Michael Maurer (Hg.): Das Fest. Beiträge zu seiner Theorie und Systematik, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004, VII + 150 S., ISBN 978-3-412-08004-4, EUR 24,90
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Feste, Feiern, Rituale, Zeremonien, Praktiken: Das weite Feld der symbolischen Kommunikation erfährt seit den 1980er Jahren eine erhöhte Aufmerksamkeit. [1] Die jeweiligen Zusammenhänge zwischen Fest, Feier, Ritual und Zeremonie bleiben dabei meist ungeklärt. Was unterscheidet nun das Fest von dem auf den ersten Blick ihm doch recht ähnlichen Ritual? Zuschauern einer Kaiserkrönung im Alten Reich wäre es vermutlich gleichgültig gewesen, ob sie an einer Feierlichkeit, einem Fest, einem Ritual oder an einer Zeremonie teilnehmen. Postmodernen Wissenschaftlern ist diese unmittelbare sinnliche Gewissheit abhanden gekommen. Sie nennen eine Krönung häufig dann ein Fest, wenn sie seine ästhetische Dimension betonen wollen, Ritual oder Zeremonie hingegen, wenn sie die symbolische Kommunikation rechtlicher und politischer Ordnungsvorstellungen in den Blick nehmen. Die mit diesen Unterscheidungen verbundenen methodischen Untiefen lassen es aber dringend geboten erscheinen, den begrifflichen und damit möglicherweise methodischen Implikationen auf den Grund zu gehen, wie es die Autoren der sechs Beiträge des vorliegenden Band versuchen.
Michael Maurer ist ein Pionier auf dem Gebiet der deutschen Festforschung. Bereits im Jahre 1991 forderte er eine verstärkte Beachtung des Festes als historischem Forschungsgegenstand. [2] Im Rahmen des an der Universität Jena angesiedelten Sonderforschungsbereiches 482 "Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800" bearbeitet das von ihm geleitete Teilprojekt den Komplex "Zeitkultur: Feste und Feiern". Der vorliegende Band dient als theoretische Grundlegung zu den Ergebnissen der empirischen Forschung, die seit ungefähr einem Jahr vorliegen. [3] Aber Herausgeber und Koautoren erheben durch den Untertitel "Beiträge zu seiner Theorie und Systematik" auch den Anspruch, allgemeine Hinweise zum methodisch-theoretischen Umgang mit Festen zu geben. Der Charakter des Bandes ist sympathisch deduktiv: Die meisten der Beiträge zeichnen sich durch einen suchenden, dialogischen Charakter aus.
Nach einer sehr hilfreichen und überaus lesenswerten Zusammenschau des Forschungsstandes gelangt Lars Deile in seinem einleitenden Beitrag zu einer Bestimmung des Festes, die er durch verschiedene Piktogramme visualisiert: "Im Fest vergegenwärtigt sich eine Gemeinschaft lebensbejahend Bedeutung in besonderen äußeren Formen"(7). Da er diese Definition im Rahmen des Jenaer Sonderforschungsbereichs in Zusammenarbeit mit den anderen Projektmitarbeitern entwickelt hat, ist sie als Teil eines kulturgeschichtlichen Begriffsinstrumentariums zur Analyse der dort behandelten Themen wohl sinnvoll. Ob sie aber nicht im Grunde genommen mehr über das Charakteristikum Jenaer Universitätsfeste aussagt als über Feste im Allgemeinen, bleibt zu erproben.
Michael Maurer bestimmt mit seinen Beiträgen "Prolegomena zu einer Theorie des Festes", "Zur Systematik des Festes" und dem den Band beschließenden Aufsatz "Feste zwischen Memorie und Exzeß. Kulturwissenschaftliche und psychoanalytische Ansätze einer Theorie des Festes" die theoretische Ausrichtung des Bandes. Die ersten beiden Beiträge sind als Überblicksdarstellungen über die verschiedenen Komponenten und Untersuchungsfelder des Themas denjenigen zu empfehlen, die sich über den aktuellen Forschungsstand informieren möchten. In den "Prolegomena" geht Maurer auf die verschiedenen Definitionsversuche und Facetten des Festbegriffs ein, um ihn dann in der "Systematik" phänomenologisch auszufüllen. Daran schließen sich zwei Beiträge aus der Feder eines Theologen (Volker Leppin) und eines Soziologen (Harald Homann) an. Laut Volker Leppin hängt der Charakter eines Festes von den unterschiedlichen Erfahrungen von Transzendenz ab, die zum Beispiel im Christentum dank des dauernden Bezugs auf die Bibel mit einem hohen Grad an Reflexivität verbunden seien (91-92). Verbindet der Leser diesen Beitrag mit Maurers Überlegungen zur Sakralisierungs- beziehungsweise Säkularisierungsfunktion des Festes (51-52), so überraschen ihn die soziologischen Überlegungen Homanns zu den "ganz neuen Kombinations- und Rekombinationsmöglichkeiten der Fest- und Feierelemente" der "modernen funktional differenzierten Gesellschaft" (113) nicht: Einer Partikularisierung umfassender religiöser und politischer Ordnungsvorstellungen entspricht eine partikulare, monadische Festkultur. Daraus ließe sich die Frage entwickeln, ob der Modus des Festes nicht unmittelbar mit den Repräsentationen von himmlischer und irdischer Ordnung innerhalb der jeweiligen Gesellschaft zusammenhängt. Ordnungsvorstellungen und Festkultur verbindet Maurer in seinem den Band abschließenden Beitrag, indem er eine Kombination von "Exzess" (Freud) und "Memoria" (Assmann) versucht: "Für die Kontinuität der Kultur wird es nötig, das diskontinuierliche Element des Exzesses einzubauen" (134). An diese Schlussbemerkung Maurers ließen sich vielfältige Überlegungen anschließen: Exzess bedeutet auch immer Überschreitung von Ordnung. Das Überschreiten von Grenzen macht die Grenzen erst sichtbar, stellt diese her. Der Exzess wird also erst durch den Faktor einer als transzendent anzusehenden Legitimitätsquelle zu einer Überschreitung. Hier ergeben sich Diskussions- und Anknüpfungspunkte zwischen der von Maurer vorangetriebenen und vorgestellten Festforschung zu der international sehr viel breiter angelegten Ritualforschung, aber auch zu geschichtswissenschaftlichen Ansätzen, die ohne eine spezifische Fokussierung auf Fest und Festkultur den Zusammenhängen zwischen Religion und Gesellschaft nachgehen.
Auch dieser abschließende Beitrag bleibt dem offenen Diskussionscharakter der jeweiligen theoretischen Ansätze treu. In diesem Sinne sei die Lektüre wohl auch nur fortgeschrittenen Anhängern des 'performative turn' empfohlen. Als besonders fruchtbar erweist sich die Gegenüberstellung von historischen Ansätzen mit denen anderer Disziplinen - eine Erweiterung um Stimmen aus Kunstgeschichte und Musikwissenschaften sowie der Ethnologie und Philosophie wäre lohnenswert. Anregungen hierzu hat der von Michael Maurer herausgegebene Band ja genügend gegeben.
Anmerkungen:
[1] Der neueste Forschungsüberblick zur Festforschung liegt in dem hier besprochenen Sammelband vor. Zur mediävistischen und frühneuzeitlichen Ritual- und Symbolforschung vgl. mit weiterführenden Angaben Gerd Althoff (Hg.): Zeichen - Rituale - Werte. Internationales Kolloquium des Sonderforschungsbereichs 496 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (= Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme. Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 496; 3), Münster 2004. Sowie für den internationalen Bereich immer noch maßgeblich Edward Muir: Ritual in Early Modern Europe, Cambridge 1997.
[2] Michael Maurer: Feste und Feiern als Historischer Forschungsgegenstand, in: Historische Zeitschrift 253 (1991), 101-130.
[3] Johanna Sänger (Hg.): Spannungsreich und freudevoll: Jenaer Festkultur um 1800, Köln / Weimar / Wien 2005.
Ruth Schilling