Giampaolo Pansa: Il sangue dei vinti. Quello che accadde in Italia dopo il 25 aprile. Con una nuova introduzione, 2. Aufl., Mailand: Sperling & Kupfer 2005, 380 S., ISBN 978-88-8274-759-6, EUR 10,50
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Giampaolo Pansa ist ein geschätzter Schriftsteller und Journalist. Nicht zuletzt schreibt er regelmäßig für die politische Wochenschrift L'Espresso, wo er mit bemerkenswerter Häufigkeit in seiner Kolumne Bestiario Ministerpräsident Berlusconi und seine Regierung attackiert. Als Historiker veröffentlichte er bei einem so renommierten und antifaschistisch geprägten Verlag wie Laterza ein Buch über den Krieg der Partisanen in Piemont. Pansa ist also, um es mit einem Wort zu sagen, einer der bekanntesten Vertreter des linken italienischen Journalismus.
Im Jahre 2003 hat er ein Buch mit dem Titel "Il sangue dei vinti" - Das Blut der Besiegten - publiziert, das nun neu aufgelegt worden ist. Es ist schwierig, dieses Buch einer festen Kategorie zuzuordnen, handelt es sich doch ebensowenig um eine wissenschaftliche Studie im engeren Sinne (so fehlen Quellenbelege ebenso wie ein Verzeichnis der verwendeten Literatur) wie bloß um einen historischen Roman oder um ein politisches Pamphlet. Pansa präsentiert sein Buch als Dialog zwischen dem Autor und einer fiktiven Bibliothekarin mit dem Namen Livia. Beide sind mit der Geschichte des Bürgerkriegs zwischen 1943 und 1945 vertraut und erzählen sich die schrecklichsten Episoden, von denen sie wissen, über die Rache der Partisanen an den besiegten Faschisten nach dem Volksaufstand und dem Ende von Faschismus und Okkupation Ende April 1945. So wird ein regelrechtes Gruselkabinett vorgeführt, in dem gleichsam die düstersten Momente jener dramatischen Tage ausgestellt werden, in denen die Rechnungen zwischen Siegern und Besiegten beglichen wurden. "Il sangue dei vinti" erregte enormes Aufsehen, und während die rechte Publizistik das Buch als ein Werk feierte, das endlich Licht ins Dunkel von sechzig Jahre lang verschwiegenen Ereignissen gebracht habe, wurde Pansa - grob gesprochen - von der Linken angeklagt, sich an den Feind verkauft und die Erinnerung an die Resistenza beschädigt zu haben. Wie schon gesagt: Das Buch ist schon deshalb keine wissenschaftliche Studie, weil es über keinerlei Apparat verfügt. Allerdings zitiert der Autor mit einer gewissen Sorgfalt aus den Quellen, die er benutzt hat, um seiner Arbeit den Anstrich eines wissenschaftlichen Werks zu geben. In dieser Rezension soll weder den Beweggründen, noch den politischen Implikationen von Pansas Buch nachgegangen werden. Hier geht es auschließlich um die Frage, ob wenigstens ein Minimum an Gebrauchswert für die historische Forschung darin steckt.
Unter diesem Gesichtspunkt fällt das Urteil des Rezensenten ausgesprochen harsch aus: Das Buch hat weder unter wissenschaftlichen noch unter populärwissenschaftlichen Gesichtspunkten irgendeinen Wert, und zwar aus drei Gründen nicht: Das Buch nimmt, erstens, keinerlei Rücksicht auf den historischen Kontext der Geschehnisse. Wenn es zu den Aufgaben des Historikers gehört, ein Ereignis mit all seinen Implikationen zu verstehen, so beschränkt sich Pansa darauf, Episoden mit der einzigen Absicht zu beschreiben, bei den Lesern Entsetzen hervorzurufen. Zweitens fehlen jegliche Archivquellen, wohingegen Pansa, drittens, erstaunlich naiv mit gedruckten Quellen umgeht. So wertete er nicht nur im Übermaß das Schrifttum der ehemaligen Kämpfer der Repubblica Sociale Italiana (RSI) aus, die wissenschaftlich vollkommen unergiebig sind, wenn man von der Konstruktion kollektiver Erinnerung und einer neofaschistischen Interpretation der Jahre zwischen 1943 und 1945 einmal absieht, sondern kümmerte sich auch nicht einmal im Ansatz darum, den Wahrheitsgehalt seiner Quellen zu prüfen, ob sie nun aus dem rechten oder dem linken Teil des politischen Spektrums stammen. Pansa nimmt, um es mit einem Wort zu sagen, jedes Selbstzeugnis für bare Münze, das die Partisanen als grausame Mörder erscheinen ließ. Gerissener Journalist, der er ist, nutzt Pansa schließlich jeden rhetorischen Kunstgriff um die Resistenza in schlechtes Licht zu rücken und um die Verlierer von Salò als die wahren Patrioten darzustellen.
Um genauer zu verstehen, worum es bei dieser Operation geht, sei eine Episode von den vielen herausgegriffen, die Pansa rekonstruierte: die Hinrichtung von Enrico Vezzalini - Chef der Provinzen Ferrara und Novara - und einiger Untergebener im September 1945. Vezzalini wird mit folgenden Worten beschrieben: "Persönlich integer, aber ausgesprochen intransigent auf dem Feld der Politik, einer der getreuesten Gefolgsleute Mussolinis und des Regimes" (86). "Wirklich ein eherner Präfekt, sehr mutig und unbekümmert den Gefahren für Leib und Leben gegenüber, die ein Bürgerkrieg mit sich bringt, blieb Vezzalini bis Juli 1944 in Ferrara, dann wurde er wiederum als Provinzchef nach Novara entsandt" (87). Die Beschreibung dieses Mannes schließt mit dem Text eines unmittelbar vor der Erschießung an seine Ehefrau und seine Kinder verfassten Briefes und mit diesem Kommentar Pansas: "Vezzalini starb als mutiger Mann [...] gemeinsam mit fünf faschistischen Milizionären der GNR [Guardia nazionale repubblicana, also Sicherheitskräfte der RSI], die ihm sehr verbunden waren. Sie waren Teil der so genannten Squadraccia [d. h. einer besonders gefürchteten Kampfgruppe]. Der Name lässt alles mögliche denkbar erscheinen, aber es gibt Stimmen, die behaupten, die Milizionäre hätten ihn sich selbst gegeben. Die Squadraccia zählte 28 Mitglieder, die zum Tode verurteilt wurden. Aber viele von ihnen, die Jüngeren zumal, wurden begnadigt" (89).
Nach Pansas Darstellung starb Vezzalini, dessen letzte Worte "Vergebung für alle, es lebe Italien, es lebe der Faschismus" gewesen sein sollen, also als Held und wahrhafter Patriot, der "allen verzieh". Da trifft es sich freilich schlecht, dass das Istituto storico della Resistenza der Provinz Novara bereits 1996 die Urteile des außerordentlichen Schwurgerichts vom Juni 1945 gegen Vezzalini und die Squadraccia veröffentlicht hat, in dem die Geschichte etwas anders geschildert wird. [1] In Ferrara hatte Vezzalini danach als Vergeltungsmaßnahme für den Tod des faschistischen Parteichefs der Stadt im November 1943 die Erschießung von elf Geiseln angeordnet. Davon berichtet Pansa zwar, doch er vergisst zu erwähnen, dass derselbe Vezzalini gesehen wurde, als er lachend die Kadaver betrachtete, die man für einen Tag und eine Nacht an Bäume aufgehängt und zur Schau gestellt hatte. Unter den verschiedenen Vorfällen, die das Gericht zu dem Schluss kommen ließen, Vezzalini habe den Tod verdient, waren auch die Hinrichtung von zwölf Geiseln in Borgo Ticino am 13. August 1944 nach einer Razzia, die Plünderung und Brandschatzung der Ortschaft Cressa am 6. Oktober 1944 und das Abschlachten von sechs Antifaschisten aus dem Stadtgefängnis auf der Piazza Cavour von Novara am 20. Oktober 1944. Überdies vergriff sich Vezzalini immer wieder am Eigentum verdächtiger Personen, er brachte männliche Verwandte von Partisanen in Konzentrationslager und quälte oder misshandelte Gefangene. Was nun die Squadraccia angeht, so beschreibt sie das Urteil [2] als Gruppe von Psychopathen und Halsabschneidern. Eine Episode mag hier genügen: "Am 13. August 1944 erschienen in Momo Angehörige der Squadraccia, die [...] wie wahnsinnig zu schießen begannen und einen gewissen Cardani töteten, der wie alle anderen, die zugegen waren, versuchte, sich zu retten und über eine Mauer zu entkommen. In einem anderen Ortsteil wurde inzwischen von anderen Mitgliedern derselben Einheit ein anderer Cardani umgebracht, während ein dritter Bürger verwundet wurde." Von den Angeklagten der Squadraccia wurden nur die sechs Hauptverantwortlichen zum Tode verurteilt. Die anderen erhielten Haftstrafen zwischen sechs und 30 Jahren; sechs wurden freigesprochen.
Ich habe diesen Fall herausgegriffen, weil es sich nicht um ein bedauerliches Versehen oder um eine lässliche Sünde handelt. Die Urteile gegen Vezzalini und die Squadraccia wurden bereits sechs Jahre vor Pansas Buch veröffentlicht, und sie vermitteln nicht nur dem gelehrten Fachmann ein Bild vom Gang der Ereignisse, das sich ganz erheblich von der Darstellung des Journalisten unterscheidet.
Anmerkungen:
[1] Das Urteil gegen Vezzalini wurde veröffentlicht in: Ieri Novara Oggi, annale 1996 dell'Istituto storico della Resistenza in Provincia di Novara, 165-171.
[2] Ebenda, 171-181; das folgende Zitat findet sich auf Seite 174.
Amedeo Osti Guerrazzi