Peter Claus Hartmann (Hg.): Religion und Kultur im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts. Unter Mitarbeit von Annette Reese (= Mainzer Studien zur Neueren Geschichte; Bd. 12), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2004, 536 S., 24 Abb., ISBN 978-3-631-51972-1, EUR 79,50
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Die Vielfalt der Kulturen Europas und die These, dass diese "neben Antike, Humanismus und Aufklärung [...] ganz wesentlich auf der Religion" gegründet sind (Hartmann, Vorwort, 7), bilden den Ansatzpunkt des Sammelbandes - ein Ansatzpunkt, der diverse Spannungen in sich birgt. "Religion" ist ein ebenso schillernder Begriff wie "Kultur"; Antike, Humanismus und Aufklärung sind maßgebliche Quellen europäischer Kultur, die nicht nur "neben", sondern in einem engen (spannungsvollen) Wechselverhältnis mit den Religionen ihrer Zeit gesehen werden können; und nicht zuletzt ist es keinesfalls ausgemacht, dass sich die so gegebene kulturelle Vielfalt überhaupt auf einen gemeinsamen Nenner bringen lässt. Die 24 Beiträge gehen zurück auf ein interdisziplinäres Kolloquium, das 2003 am Historischen Seminar der Universität Mainz stattfand. Nicht alles ist neu oder überraschend, doch bemerkenswert ist das breite Panorama, das hier insgesamt geboten wird.
In einem einführenden Beitrag mit dem sperrigen, aber eben auch programmatischen Titel "Katholische, protestantische, orthodoxe sowie jüdische und muslimische Kultur im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts" erläutert Peter Claus Hartmann Thematik und Konzeption des Bandes. Der aktuelle Bezugspunkt ist die Erweiterung der Europäischen Union nach Osten und der mögliche Beitritt von Ländern wie Bulgarien, Rumänien, Bosnien und der Türkei mit ausgeprägten kulturellen und religiösen Traditionen, die nicht der Mehrheitskultur in Mittel- und Westeuropa entsprechen. Dies sowie die Tatsache, dass in Westeuropa die traditionelle (christliche) Religion als Sinndeutungs- und Wertsetzungsmuster an Bedeutung verliert, wirft, so Hartmann, die Frage auf, ob und wo angesichts dieser Disparitäten eine kulturelle Identität Europas auszumachen ist und worauf sie sich gründen kann. Der Blick ins 17. und 18. Jahrhundert soll zeigen, dass hier wesentliche Grundlagen geschaffen wurden, ein besseres Verstehen der kulturellen Genese des modernen Europa ermöglichen und damit beitragen zu jener Toleranz, die für ein friedliches Miteinander notwendig ist.
Ob dieser hohe Anspruch sich tatsächlich durch einen solchen Sammelband einlösen lässt, mag dahingestellt sein. Anerkennenswert ist jedenfalls, dass die Frage nach Religion in der Frühen Neuzeit, die in den vergangenen Jahren weithin durch das Konfessionalisierungsparadigma bestimmt, dadurch aber auch vor allem auf die Entwicklungen in Mittel- und Westeuropa konzentriert war, nun ausdrücklich "nach Osten" hin erweitert wird. Wie weit sich die für die katholische, die lutherische und die reformierte Konfession gewonnenen Erkenntnisse der Konfessionalisierungsforschung regional ausweiten und thematisch auf das orthodoxe Christentum, evtl. auch auf Judentum und Islam in der Frühen Neuzeit ausweiten lassen, gehört zu den spannenden Fragen, deren Antworten noch ausstehen.
Tatsächlich stehen in den meisten Beiträgen des Bandes allerdings Katholizismus und Protestantismus als Mehrheitsreligionen im Vordergrund. Ein erster Komplex hat dabei geradezu Handbuchcharakter und bietet, orientiert an den politischen Grenzen, Einblicke in die konfessionell geprägte Kultur der Frühen Neuzeit. Anton Schindling beschreibt "Katholische und protestantische Kulturlandschaften im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation", Louis Châtellier "Katholische und protestantische Kultur in Frankreich", William O'Reilly "Protestantische Kultur in England und Irland", ergänzt durch einen Beitrag von Hildegard Hammerschmidt-Hummel über die "katholische Minderheitenkultur in England" und den Kryptokatholizismus William Shakespeares. Willem Frijhoff befasst sich mit dem Calvinismus in den Vereinten Provinzen der Niederlande, Peer Schmidt mit dem mehrheitlich katholischen Spanien, ähnlich Peter Hersche mit Italien, Janusz Małłek mit Polen und Jaroslav Pánek mit Böhmen. Das Konfessionalisierungsparadigma wird in den verschiedenen Beiträgen kritisch hinterfragt und deutlich relativiert. Frijhoff verweist für die Niederlande auf die Koexistenz der verschiedenen Konfessionen aus pragmatisch-empirischen Motiven, die faktisch zu einer Säkularisierung und Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens führte, andererseits - als Reaktion darauf - aber auch zu einer inneren Rekonfessionalisierung der einzelnen Gruppen. Schmidt stellt mit Verweis auf die Morisken, die Sepharden, die Lutheraner und die humanistischen Alumbrados heraus, dass trotz der Dominanz des Katholizismus in Spanien längst "keine religiöse Uniformität" herrschte. Ebenso betont Pánek für Böhmen, dass es angesichts der "Minderheitenkulturen" der (Krypto-)Protestanten, Juden und Roma irreführend wäre, von einer (katholischen) "Kulturunifizierung" zu sprechen (205).
Den Blick über Katholizismus und Protestantismus hinaus eröffnen dann noch deutlicher Ernst Christoph Suttner ("Orthodoxe Kultur in Ost- und Südosteuropa"), Stefan Rohrbacher ("Geistige Orientierungen der jüdischen Minderheit in Europa") und Hermann Kandler ("Gedanken zur islamisch-osmanischen Kultur des Islam in Südosteuropa"). Suttner verfolgt die kulturellen Interdependenzen zwischen den orthodoxen Christen griechischer Tradition, die nach dem Untergang Konstantinopels und dem damit verbundenen Verlust ihrer höheren Bildungsstätten nach neuer Orientierung suchten, und dem von Renaissance und Reformation geprägten lateinischen Abendland. Das "vom Abendland ausgehende Lebensgefühl" (216) verbreitete sich auch im Osten und beförderte im 17. Jahrhundert unter dem Kiever Metropoliten Petr Mogila Reforminitiativen, besonders in Schulwesen und Katechese sowie in der Liturgie, die mit dem Konfessionalisierungsprozess des Westens in vieler Hinsicht vergleichbar sind. Unter dem Patriarchen von Jerusalem Dositheos kam es zur Gründung von Akademien, die eine für das 18. Jahrhundert maßgebliche Theologie durchsetzten, "die zwar auf Petr Mogilas Werk aufbaute, aber in deutlicher Abgrenzung gegenüber den Lateinern überarbeitet und um einen deutlichen antiwestlichen apologetischen Zug erweitert worden war" (222). Der mit der Expansion Österreichs im 18. Jahrhundert verbundene Kulturtransfer setzte, wie Suttner am Beispiel Bildung, Ikonenmalerei, kirchliche Architektur und Kirchenmusik aufzeigt, diesen Prozess weiter fort. Die byzantinischen Traditionen wurden dabei in neue Ausdrucksformen "übersetzt" (230), ohne dass die eigene kulturell-konfessionelle Identität verloren gegangen wäre.
Kandler betrachtet den gleichen geografischen Raum Südosteuropa, nimmt dabei aber die islamisch-osmanische Kultur in den Blick. Deutlich wird hier zum einen, wie notwendig und zugleich schwierig es ist - der so genannte Balkankonflikt zeigt, dass dies bis in die Gegenwart gilt -, zwischen ethnischen und religiösen Zuordnungen präzise zu differenzieren, zum anderen lässt sich zeigen, dass diese Schwierigkeit in der spezifischen Geschichte Südosteuropas in der Frühen Neuzeit ihre Ursache hat. Auf Grund einer geschickten und gegenüber Minderheiten relativ toleranten Staatsführung war die islamisch-osmanische Expansion in Südosteuropa äußerst nachhaltig und kulturell prägend. Bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts entwickelte sich zudem "eine eigenständige osmanische Renaissance, die der Wiederentdeckung der antiken Kultur, auf die das Abendland zurückgriff, einen Humanismus entgegensetzte, der auf dem Islam beruhte" (264). Im gleichen Maß, wie das osmanische Reich durch außenpolitischen Druck und innere Krisen in die Defensive geriet, kamen die islamischen Humanisten zwar in Misskredit, waren jedoch langfristig "mitverantwortlich für eine Stimmung der Toleranz und Akzeptanz, die Adaptionsprozesse zwischen Muslimen und Christen, Osmanen und europäischen Völkern ermöglichte" (266). Beispiele für solche "Adaptionen" sind türkische Begriffe, die bis heute fester Bestandteil der Nationalsprachen auf dem Balkan sind, oder aber islamische Elemente, die in den christlichen Volksglauben Eingang gefunden haben. Weit reichende Toleranz übten die osmanischen Herrscher auch gegenüber einzelnen Volksgruppen innerhalb des Reiches: Sofern eine grundsätzliche Loyalität gegenüber den Machthabern gewährleistet war, konnten sie religiös und kulturell eigene Wege gehen. Beim Zerfall des Reiches förderte allerdings gerade dies die ethnisch-religiösen Gruppenbildungen und Autonomiebestrebungen, die bis in die Gegenwart politisch wirkmächtig wurden.
Die übrigen Beiträge befassen sich mit spezifischen kulturellen Ausdrucksformen von Religion und stellen wieder die für Westeuropa wichtigen großen Konfessionen in den Vordergrund: Wolfgang Hochstein schreibt über Kirchenmusik, Stefan Kummer über katholischen und Jan Harasimowicz über protestantischen Kirchenbau, Manfred Heim schließlich über "die Rolle der Klöster bei der Pflege einer typisch katholischen Barockkultur". Einen eigenen Schwerpunkt bilden die Studien zur katholischen und protestantischen Bildungsgeschichte von Wolfgang Neugebauer (Elementarschulwesen), Konrad Amann (Höhere Schulen), Michael Müller (Universitäten) und Helga Schnabel-Schüle (Höhere Mädchenerziehung). Der Band schließt mit drei Aufsätzen zur religiösen Volkskultur von Walter Hartinger, Christel Köhle-Hezinger und Jean Meyer, die last but not least zeigen, wie genau nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der Konfessionen zu differenzieren ist, um der Vielfalt der Entwicklungen einigermaßen gerecht zu werden.
Anne Conrad