet nicht, dass Sabazios sich über den jüdischen "Adonai Sabaoth"("Herr der Heerscharen") ins Christentum hinübergerettet hat. - Auf Seite 27 ist Men ein phrygischer, auf Seite 42 ein lydischer Mondgott. - Der Dionysoskult sei aus dem Orient eingeführt worden (97); Dionysos ist aber - trotz zeitweiliger Gegendarstellung der verschämten Griechen selbst - ein urgriechischer Gott, der auch in Linear B schon belegt ist, und wenn die Griechen selbst behaupteten, er sei bei ihnen ursprünglich nicht heimisch gewesen, versetzten sie ihn nach Thrakien. - Auf den Seiten 31 und 32 folgt Schwertheim anscheinend der griechischen Tradition, die zwischen Medern und Persern meist keinen Unterschied machte. - Vermischtes: Der Delisch-Attische Seebund hat nicht 100 Jahre bestanden (45; richtig 50). Kolchis liegt nicht in Kleinasien (88)! Und schließlich hätte die verhältnismäßig späte Provinzialisierung Lykiens auf Seite 96 erwähnt werden sollen.
Anmerkung:
[1] Vgl. zum Phrygischen R. Schmitt: Die Sprachverhältnisse in den östlichen Provinzen des Römischen Reiches, in: ANRW 29 (1983) 2, 566 f.
Thomas Corsten