Rezension über:

Michael Hau: The Cult of Health and Beauty in Germany. A Social History, 1890-1930, Chicago: University of Chicago Press 2003, 272 S., ISBN 978-0-226-31976-6, USD 22,00
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Rezension von:
Lutz Sauerteig
Centre for the History of Medicine and Disease, University of Durham
Redaktionelle Betreuung:
Florian Steger
Empfohlene Zitierweise:
Lutz Sauerteig: Rezension von: Michael Hau: The Cult of Health and Beauty in Germany. A Social History, 1890-1930, Chicago: University of Chicago Press 2003, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 2 [15.02.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/02/6089.html


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Michael Hau: The Cult of Health and Beauty in Germany

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Michael Hau, der an der Monash Universität in Australien moderne europäische Geschichte lehrt, setzt sich in seiner Arbeit "The Cult of Health and Beauty" mit jenen Diskursen über Gesundheit, Schönheitsideale und den Körper auseinander, die um die Jahrhundertwende in der Lebensreform- und in der Rassenhygienebewegung geführt wurden. Hau bezieht damit Diskurse aufeinander, die bisher eher getrennt voneinander betrachtet worden sind. Die Sorge um den eigenen Körper, seine Gesundheit und seine äußerliche Erscheinung, dies alles verbindet sich in verschiedenen Reformbewegungen, die im wilhelminischen Deutschland um 1900 entstanden sind: Lebensreform-, Freikörperkultur-, Naturheilkundebewegung. Zentrales Argument Haus ist es zu zeigen, dass diese Reformbewegungen Bestandteil des Projekts der Moderne waren.

In den ersten beiden Kapiteln verortet Hau die Lebensreformbewegungen im bürgerlichen Wertesystem der Jahrhundertwende. Die Biografien des Naturheilkundlers Louis Kuhne, des Freikörperapostels Richard Ungewitter, der Vegetarierin Klara Ebert und der Ärztin Anna Fischer-Dückelmann veranschaulichen, wie persönliches Krankheitserleben das Leben dieser Menschen veränderte und sie nicht nur zu Anhängern, sondern zentralen Figuren der Naturheilkunde werden ließ, als ihnen die Schulmedizin mit ihren therapeutischen Konzepten nicht half. Hau macht die Verbindung von Hygiene und Körper mit der bürgerlichen Sorge um sich deutlich. Ein gesunder und schöner Körper war die Basis für ökonomischen Erfolg; ein hässlicher Körper galt als Zeichen für Krankheit.

Die ästhetischen Normen, auf die das Bürgertum bei der Bewertung des Körpers zurückgriffen, entstammten, was wenig überrascht, den antiken Vorbildern. Lebensreform war hier eine Antwort, einen rationalen Umgang mit dem Körper zu finden und ihn durch Ernährung, Naturheilmittel etc. zu kontrollieren. Deutlich wird hier aber auch, dass die Anhänger der Lebensreformbewegung, je nachdem ob sie dem Bildungsbürgertum oder der unteren Mittelschicht entstammten, recht unterschiedliche Einstellung zum Körper vertraten. Lebensreformanhänger der unteren Mittelschicht propagierten körperliche Disziplin und ländliche Lebensweise, kritisierten scharf bürgerliche Dekadenz und grenzten sich auf diese Weise sowohl gegen die Oberschicht als auch gegen die Arbeiterschaft ab. Die Sorge um den schönen Körper war damit, so Hau, ein wichtiges Element in der Formierung sozialer Identitäten.

In den folgenden beiden Kapiteln stehen Geschlecht (Kapitel 3) und Rasse (Kapitel 4) im Mittelpunkt von Haus Analyse. Im Diskurs über Geschlechterrollen und -differenz spielte die Sorge um den weiblichen Körper eine besondere Rolle. Der steigende Anteil berufstätiger Frauen sowie die politischen Forderungen nach Gleichberechtigung wurden als Bedrohung für die Ordnung der Geschlechter verstanden. Wie Hau deutlich machen kann, vertraten die Anhänger der Lebensreformbewegungen keinesfalls eine 'progressivere' Haltung gegenüber der Frauenbewegung und ihren Forderungen als beispielsweise die Ärzteschaft. Wie viele Ärzte lehnten auch sie Geburtenkontrolle und Berufstätigkeit von Frauen ab. Nicht nur Schulmediziner, sondern auch Anhänger der Lebensreformbewegung diskutierten lebhaft Symptome und Gefahren einer drohenden Vermännlichung des weiblichen und eine Verweiblichung des männlichen Körpers. Beides interpretierten sie als Zeichen für den Niedergang des Volkskörpers. Hau analysiert im vierten Kapitel am Beispiel des weitgehend in Vergessenheit geratenen Arztes und Anthropologen Carl Heinrich Stratz den ästhetischen Diskurs über den schönen Körper im Kontext des seit Blumenbach im 18. Jahrhundert in Anthropologie und Medizin an Verbreitung findenden Rassismus. Dass Stratz den rassisch-ästhetischen Diskurs in erster Linie am Beispiel des weiblichen Körpers führt, zeigt anschaulich, wie nahe die Diskurse über Geschlechterdifferenz und Rassismus beieinander lagen.

In der zweiten Hälfte seines Buches widmet sich Hau im Wesentlichen der Zeit der Weimarer Republik. Er setzt sich zunächst mit holistischen Modellen der Konstitutionslehre sowohl in der Schul- als auch in der alternativen Medizin auseinander und zeigt, dass diese Modelle auf ästhetischen Annahmen beruhten (Kapitel 5). In den zeitgenössischen Diskursen wurde körperliche Schönheit als Ausdruck des harmonischen und bedeutungsvollen Zusammenspiels von Körper, Geist und Gemüt gesehen. Ärzte wie Laienheiler empfahlen daher körperliche Abhärtung gegen die drohende Verweichlichung und Degeneration des Volkskörpers. Zwar treten in der Konstitutionslehre auch deutliche Unterschiede im Körperverständnis von Schulmedizin und alternativer Medizin zu Tage, aber für Hau sind die Gemeinsamkeiten ebenso wichtig.

Im sechsten Kapitel behandelt Hau das Verhältnis von Schulmedizinern zu Vertretern einer alternativen Medizin. Dabei wird deutlich, in welchem Maße Schulmediziner sich - unter anderem auch aus Frustration über die geringen Erfolge, welche die naturwissenschaftliche Medizin für die Therapie gebrachte hatte - holistische Argumente der alternativen Medizin aneigneten. Dennoch hielt die Mehrzahl der Schulmediziner an den Grundsätzen der naturwissenschaftlichen Medizin mit ihrem mechanistischen Körperkonzept fest. Dies zeigt Hau insbesondere anhand der Hygieneausstellungen. Die Prinzipien der Lebensreformbewegung fanden jedoch in der Öffentlichkeit in den Weimarer Jahren zunehmend Anklang. Dem stand der steigende Einfluss sozial- und rassenhygienischer Konzepte innerhalb der Medizin gegenüber. Im siebten Kapitel untersucht Hau daher den zunächst noch eher am Rande stehenden, dann aber an Bedeutung gewinnenden nordisch-germanischen Rassismus, wie er beispielsweise in den Schriften von Hans F.K. Günther auftaucht und in den Arbeiten des Psychiaters Ernst Kretschmer zur Konstitutionstypologie zu finden ist.

In seinem letzten Kapitel behandelt Hau schließlich die Freikörperkulturbewegung in der Zwischenkriegszeit. Im Gegensatz zur Nacktkultur der wilhelminischen Jahre, ging es den Anhängern jetzt, so argumentiert Hau, stärker um die hedonistischen Aspekte der Freikörperkultur und weniger um rassistische Ideen, wie sie beispielsweise Ungewitter propagiert hatte. Nacktsein bekam einen anti-bürgerlichen und egalitären Anstrich, den Hau in Gegensatz zu den verbreiteten elitären eugenischen Ideen stellt. Im Gegensatz zu Vertretern eines eugenischen Elitegedanken wie beispielsweise Günther oder Paul Schultze-Naumburg stilisierten sich die am Wochenende nackt in der Sonne Badenden zu einer Gemeinschaft, die keine Titel kannte und keine sozialen Unterschiede mehr sah.

Während es in der inzwischen recht umfassenden Literatur zur Naturheilkundebewegung zumeist um die Gegensätze zwischen alternativer und Schulmedizin geht, betont Hau stärker die Gemeinsamkeiten und verdeutlicht, dass die Grenzen, die Historikerinnen und Historiker zwischen beiden Bewegungen ziehen, viel fließender waren. Obgleich sicherlich vieles von dem, was Hau behandelt, den Spezialistinnen und Spezialisten bekannt sein wird, ist es jedoch die Zusammenschau, die Haus reich illustriertes Buch nicht nur als Überblick und Einführung für Studierende, sondern auch für Fachleute interessant macht. Insbesondere ist positiv hervorzuheben, dass Hau ständig um eine historische Kontextualisierung bemüht ist und nicht die Geschichte der Medizin der Weimarer Republik aus der Perspektive des 'Dritten Reichs' schreibt. Gleichwohl hätte man sich gewünscht, dass die Verbindungslinien in den Nationalsozialismus deutlicher und konturierter dargestellt worden wären, als es Hau in seiner recht kursorischen Zusammenfassung gelingt. Angesichts der Inflation von Arbeiten über den Nationalsozialismus, insbesondere auf dem angloamerikanischen Büchermarkt, ist es jedoch notwendig, zuweilen die Eigenständigkeit des Kaiserreichs und der Weimarer Republik in einer Fallstudie, wie sie Hau vorgelegt hat, zu betonen.

Lutz Sauerteig